Dr. Sonntag Box 4 – Arztroman. Peik Volmer

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Название Dr. Sonntag Box 4 – Arztroman
Автор произведения Peik Volmer
Жанр Языкознание
Серия Dr. Sonntag
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783740972318



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hab dich lieb, Oma«, flüsterte er in ihr Ohr.

      Da wirkt nur Bifonazol!

      »Ricarda hier. Ricarda! Hast du schlechtem Empfang?«

      Die Anruferin nahm das kleine Gerät von ihrem Ohr, schüttelte es und starrte aufs Display, als könnte sie mit diesen Maßnahmen die Empfangsqualität steigern.

      »Soll ich noch mal anrufen?«

      Offenbar hatte sich die Tonqualität bei der angerufenen Person verbessert.

      »Kannst du dir das nicht denken? Außerdem – ich habe läuten hören, dass du dich auch anderweitig orientierst! – Ach, weißt du – ich komme ja aus der Branche! Und vergiss nicht, dass wir auf dem Land leben! Da wird nun mal getratscht!«

      Sie setzte sich auf eine der Bänke am Marktplatz und blinzelte in die Herbstsonne. Einer der letzten schönen Tage, dachte sie. Das Wetter hatte gegenüber der Natur einiges an Schulden zu begleichen, und der Vorhersage zufolge hatte es das Soll anerkannt.

      »Natürlich habe ich dich bei Elisabeths Platzerl gesehen, ich bin ja nicht blind! – Du musst das bitte verstehen. Ich will nicht noch mehr an meinem Kind herumzerren. Und … in unserer Situation … ich … ich halte das einfach nicht für richtig!«

      Es schien heftiger Widerspruch zu folgen.

      »Du hörst mir überhaupt nicht zu, oder? Das geht doch nicht gegen dich! Aber der wichtigste Mensch in meinem Leben ist nun mal mein Kind, und das wird es immer sein! – Was? Ja, natürlich! Ich bin eine Mutter! Dem ordne ich alles unter, basta. Weißt du, was mein Vater immer gesagt hat? ›Das Glück meiner Kinder ist mein Glück‹. Damals habe ich das nicht verstanden, heute begreife ich, was er gemeint hat.«

      Vom anderen Ende der Leitung erntete sie für diese Aussagen Protest. Vermutlich heftigen und lautstarken Protest, da sie erneut das Mobiltelefon in einiger Entfernung von ihrem Ohr hielt. Nach einer Weile horchte sie, ob der Sturm sich gelegt hatte.

      »Kilian ist nicht mein Traumpartner, zugegeben. Aber er ist ein guter Vater. Das hat er in jüngster Zeit unter Beweis gestellt. Und es hat Sinn, uns eine zweite Chance zu geben. Dass wir uns getrennt haben, war ja zum großen Teil meine Schuld, nicht seine. Ich habe ihn verarscht, und er hat die Konsequenzen gezogen.«

      Es klang nachdenklich, nein, doch wohl eher traurig, als sie nach einer kleinen Pause hinzufügte: »Ich danke dir für alles, mein Schatz. Es war eine wunderbare Zeit. Eine aufregende Zeit mit dir. Aber diese Zeit muss jetzt zu Ende gehen. Ich wollte, dass du das, was war, ebenso schätzen würdest, wie ich es tue. Aber vielleicht brauchst du einfach nur mehr Zeit!«

      *

      »Der Nächste, bitte!«

      Dagmar hatte über die Sprechanlage in das kleine Wartezimmer hineingerufen.

      Die Tür öffnete sich.

      »Schwester Maria!«

      »Frau Dr. Schattenhofer! Das ist aber eine Überraschung!«

      »Das kann man wirklich so sagen! Was machen sie hier an Bord?«

      »Mein Lebensgefährte ist doch Beleuchter beim Film! Der hast mich hergeschleppt!«

      »Ach Gott, ja! Die neuen Traumschiff-Folgen! Wenn man hier unter Deck arbeitet, vergisst man wirklich völlig, dass oben das Leben tobt! Und? Haben Sie schon Stars kennengelernt?«

      »Leider!«, bejahte die Krankenschwester. »Und sollte ich ihn je in die Finger bekommen, werde ich ihm höchstselbst einen Einlauf verpassen. Einen Hebe-Senk-Einlauf. Dieser Gedanke hält mich über Wasser!«

      Die Damen lachten.

      »Was hat sie hergeführt, Maria?«, erkundigte Dagmar sich besorgt.

      »Ich habe seit gestern so ein Brennen und Ausfluss. Sehr lästig!«

      »Hatten Sie Verkehr?«

      »Und wie!«

      O mein Gott, dachte Schwester Maria. Hab ich das eben laut gesagt? Die Ärztin freute sich.

      »Ich schaue mir gerade einen Ausstrich an, Maria!«, erklärte Sie. Sie nahm eine Probe mit einem Watteträger und strich diese auf einem Glasplättchen aus. Nach dem Färben blickte sie in das Mikroskop. Sie hielt die Luft an.

