Vollmilchschokolade und Todesrosen. Franziska Dalinger

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Название Vollmilchschokolade und Todesrosen
Автор произведения Franziska Dalinger
Жанр Книги для детей: прочее
Серия
Издательство Книги для детей: прочее
Год выпуска 0
isbn 9783862567416



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Seele brennt.

      Woher wollt ihr wissen, dass es Gott wirklich gibt? Und wenn, dass er so ist, wie ihr ihn euch vorstellt? Glaubt ihr wirklich, er ist der Weihnachtsmann, der eure Gebete um gutes Wetter erhört, und dass ihr mit göttlicher Hilfe eine Zwei schreibt?

      Wie das ankommen würde? Nicht so gut. Also lasse ich es. Manchmal stauen sich die frechen Fragen, die ich ungesagt herunterschlucke, so an, dass ich mir wie ein Staudamm vorkomme, der jede Sekunde bersten könnte.

      WOHER WISST IHR DAS?

      Ich frage es nicht. Denn dann kämen alle anderen Fragen sofort hinterher. Etwas Schlimmeres kann gar nicht passieren.

      Fragen-Hochwasser. Eine richtige Fragen-Überschwemmung. Und alle ihre vorgefertigten Antworten würden weggeschwemmt werden.

      Habe ich Angst davor?

      Vielleicht habe ich ja auch bloß Mitleid.

      Ich streiche mir dick Sandwich-Creme auf mein Toastbrot und versuche, mich an den Gedanken zu gewöhnen, dass ich meine alte Kindergottesdienst-Bekanntschaft möglicherweise heute dort treffe. Ändert das etwas?

      »Ich habe Mandy versprochen ...«, fange ich an, aber auf die Schnelle fällt mir nicht ein, was ich ihr versprochen haben könnte.

      Meine Mutter wringt ihren Putzlappen aus.

      »Das kannst du auch ein anderes Mal. Der kleine Daniel freut sich bestimmt, ein bekanntes Gesicht zu sehen.«

      Der kleine Daniel? Sie hat ja keine Ahnung, wie er jetzt aussieht. Einen Kopf größer als ich! Und dabei ist er erst – sechzehn? Siebzehn? Ich bin mir nicht sicher. Ist er ein Jahr älter als ich? Oder nur ein paar Monate? Für meine Mutter ist er immer noch der kleine Junge, der so frech gegrinst hat. Wenn ich mich recht erinnere, hat er die Kinderstundentante – wie hieß sie doch noch? – dazu gebracht, mit ihrer Mitarbeit in der Gemeinde aufzuhören. Als die Familie Hartmann die Stadt verlassen hat, ist sie mit einem Seufzer der Erleichterung wieder eingestiegen.

      Es wird einige Leute geben, die sich über seine Verwandlung wundern werden. Das darf ich eigentlich auf keinen Fall verpassen. Außerdem will ich Goliath noch fragen, ob er mein Fahrrad reparieren kann.

      Du drängst dich an mir vorbei. Ich spüre deine spitzen Ellbogen in meiner Seite.

      Immer musst du dich vordrängeln.

       Du stiehlst. Und du merkst es nicht einmal. Oder freust du dich über deine Beute?

       Wenn du dir nimmst, was mir gehört?

      Ich kann kaum atmen, wenn ich dich sehe. Aber du bemerkst das natürlich nicht.

       Dreht sich irgendetwas in deinem Kopf mal nicht um dich? Na klar, ich bin ja auch unsichtbar. Wie kann ich auch erwarten, dass du etwas mitbekommst davon, was in anderen Leuten vor sich geht!

       Webhexe, Blogeintrag vom 19. August

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      5.

      Daniel ist gar nicht da.

      Mist. Jetzt habe ich mich extra aufgerafft und bin ins Gemeindehaus gestiefelt und es sind sowieso nur dieselben da wie immer. Die Verteilung der Gruppenmitglieder ist ziemlich genauso wie in meiner Klasse. Es gibt ein paar Außenseiter, merkwürdige Gestalten, die kaum ein Wort herausbringen, und auch eine kleine Gänseschar – perfekt gestylt, für den Fall, hier den Partner fürs Leben zu treffen. Die Gänse sind diejenigen, die sich immer hervortun wollen. Sie wissen alles und sie kennen sämtliche Lieder auswendig und sie können stundenlang darüber diskutieren, ob es einen Unterschied macht, wenn man beim Singen die Hände in die Luft streckt oder nicht. Hier in der Kirche bedeutet »Gans sein« nicht bloß, wunderschön sein zu wollen. Es bedeutet, perfekt zu tun. Ganz zu sein. Und nie, nie, niemals irgendwie zerrissen zu wirken. Tine ist in unserer Kirche die Obergans. Die Superfromme. Sie ist über alles und jedes schockiert und man kann sie herrlich nachahmen. Sie erinnert mich an meine Schwester Tabita, die ja auch immer alles besser weiß.

