Gesammelte Werke. Ernst Wichert

Читать онлайн.
Название Gesammelte Werke
Автор произведения Ernst Wichert
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9788027237517



Скачать книгу

      Ei freilich, bestätigte der Alte. Der Herr Komtur hat sie mir in Pflege gegeben, da sie eine Verwandte von ihm ist und ein Waisenkind und meine Töchter ungefähr in dem gleichen Alter stehen – ich meine die unverheirateten, denn die Elisabeth hat den Stadtschreiber in Thorn geheiratet, einen sehr ansehnlichen Mann, und die Hanne ist eines Freischulzen Frau geworden, eine Meile von hier in der Niederung. Gestern war Seine Gnaden der Herr Komtur hier und kündete den Junker an, und das junge Fräulein hat eine unruhige Nacht gehabt vor Erwartung, wie meine Töchter erzählen. Das Fräulein – seht, das ist ja auch eben der Grund, weshalb ich Euch nicht bei mir aufnehmen kann. Es würde gleich Gerede geben in der kleinen Stadt, und der Herr Komtur hat strenge Grundsätze. Aber kommt mit mir hinauf, Junker, meine Frau wird sich freuen, wie stattlich Ihr in der Fremde geworden seid, und die Mädel … Er hob den Krug an den Mund und leerte den Rest auf einen Zug – nun, Ihr werdet ja sehen.

      Damit schob er ihn durch die Haustür der Treppe zu. Immer sprechend öffnete er oben und ließ ihn in die Herrenstube ein. Da habt ihr den Junker, sagte er.

      Die Herrenstube war jetzt gegen den Sommer hin als die geräumigste im ganzen Hause von dem weiblichen Hauspersonal zur Arbeitsstube gewählt. Auf einem Tritt von weißem Holz in der einen Fensternische saß eine Matrone, deren rundes Kinn in einer Halskrause steckte, während eine turbanartige Haube nur wenig von dem über der Stirn aufgekämmten Haar sichtbar werden ließ. Sie hatte ein Nähzeug in der Hand. Neben ihr stand ein junges Mädchen in schlicht bürgerlichem Anzuge, damit beschäftigt, ihr gegen das Licht gewandt die Nähnadel neu einzufädeln. Mitten im Zimmer schnitt an einem großen Klapptisch ein wenig älteres und eben so hübsches Kind nach einem Modell Leinwand zu und sah nun überrascht auf. In der Nähe des zweiten Fensters aber, doch schon außerhalb der Nische, bot sich am Spinnrocken eine Erscheinung, die sofort die Augen auf sich ziehen mußte. Obgleich wie die andern mit einer häuslichen Arbeit beschäftigt und im einfachen dunklen Kleide, zeigte die junge Magd, die dort spann, sich doch auf den ersten Blick von so eigener Art, daß niemand sie der Familie hätte zuweisen können. Alles an dieser sitzenden Gestalt war zierlich und doch wohl ausgerundet, die Haut des Gesichts und der Hände von blendender Weiße; ein lichtes, blondes Haar, nicht lockig, aber von der Stirn auf bis zu den Spitzen gekräuselt, nicht lang, aber dicht, gab dem schönen, ungemein lieblichen Gesicht eine breite Goldeinfassung und floß wellig über die Schultern hinab, im Nacken nur lose von einem blauen Seidenbande zusammengehalten. Das volle Licht, das von halber Höhe herab durch das offene Fenster auf die Gestalt fiel, gab ihr etwas Sonniges, so daß gegen den schattigen Hintergrund das Haar zu leuchten schien. Hans blieb wie verzaubert in der Tür stehen. Das junge Fräulein aber ließ auf den Ruf des Alten: Da habt ihr den Junker! den Faden aus den feinen Fingerchen fallen, stand auf, ging rasch einige Schritte vor und rief: Mein Bruder!

      Sie hätte den durch ihre Erscheinung ganz Verblüfften vielleicht in ihre Arme geschlossen, wenn nicht der Ratmann schnell Einspruch erhoben hätte. Hoho, wies er sie zurück, indem er die breite Hand vorstreckte, so war's nicht gemeint! Der Junker Heinz von Waldstein, den Ihr sehnlichst erwartet, ist's nicht, aber auch ein Junker und ein Freund von ihm. Frau – Mädels, erkennt ihr ihn nicht?

      Der Junker von der Buche, sagte die Matrone, indem sie sich nun erhob und ihn begrüßte. Ihr seid hager geworden von dem vielen Studieren, aber das freundliche Gesicht ist noch das alte.

      Das schöne Fräulein aber, jetzt ganz mit Purpur übergossen, trat mit gesenktem Kopfe zurück und stand nun neben dem Spinnrocken, unter den langen Wimpern her nach dem jungen Manne ausschauend, der ihr diese Täuschung bereitet hatte.

      Das ist des Herrn Komturs Pflegekind, bemerkte der Ratmann, oder wenn Ihr wollt, unser Pflegekind, von dem ich Euch sprach, Waltrudis, des Junkers Heinz von Waldstein Schwester, aber wir nennen sie gemeiniglich Trudis, weil uns der Name zu fremd klingt. Nun, wenn Ihr des Bruders Freund seid, werdet Ihr hoffentlich der Schwester genehm kommen. Ist's nicht so? Ihr aber, Junker, steht da, wie der Prinz im Märchen, ganz verzaubert, und habt noch nicht einmal die Marie-Annel und das Bärbchen begrüßt, die doch schon ungeduldig sind, Euch die Hand zu reichen. Was ist das?

