Vollmilchschokolade und Todesrosen. Franziska Dalinger

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Название Vollmilchschokolade und Todesrosen
Автор произведения Franziska Dalinger
Жанр Книги для детей: прочее
Серия
Издательство Книги для детей: прочее
Год выпуска 0
isbn 9783862567416



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glaubt, dass die Welt schön ist und voller Liebe und dass Träume in Erfüllung gehen können. Ich weiß plötzlich, dass dies der schönste Sommer meines Lebens ist, und das ist mehr, als ich ertragen kann. Tja, manchmal habe ich solche Anwandlungen.

      Wenn ich ein Gedicht darüber schreibe, geht es mir besser. Meistens jedenfalls.

      Mandy seufzt, und einen Moment lang bin ich mit ihr zusammen über Tom enttäuscht. Sie ist so hübsch und liebenswert und es ist kaum zu fassen, dass ein Junge ein solch tolles Mädchen gehen lässt. Ein paar Meter lang bin ich für sie traurig und nicht für mich, und ich wünsche ihr, sie wäre noch mit ihm zusammen. Obwohl es ja trotz allem ein Glücksfall für mich ist, dass sie es nicht ist.

      Wir kommen am italienischen Eiscafé vorbei, wo immer noch Leute sitzen und Lärm machen. Der Abend ist zu schön, um laut zu sein. Ich will eigentlich nur ganz still dasitzen und horchen und die Luft einatmen, die nach Straße riecht, nach Staub und nach Blumen, aber Mandy ist schon wieder munter und man sieht ihrem Gesicht nicht mehr an, dass sie eben noch traurig war.

      »He, frag mich, worauf ich Appetit habe.«

      »Erdbeereis«, sage ich, denn das ist es, was mir gerade so einfällt.

      Sie grinst. »Stell dein Fahrrad ab. Da ist noch ein Tisch frei.«

      Wir setzen uns und ich denke daran, dass ich zu Hause anrufen müsste, um Bescheid zu sagen, dass ich mich verspäte. Aber dann würde Mama sagen: Kommt gar nicht in Frage, morgen ist Schule, du bist in fünf Minuten da, kapiert? Und weil ich das nicht will, rufe ich lieber gar nicht an.

      Hier zu sitzen und mit Mandy Eis zu essen, so was habe ich früher nie getan. Als ich noch unsichtbar war. Ich war eigentlich meistens zu Hause in meinem Zimmer und habe mich gelangweilt. Habe Musik gehört und Gedichte geschrieben und mich mit Tabita gestritten.

      »Weißt du was, Messie«, sagt Mandy und taucht den Löffel in die Sahne, »so müsste das Leben immer sein.«

      »Finde ich auch«, sage ich. Dies ist eindeutig der schönste Sommer meines Lebens. Ich werde ihn genießen, solange er dauert, das verspreche ich.

      »Guck mal, wie die dort isst, mit dem Kinn fast im Teller.« Sie beginnt glucksend zu kichern. Also mache ich die Frau am Nebentisch nach, und Mandy filmt heimlich mit ihrem Handy erst sie und dann mich, damit ich sehen kann, wie gut ich das hinbekomme.

      »Jetzt du«, sage ich. »Das Paar dort hinten an der Scheibe. Kannst du so sitzen wie der Typ?«

      Unsere Freundschaft ist noch nicht so weit, dass ich Mandy sagen kann, was sie tun soll. Das heißt, früher hätte ich mich das nicht getraut. Aber heute, nach unserem Gespräch über Tom, ist es irgendwie anders. Jetzt bin ich schon eine Stufe weiter. Deshalb schlage ich das vor und sie lacht und sagt: »Du, das kann ich nicht«, aber dann macht sie es doch und hängt so im Plastikstuhl wie der Eisesser da hinten, die Arme über die Lehne, den Kopf nach hinten, als würde er gleich einschlafen. Wir lachen uns halbtot, aber so unterdrückt, dass nicht alle hersehen.

      Ich filme Mandy und zeig es ihr und sie lacht. Ja, sie kann auch über sich lachen.

      »Mit dir macht alles so viel Spaß«, sagt sie zu mir. »Und dabei dachte ich, als ich in eure Klasse gekommen bin, dass mit dir nichts los ist. Noch so eine fromme Spinnerin, hab ich gedacht.«

      Autsch. »Ich kann doch nichts dafür, was mein Vater für einen Beruf hat«, sage ich.

      Sie lächelt entschuldigend. Nein, sie lächelt gar nicht mich an. Sondern den jungen Mann am Nebentisch, der dort mit seiner Freundin Eis schleckt. Seine Begleitung ist hübsch, aber natürlich nicht so hübsch wie Mandy.