      »Candida africana?«, fragte sie misstrauisch.

      »Albicans, meinten Sie, Frau Doktor?«

      »Nein!«, blaffte Dagmar sie wütend an. »Africana! Wissen Sie, was lustig ist? Einen solchen Fall hatte ich heute schon einmal. Obwohl der Pilz extrem selten ist. Soll ich raten, mit wem sie Verkehr hatten?«

      Plötzlich durchfuhr es sie, als hätte ihr jemand ein Schwert in den Unterleib gerammt. Sie stöhnte laut auf, und krümmte sich.

      »Frau Doktor? Frau Doktor! Was ist denn mit Ihnen? Kann ich Ihnen irgendwie helfen?«

      Dagmar war leichenblass und presste die Lippen aufeinander. Ächzend drückte sie mit beiden Händen auf ihren Bauch.

      »Frau Doktor! O mein Gott! Sie bluten ja!«

      Dagmar blickte an sich herunter und nahm noch wahr, dass der feuchte rote Fleck auf ihrer weißen Klinikhose sich langsam vergrößerte.

      Dann rutschte sie vom Stuhl auf den Boden. Aber das merkte sie nicht mehr. Sie hatte das Bewusstsein verloren.

      Kurzes Nachwort

      Erinnern Sie sich, sehr verehrte Leserin, sehr geehrter Leser, an die Folge, in der Theres und Lukas sich erstmals gegenüberstanden? Die alte Dame war völlig verzickt in Schliersee angekommen und hatte mit diversen Spitzen ihre Schwiegertochter auf die Palme getrieben. Dann hatte sie den Sohn ihres Sohnes kennengelernt und war so angefasst von seiner unschuldig-offenen Art, dass aus ihr die weise, antwortfähige Großmutter wurde, die vergeblich darauf bestand, von ihrem Enkel ›Großmama‹ statt ›Oma‹ genannt zu werden.

      Lukas hat Erfahrungen mit Verlusten. Er hat - was ihn vor seinen Altersgenossen auszeichnet - schon Angst um Menschen gehabt, die er liebt. Seine Mutter, zum Beispiel. Oder die Dame im Seniorenwohnheim, an deren Namen ich mich gerade nicht erinnern kann. Sie wissen schon, deren Tonfigur er versehentlich zerbrach. Und jetzt?

      Wie würden Sie sich entscheiden, meine Damen, meine Herren? In dem Bewusstsein, dass eine schwierige Therapie Ihnen die Gesundheit nicht zurückbringen, lediglich das Leben verlängern kann? Stellen Sie sich vor: Die Augen Ihres sechzehnjährigen Enkels blicken Sie flehentlich an und bitten Sie, Ihren wohlerwogenen Entschluss zu überdenken. Wie entscheiden Sie sich? Würden Sie ihm zuliebe die Strapazen auf sich nehmen? Und wie eigentlich wird Sebastian Schickenreuth sich verhalten?

      Erinnern Sie sich an die Szenen im Elisabeths Platzerl? Ricarda sieht jemanden, den sie kennt. Und später heißt es, dass da noch Klärungsbedarf bestände, möglichst ohne dass Kilian davon etwas mitbekommt oder so ähnlich. Das hat sie ja nun wohl auch versucht. Mit wem hat sie da bloß telefoniert? Hoffentlich passiert nichts, was das Glück von Felicitas in irgendeiner Weise trübt.

      Eine Blutung in der Frühschwangerschaft muss nicht notwendigerweise ein schlechtes Zeichen sein. Wenn sie allerdings mit Schmerzen und Ohnmacht verbunden ist, sollte man Vorsicht walten lassen. Aber wer kümmert sich medizinisch um den Arzt an Bord? Ein Dilemma! Oder nicht? Darf ich mal ganz böse sein? Kommt diese Sache doch ganz gelegen? Dieses Kind ist ja ein - ich bitte um Vergebung! - ›Unfall‹. Darf man das überhaupt so sagen? Kann ein Kind überhaupt ein Unfall sein? Ist ein Kind nicht in jedem Fall ein Grund zur Freude? Sogar, wenn seine Existenz die Beziehung Dagmars und Antons bedroht? Und erst ein Kind von dem attraktiven Sepan …, nein, Esfandar, und der hübschen Dagmar? Aber das ist nicht die Schuld des Kindes. Das ist, wie immer, die Schuld der Erwachsenen, die sich nicht unter Kontrolle haben.

      Esfandar spielt ja sowieso die deutlich zwielichtige Rolle des Don Juan. Er hat das Talent, die Frauen glücklich zu machen, und setzt es ein. Dagegen ist doch auch nichts einzuwenden. Die Tatsache, dass die beiden Damen in unserer Geschichte gebunden sind, bedeutet dem jungem Mann gar nichts.