      Verzeiht, sagte Hans und holte nun das Versäumte nach, es überraschte mich so … Seine Schwester – er näherte sich Waltrudis und blieb doch wieder in einigen Schritten Entfernung stehen. Es war ein gar freundlicher Willkommen, ob ich ihn schon nicht verdiente. Weiß Gott, erschleichen wollte ich ihn mir nicht, aber nun Ihr mich einmal mit einem so guten Wort angeredet habt, laßt es Euch nicht gereuen, denn ich bin Heinz von ganzem Herzen brüderlich gesinnt und hoffe mir auch Eure Freundschaft zu erwerben.

      Waltrudis schlug die großen, unschuldigen Augen zu ihm auf und antwortete lächelnd: Wahrlich, Ihr tragt keine Schuld an diesem Vergehen. Seit ich aber gestern abend erfahren habe, daß ich heute meinen Bruder finden soll, hab' ich ihn immer in Gedanken. Nun ich Euch näher betrachte, sehe ich wohl, daß ich nicht hätte irren dürfen.

      Ei, ein Unbekannter ist doch wie ein anderer, meinte Frau Clocz, und der Junker von der Buche kann's mit jedem aufnehmen.

      Ich habe mir auch meinen Bruder anders vorgestellt, entgegnete das Fräulein, und daß ich mir ein Bild von ihm zu machen suchte, ist gewiß nicht befremdlich. Lacht mich nur aus, aber ich hätte darauf schwören mögen, daß er blondes Haar haben müsse wie ich, und blaue Augen.

      Darin täuscht Ihr Euch nicht, bestätigte der Junker, und er ist auch sonst ein ganz anderer Mann als der fahrende Scholar, der vor Euch steht. Ihr werdet Eure Freude an dem munteren Gesellen haben, der gewiß mit seinem Kommen nicht deshalb zögert, weil er verschlafen hat. Sicher hat ihm der Komtur die Stunde aufgegeben. Man erzählte mir in Graudenz, daß er ein strenger Mann sei, der in allem pünktlich auf Ordnung halte.

      Ach nein, ein strenger Mann ist er nicht, versicherte Waltrudis, gegen mich ist er immer milde und gütig, und ich glaube, man verkennt ihn sehr. Wenn er befiehlt, muß es freilich geschehen; er hat auch einen so zwingenden Blick, daß ich mir's gar nicht denken kann, wie ihm jemand zu widersprechen vermöchte.

      Wenn er zornig ist, will ich ihm nicht in die Quere kommen, bemerkte der Alte. Ich bin einmal mit zwei andern vom Rat bei ihm auf dem Schlosse gewesen, ein Vorstellen anzubringen, weil die Bürgerschaft eine Beschwerde zu haben glaubte, da hat er uns ziemlich unsanft heimgeleuchtet – hahaha! Freilich ist's hinterher zu unserm eigenen Besten gewesen, daß er sein Stück durchsetzte.

      Währenddem kam der Packknecht herauf, der nebenan im unteren Speicherraum Flachs und Hede in Ballen zusammengeschnürt hatte, und meldete einen fremden Herrn, den der Komtur schicke. Er habe nicht eintreten wollen, bis er den Ratmann gesprochen. Clocz entfernte sich sogleich. Das ist er sicher, sagte Marie-Annel und klopfte Waltrudis schalkhaft auf die Schulter. Die aber sandte zu Hans von der Buche einen schüchtern bittenden Blick hinüber. Er verstand sie und sagte schnell zu den beiden Mädchen: Der Spaß ist verdorben, wenn er mich gleich beim Eintreten sieht, da er mich doch über alle Berge wähnt. Wir haben früher manchmal Verstecken gespielt; laßt sehen, liebe Jungfrau, ob wir noch einen von den alten Schlupfwinkeln finden. Dort im Stübchen nebenan steht der Wirkstuhl, nicht wahr? Und daran stößt eine lange Kleiderkammer, in der es so gruselig dunkel war. Gebt mir einen weiten Mantel und eine litauische Kappe, daß ich mich unkenntlich mache und ihn ein wenig foppe. Sie waren sofort bereit. In der Wirkstube aber verredete er's wieder. Ich habe sie nur beim ersten Begegnen miteinander allein lassen wollen, sagte er. Muß er auf uns achtgeben, so hat er seine Schwester nur halb, und ihr soll er doch nun vor allen gehören. Diese zarte Rücksicht schien ihrem kleinstädtischen Verständnis etwas sonderbar, aber sie fügten sich gern, da sie nun beste Gelegenheit hatten, mit dem Junker ungestört zu plaudern.

      Diesmal war Waltrudis nicht voreilig. Sie stand neben ihrer Pflegemutter, die Hand auf deren runden Arm gelegt, und wartete, bis der Hausherr des Gastes Namen genannt hatte. Heinz aber warf seine Kappe in die Luft, ging mit ausgebreiteten Armen auf sie zu und rief: Waltrudis – Schwester! Ist es denn gewißlich wahr? Meine Schwester – du?

      Seine Hände berührten ihre Schultern, und er hatte das Gefühl, als ob sie unter dieser Berührung erzitterten. So ihr zustrebend, hatte er nun doch nicht den Mut, sie an seine Brust zu ziehen, hielt sie eher mit straffen Armen eine Weile von sich ab, sah ihr mit forschendem Blick ins Gesicht und sagte: Wie schön du