      »Ich finde es ganz okay, dass du eher ruhig bist«, meint Mandy. »Bei Kim muss immer was los sein, das nervt manchmal echt.«

      Nochmals autsch. Ich hasse es, wenn man mir sagt, dass ich ruhig bin. Ich meine, was soll das bedeuten? Dass ich unsichtbar bin, obwohl ich mich doch so anstrenge, es nicht zu sein? Dass ich wenig spreche? Das stimmt gar nicht. Manchmal habe ich mir die Mühe gemacht und extra gezählt, wie viel die anderen sagen und wie viel ich sage. Ich liege da eigentlich ganz gut im Mittelfeld. Man muss ja nicht pausenlos quatschen, oder? Deswegen weiß ich immer noch nicht, was es heißen soll, dass ich angeblich ruhig bin. Ich hasse es! Weil es einfach nicht stimmt. In mir ist immer jede Menge los. Wenn ich alles sagen würde, was ich denke – dann müssten sich die anderen wohl die Ohren zuhalten.

      »Ich find’s gut«, sagt Mandy. »Du wirkst so harmlos, aber du hast es faustdick hinter den Ohren.«

      Weil es so nett klingt, weiß ich nicht, ob ich mich ärgern soll oder nicht. Ja, es ärgert mich, weil ich es SCHON IMMER schrecklich fand, wenn jemand das sagt. Harmlos und ruhig. Brav. Die fromme Pastorentochter. Und doch – bei ihr klingt es irgendwie anders. Und ich bin hier, mit ihr, und es wird dunkel und ich bin glücklich.

      »He«, sagt Mandy und beugt sich vor. »Siehst du das?«

      Da geht der Winkelmann, mit einer Frau im Arm. Schlendert an den Tischen vorbei.

      »Schnell«, zischt Mandy, »mach ein Foto. Los!«

      Ich habe mein Handy noch in der Hand, deshalb ist das kein Problem. Ich fotografiere die zwei, die schon im nächsten Moment an uns vorüber sind.

      »Schick es mir«, sagt Mandy. Sie ist ganz aufgeregt. Versonnen betrachtet sie das Bild.

      »Jetzt bekomme ich die Qualifikation fürs Gymnasium«, sagt sie. »Meine Franze-Note ist gerettet.«

      »Warum?«, frage ich. »Weil du ein Foto vom Winkelmann hast?«

      »Besser«, meint sie und grinst. »Ein Foto von ihm mit seiner Freundin.«

      »Und?« Ich bin nicht schwer von Begriff, aber bei mir ist der Groschen immer noch nicht gefallen.

      »Er ist verheiratet«, sagt sie. »Wusstest du das nicht?«

      »Vielleicht war das seine Frau?«, vermute ich. Ich schau mir das Bild noch mal an. Die Blondine, die da am Arm unseres Lehrers hängt, ist ziemlich jung. »Oder seine Tochter?«

      Mandy ist glücklicher und aufgeregter, als ich sie je erlebt habe. »Ich weiß, wie seine Frau aussieht.« Sie strahlt über beide Ohren. »Und seine Tochter ist neun oder zehn. Das ist definitiv seine Freundin. Ha, erwischt!«

      »Was hast du denn jetzt vor?«, frage ich.

      Definitiv die falsche Frage. Sie schaut mich an, als wäre ich vollkommen blöd.

      »Ja, was wohl?«, fragt sie zurück. Ein bisschen schroff. Doch sofort wird ihr Lächeln wieder weich. »Das war ein echter Glückstreffer«, meint sie. »Ich glaube, du bringst mir Glück, Messie.«

      Ich habe euch zusammen gesehen. Wie zufrieden du bist, wie laut du lachst.

      Manchmal wünsche ich mir, ich könnte auch so lachen. Aber ich kann nicht aufhören, daran zu denken. Ich habe es versucht, doch leider funktioniert es nicht. Eine Kleinigkeit, würdest du sagen. Du würdest es nicht verstehen.

      Solche wie du verstehen gar nichts.

       Eine Kleinigkeit? Aber für mich ist es das nicht. Es ist mein ganzes Leben, kapierst du das nicht?

      Und wenn ich dein Leben nehme und in den Staub trete? Was sagst du dann? Wenn wir den Spieß einmal umdrehen? Ich stelle mir vor, wie es wäre, wenn du tot wärst.

      Ich sehe auf dich herunter und das Lachen ist dir endlich vergangen. Dein Gesicht ist still und friedlich. Weiß und reglos.

      Das tut irgendwie gut.

       Webhexe, Blogeintrag vom 16. August

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