Gesammelte Werke (Über 800 Titel in einem Band). Joachim Ringelnatz

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Название Gesammelte Werke (Über 800 Titel in einem Band)
Автор произведения Joachim Ringelnatz
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9788027203697



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Hab und Gut enthielt, und begann sogleich meinen Dienst. Das Schiff nahm Ladung. Es fiel mir schwer, wieder den Schiffsjungen zu spielen. Ich hatte die Stellung nur aus Not angenommen. Als mir eines Morgens der Erste Offizier verbot, in Holzpantoffeln über Deck zu gehen, entstand ein Wortstreit, der damit endete, daß ich den Offizier stehen ließ, mich umzog und das Schiff verließ. Am Stammtisch erzählte ich dann aufgeblasen, wie keck ich dem Offizier pariert hätte und daß ich auf keinen Fall diesen »lumpigen Kasten« wieder betreten würde.

      In derselben oder in der folgenden Nacht teilte mir ein Telegramm mit, ich wäre als Leichtmatrose auf dem Ozeandampfer »Columbia« angenommen und sollte mich sofort einschiffen. So verabschiedete ich mich auf Pump splendid, küßte Meta und bat Papa Krahl, er möchte meine auf der »Ramses« zurückgelassenen Effekten abholen.

      Was ich selbst an Sachen auf die »Columbia« mitnahm, trug ich in einem Taschentuch.

      »Columbia« war damals der größte Passagierdampfer der Hapag. Vier gewaltige Schornsteine hatte er. Und Luxuskabinen und erste Klasse und zweite Klasse. Außerdem reisten im Zwischendeck Hunderte von polnischen Auswanderern. Die hausten da unten zwischen ihrem bunten Sack und Pack und Kindern und Windeln in einem erbarmungswürdigen Durcheinander. Sie fragten unaufhörlich und stellten sich so hysterisch an, besonders die Weiber und die Seekranken, daß wir bei starkem Sturm die Türen zum Zwischendeck abschlossen und niemand an Deck ließen. Neben ihnen und uns Schiffsarbeitern: die reichen Reisenden mit ihren eleganten Garderoben, Schlemmermahlzeiten, Faulenzerspielen und Festivitäten mit Musik und allem erdenklichen Luxus. Da lebten zwei Gegensätze eng nebeneinander. Aber ich fand diese Fahrt berauschend, besonders die Nächte. Die Sonnenbrenner brannten aufregend. Der Qualm aus den Schornsteinen verwehte weithin übers Meer, das nahm sich aus wie Heldensagen.

      Einmal sichtete ich auf solcher Nachtwache ein Wrack. Es war ein Stück Gebälk, wie ein Floß. Da eine Laterne darauf brannte, war anzunehmen, daß lebende Menschen darauf waren. Ich sah es, und noch jemand sah es, und wir riefen die Meldung zur Brücke hinauf. Aber die »Columbia« stoppte nicht, sondern jagte weiter. Vielleicht mochte der ehrgeizige Kapitän in dem Rennen um das Blaue Band die Fahrt nicht aufhalten.

      Daneben gab es für uns Seeleute leichte Anekdoten, von denen sich die meisten ums Essen oder um Trinkgelder drehten. Manchmal suchten noble Passagiere aus Neugier unser Logis auf. Den Damen, die die steile Treppe zu uns herabstiegen, schielten wir unter die Röcke. Dann logen wir den Herrschaften etwas vor, übertrieben oder läppisch, nicht ahnend, daß manche von ihnen über das, was sie fragten, viel höher unterrichtet waren als wir. Aber ein Trinkgeld oder eine Zigarre ergab sich immer. Und wie solche Zigarre uns schmeckte, so schmeckte sie denen nicht.

      Als ein Regen einsetzte, erbat sich ein Passagier ein Ölzeug von mir. Ich lieh ihm das meinige gern, ließ es ihn aber selbst von dem Nagel nehmen, an dem es hing. Denn dieser Nagel stand zufällig mit der elektrischen Leitung in Berührung, und man bekam jedesmal einen gelinden Schlag, wenn man nach dem Ölzeug griff. Da ich nun dem erschreckten Passagier den Bären aufband, daß bei uns alle Ölzeuge so elektrisch geladen wären, um sie vor Ratten zu schützen, so fiel das Trinkgeld befriedigt und befriedigend aus.

      Ich hätte mir damals trotz meiner ordentlichen Erziehung nicht träumen lassen, daß ich jemals mit Leuten wie jene Passagiere erster und zweiter Klasse gleichberechtigt zusammensitzen würde.

      Außer meiner sehr unromantischen Arbeit war mir alles neu oder interessant. Ich mußte die Messingränder der Bullaugen an Deck putzen und kam auch zu der Kapitänskajüte. Da sah ich nun von außen neugierig durchs offene Fenster. Der Alte war fürstlich eingerichtet. Er beugte sich gerade mir abgewendet über den Wascheimer und putzte sich mit ungeniertem Getöne die Zähne. Ich sah ihm interessiert zu, in der Meinung, daß er mich nicht bemerkte. Nun nahm er wieder einen großen Schluck Gurgelwasser in den Mund. Und plötzlich wendete er sich blitzschnell und spie mir die ganze Ladung ins Gesicht.

      Dann kam die Freiheitsstatue. Dann kam die umständliche Landung und Ausschiffung. Dann sah ich Hochbauten.

