Mörder sind nicht zimperlich: 10 Krimis. Walter G. Pfaus

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Название Mörder sind nicht zimperlich: 10 Krimis
Автор произведения Walter G. Pfaus
Жанр Зарубежные детективы
Серия
Издательство Зарубежные детективы
Год выпуска 0
isbn 9783745214024



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      Auf der Treppe wurde das keuchende Atmen der dicken Frau laut. Sekunden später blieb sie am oberen Treppenende stehen, hielt sich mit einer Hand am Geländer fest und fragte: „Sie wollen zu Mister Dark?“

      „Ja. Sie wohnen hier?“

      „Ich bin seine Putzfrau. Rosalind Shriever. Eigentlich müsste er zu Hause sein ...“ Sie machte eine Pause, um Luft zu holen, dann stieß sie sich von dem Geländer ab, kam auf Bount zu und fischte im Gehen einen Schlüsselbund aus ihrer braunledernen Umhängetasche. „Er hört ein bisschen schwer in letzter Zeit“, seufzte sie. „Ich sehe nach, ob er da ist.“

      Sie schloss die Tür auf, blickte Bount an und fragte: „Wen darf ich melden?“

      „Mein Name ist Bount Reiniger. Er weiß Bescheid. Mister Preston hat mich angemeldet.“

      „Oh, Mister Preston! Ein imponierender Mann, nicht wahr? Da merkt man die alte Schule, den Kavalier aus den Südstaaten. Einen Moment bitte, Mister Reiniger ...“

      Sie knipste in der Diele das Licht an, hängte ihre Tasche an den Garderobenhaken, musterte sich kurz in dem Spiegel, der neben dem Haken angebracht war, und rief dann laut: „He, Sir? Ich bin’s! Sie haben Besuch ...“

      Sie öffnete eine Tür.

      Bount, der vor der Wohnungstür stehengeblieben war, beobachtete die Frau. Er sah, wie sie erstarrte, nur eine Sekunde lang, dann hob sie die Hand zum Mund, aber noch ehe ihre Finger die Lippen erreicht hatte, brach sie abrupt zusammen, ohne einen Laut. Der Fall ihres Körpers war leichter und eleganter, als es sein Gewicht hatte erwarten lassen.

      Bount erreichte die Frau mit wenigen Schritten. Er blickte in das Wohnzimmer und spürte das jähe, harte Hämmern seines Herzens. Der Raum war mittelgroß und hatte eine schräge Wand, aber die Einrichtung war ebenso geschmackvoll wie teuer und keineswegs von der schlichten Art, die normalerweise in Mansarden anzutreffen ist. Dennoch nahm Bount die exklusive, am englischen Geschmack ausgerichtete Innenausstattung nur am Rande wahr. Sein eigentliches Interesse galt dem Mann, der zusammengesunken in einem ledernen Ohrensessel saß, mit weit offenen Augen. In ihnen war nichts zu sehen außer der ratlosen, tiefen Kälte des Todes.

      4

      Der Schädel des Mannes war kahlgeschoren. Auf ihm waren ein paar dunkle Flecke zu sehen. Sie zeigten sich in ähnlicher Größe und Tönung auch an den Gelenken seiner Arme. Bekleidet war der Tote mit einer dunklen, scharf gebügelten Hose und einem weißen T-Shirt. Das war alles. Seine nackten Füße waren eingeknickt. Sie wirkten auf Bount seltsam weiß und zierlich.

      Bount stieg über die bewusstlose Missis Shriever hinweg, ging auf den Toten zu und blieb vor ihm stehen.

      Bounts Mund trocknete aus. Bount hatte keine Mühe, die verfärbten Stellen an Kopf und Armen zu deuten. Kein Zweifel, sie bezeugten, dass hier Elektroden mit hohen Stromstößen dafür gesorgt hatten, dass Derek Dark alias Martin Cervant auf die gleiche Weise gestorben war wie die Delinquenten, die er im Auftrag der Gerichte vom Leben zum Tode befördert hatte.

      Noch eines war klar. Die Exekution des Ex-Henkers hatte nicht hier im Raum stattgefunden.

      Dark war zu diesem Zweck wohl aus dem Haus geholt worden, unter Gewaltanwendung, wie angenommen werden durfte. Nach dem schrecklichen Ereignis hatten seine Mörder ihn zurück in die Wohnung gebracht. Besonders Letzteres musste erstaunen, denn damit hatten die Täter ein zusätzliches Risiko auf sich genommen, für das es keine Erklärung gab. Freilich, Dark war kein großer Mann, vermutlich war es leicht gewesen, ihn in einer Kiste oder einem Überseekoffer zu transportieren.