      Dann sind da noch die »Normalen«. Natürlich sind die Normalen, die in die Kirche gehen und am Donnerstag Abend eine Jugendgruppe besuchen, die auf den inspirierenden Namen Life and Hope hört, nicht so normal wie die Normalen an der Schule. Das wunderbar Normale an ihnen ist, dass sie nicht so recht wissen, was sie hier wollen und warum sie eigentlich hergekommen sind. Außer um Spaß zu haben, natürlich.

      Das Gänseleben ist mir vertraut. Ganz ehrlich. Ich kenne alle Bibelstellen auswendig und mit diesen Liedern bin ich groß geworden. Ich weiß alles und kann alles und ich lasse mir nicht anmerken, dass mich das alles nicht die Bohne interessiert.

      So sind Gänse nun mal. Außen alles voller schöner weißer Federn.

      Ich könnte mich auch zu den Normalos zählen, denn so wie die weiß ich nicht, warum ich hier bin. Was würde passieren, wenn ich anfange, meine Fragen zu stellen? Zu sagen, was ich wirklich denke? Würde der gutmütige, immer freundliche Riese Goliath mich dann vor die Tür setzen?

      Doch ich bilde hier meine eigene Gruppe: »Tochter vom Pastor.«

      »Schön, dass du auch mal wieder da bist, Miriam«, sagt Michael zu mir, und ich grinse schief und denke: Wenn du wüsstest ...

      Aber vielleicht tut er das ja? Ich meine, nicht, dass er Gedanken lesen könnte, aber vielleicht hat er ja tatsächlich eine Antwort.

      WOHER WISST IHR DAS?

      Und er würde antworten: ... keine Ahnung, was.

      Weil man das halt so glaubt, in der Kirche. Oder weil man so tut, als würde man das glauben. Oder weil ...

      »Heute sprechen wir über das Gebet«, sagt er.

      Die Gänse-Fraktion kichert, wie über alles, was er sagt. Ich versuche zu erkennen, ob Michael irgendwie gut aussieht, aber es ist wie bei diesen verschlüsselten 3D-Bildern. Manchmal überkommt einen dieser Moment von Klarheit, wenn man bis in die Tiefe sehen kann. Und manchmal ist alles nur voller Hieroglyphen und man erkennt gar nichts.

      Ehrlich – ich weiß es nicht.

      »Darüber, dass wir Gott alles anvertrauen können. Unsere Sorgen und Nöte ...«

      Nöte. Das ist Bibelsprech. Wer sagt denn heutzutage: Ich habe Nöte?

      Ich kenne jedenfalls keinen.

      »Ja, Miriam? Du siehst aus, als fändest du das lustig.«

      »Äh, nein«, versichere ich schnell. »Ganz und gar nicht. Das ist sehr, ähm, ernst.«

      Er schüttelt lächelnd den Kopf. Ich sehe rasch zu Tine hinüber, wie sie darauf reagiert. Mag sie ihn oder nicht? Aber ich kann nichts in ihrer steinernen Miene erkennen.

      »Wer möchte was zum Thema erzählen?«

      Die Perfekten sind wie immer ganz versessen darauf, ihre Wunder mitzuteilen.

      Ihr ganzer Alltag ist von Wundern gepflastert.

      Eine Zwei in Latein, obwohl Nele nicht geübt hat – wow!

      Katis Vater hat endlich einen Job. Super! (Das ist eine recht häufige Gebetserhörung von Kati. Nur, dass ihr Vater immer bloß Zeitverträge bekommt und nach ein paar Monaten wieder auf der Straße sitzt.)

      »Ist es eine feste Stelle?«, frage ich.

      »Erst mal auf Probe«, sagt sie und druckst ein bisschen herum.

      Die wundersame Heilung einer Grippe nach zwei Wochen Krankheit.

      Eine Eins im Biologietest. (Maren schreibt nur ausnahmsweise mal eine Note, die schlechter ist als eine Zwei plus.) Oh Wunder, oh Wunder!

      Victoria