      Etwa vierzehn Tage lagen wir in New York. In Hoboken. Selbstverständlich ging ich jeden Abend an Land, aber was habe ich gesehen? Nichts, was mich heute berechtigte, mitzusprechen, wenn Leute über New York disputieren. Ich besinne mich, daß ich nach Brooklyn wollte und auf einem Pier auf die Fähre wartete, die mich über den River setzen sollte, auf einmal setzte sich das Stück Pier in Bewegung und war selbst die Fähre, auf die ich wartete. Das machte mir großen Eindruck.

      Eine nichtswürdige Geschmacklosigkeit beging ich. Bordkameraden hatten mir Briefschaften mitgegeben, die ich an Land expedieren sollte. Um mich vor einem anderen Urlauber mit einem Spaß großzutun, schrieb ich auf all diese Karten ganz schweinische, ekelhafte Bemerkungen, ohne zu untersuchen, ob diese Postsachen an Eltern, Bräute oder Kinder gerichtet waren.

      Nichts habe ich von New York gesehen. Oder habe ich es vergessen? Aber man vergißt nichts so leicht, was Eindruck machte. Ich ging immer allein aus. Ich werde anderes erlebt haben, was man vielleicht überall erleben kann, aber was man eben einmal erleben muß.

      Wir nahmen nach Deutschland wieder Passagiere mit, außerdem auch Ladung. Hauptsächlich Äpfel. Viele Räume im Unterschiff wurden bis fast an die Decke mit Äpfeln angefüllt. Die Räume waren immer beleuchtet und wurden von Aufsehern überwacht. Dennoch unternahm ich mit einem Kameraden einen planmäßig überlegten Raubzug dorthin. Wir schlichen heimlich hinter dem Ronde gehenden Wächter her, krochen auf allen Vieren über die Äpfelfelder und stopften in unsere ausgeschnittenen Matrosenblusen so viel Äpfel, daß wir wie vollbusige Damen aussahen. Dann wollten wir wieder in Distanz hinter dem Wächter zurückschleichen. Der hatte aber etwas bemerkt und rief uns an. Darauf vorbereitet, schossen wir mit Äpfeln. Erst die elektrischen Glühbirnen entzwei und dann im Dunkeln in der Richtung nach dem Wächter. Dabei grunzten, röchelten und zischten wir nach einer einstudierten, unheimlichen Weise und versetzten den Wächter in eine Verwirrung, in der wir leicht entkamen.

      Auch die Rückfahrt mit Volldampf voraus war wieder herrlich. Wir wurden in Hamburg alle entlassen »wegen Aufliegen des Schiffes«. Es war der 1. November 1902.

      Ich bezog mein altes Quartier am Herrengraben und fragte nach meinen Sachen von der »Ramses«. Aber Krahl hatte versäumt, sie von Bord zu holen. Der Dampfer war ausgelaufen und trug nun meine Kleider, meine Wäsche nach der Westküste von Südamerika.

      Ich eilte zu Seidlers. Es machte so warm, Neuigkeiten zu berichten und anzuhören. Die Seidlersche Wirtschaft war die Zentrale, wo alle Nachrichten über unsere Seemannsschicksale zusammenliefen. Der war mit dem oder dem Schiff nach X. unterwegs. Jener hatte an Bord das Ausbrechen von wilden Tieren aus einem Käfig erlebt. Das Schiff eines Dritten war überfällig, und man fürchtete, daß es abgesoffen sei. Neue Liebesdramen und Schlägereien hatten sich abgespielt.

      Ich machte wieder Schulden und schrieb darüber an Vater beschönigende Briefe. Die verbrämte ich mit lustigen Zeichnungen, die immer unseren bissigen Dackel Bob karikierten. So trugen meine Dackelstudien aus der Gymnasialzeit doch noch Früchte.

      Diesmal bekam ich aber bald ein neues Schiff. Ich verheuerte mich als Leichtmatrose auf dem Hapag-Dampfer »Numidia«.

      Wir fuhren nach Antwerpen und liefen dann die portugiesischen Häfen Leixoes und Lissabon an. Von dort aus dampften wir nach Südamerika. Als wir den Äquator passierten, wurde ich mit dem üblichen Ulk gründlich getauft.

      Vor Maranhao verbrachten wir sehr unfreundliche Weihnachten. Man gab uns keinen Landurlaub, weil an Land die Pest herrschte. In der tropischen Hitze arbeiteten wir bis in die späte Nacht hinein, weil wir einen Anker mit Kette verloren hatten, der nur mit Mühe wieder aufzufischen war. Dann mußten wir noch ein leckes Schott reparieren. Als Christgeschenk erhielt jedermann eine Flasche Billbier. Das Bier war aber verdorben. Wir sehnten uns besonders nach frischem Brot.

      Kurzer Aufenthalt in Rio de Janeiro und darauf in Desterro. Briefe aus der Heimat. Neuigkeiten: Wolf litt an einem Bandwurm, Ottilie war ans Hoftheater in Braunschweig engagiert.

      Wir fuhren die ganze brasilianische Küste entlang bis Rio Grande do Sul und löschten und nahmen Ladung. Wir brachten Salz, Zement, Klaviere, Schulbücher, Eisenbahnschienen, Porzellan und anderes Stückgut.