      Die Frau stöhnte leise, blieb aber liegen, das Gesicht dem Boden zugekehrt.

      Bount berührte das Handgelenk des Toten. Die Leichenstarre war noch nicht eingetreten. Die Exekution musste vor nicht mehr als zwei oder drei Stunden erfolgt sein.

      Bount trat ans Telefon. Der Apparat funktionierte. Bount erreichte Preston in dessen Hotelzimmer.

      „Ich bin beim Packen“, schnaufte Preston. „Ich freue mich auf die Heimfahrt. New York ist nichts für mich. Hier würde ich ersticken.“

      „Dark ist tot“, sagte Bount.

      „Was?“

      „Alles spricht dafür, dass Ihre schlimmsten Befürchtungen sich erfüllt haben“, sagte Bount und schilderte, wo er sich befand und in welchem Zustand er den Toten angetroffen hatte.

      „Mein Gott ... und das ist vermutlich nur der Anfang“, murmelte Preston kaum hörbar.

      „Was wollen Sie damit sagen?“

      „Sie werden es erleben! Mit dem Henker haben sie begonnen, jetzt rollen sie den Fall von hinten auf, der Rachefeldzug nimmt seinen Lauf! Sie werden sich den Richter schnappen, vielleicht auch die Geschworenen, den Staatsanwalt, die Zeugen ... sie werden vor keinem Halt machen!“

      „Ich muss die Polizei verständigen“, sagte Bount. „Ich fürchte, ihr mitteilen zu müssen, was sich hinter dem tragischen Ereignis verbirgt. In der Praxis bedeutet das, dass sich der Diebstahl des elektrischen Stuhls nicht länger wird verheimlichen lassen.“

      „Das sehe ich ein, es lässt sich nicht ändern“, murmelte Preston niedergeschlagen.

      „Wann haben Sie mit Dark telefoniert und ihm meinen Besuch angekündigt?“

      „Gleich, nachdem ich Ihr Office verlassen hatte, so gegen elf Uhr vormittags.“

      „Jetzt ist es siebzehn Uhr“, stellte Bount fest. „Die Täter müssen Dark kurz nach Ihrem Gespräch mit ihm hoppgenommen haben. Wann waren Sie bei ihm?“

      „Gestern Abend, gegen zwanzig Uhr, eine Stunde nach meinem Eintreffen in der Stadt.“

      „Ist es möglich, dass Sie dabei beobachtet wurden?“

      „Warum fragen Sie mich das?“

      „Dark hatte keinen Grund, über seine Vergangenheit zu sprechen. Er lebte hier praktisch unter Cover, mit einem Namen und einer Legende, die nichts mit seiner Vergangenheit zu tun hatte. Ich frage mich, ob die Leute, die wir suchen, durch Sie auf seine Spur kamen.“

      „Was soll ich jetzt tun?“

      „Bleiben Sie im Hotel, bis sie von mir oder der Polizei hören!“, bat Bount und legte auf.

      Hinter ihm wurden Geräusche laut. Bount blickte über die Schulter. Die Frau kam mit einiger Mühe auf die Beine und lehnte sich gegen den Türrahmen. Ihre Modebrille war verrutscht und gab den Gesichtszügen, die sie schmücken sollte, einen noch absurderen Ausdruck als vorher.

      „Ist er ... tot?“, würgte sie hervor. „Warum hat man ihm den Schädel kahlgeschoren? Wie sieht er bloß aus, um Himmels willen?“, wimmerte sie, stieß sich vom Türrahmen ab und torkelte ins Badezimmer. Bount hörte Sekunden später das Rauschen der Wasserspülung. Er tippte die Nummer von Captain Rogers' Office herunter.

      Sein Freund Toby meldete sich. Joe berichtete, wo er sich befand und was geschehen war. Toby Rogers war Chef des Morddezernats Manhattan.

      „Wir sind in einer Viertelstunde bei dir“, sagte der Captain und legte auf.

      Bount warf den Hörer aus der Hand und sah sich im Zimmer um. Bei den Bildern an den Wänden handelte es sich um Unikate, die Kunstverständnis verrieten und beträchtliche Werte verkörperten. Die Teppiche waren ebenso echt wie die alten Möbel. Es gab keine Hinweise auf einen Kampf. Der Raum machte in jedem Detail einen gepflegten, ordentlichen Eindruck.

      Missis Shriever kehrte zurück, leichenblass. Sie setzte sich, und zwar so, dass sie dem Toten den Rücken zukehrte.

      „Er war ein feiner Mann, wirklich großartig ... und großzügig dazu! Wer hat das bloß getan?“

      Bount setzte sich.

      „Es sieht so aus, als sei er aus