Gesammelte Werke. Ernst Wichert

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Название Gesammelte Werke
Автор произведения Ernst Wichert
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9788027237517



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Komtur saß in seinem kleinen Gemach, das in seiner Schmucklosigkeit einer Mönchszelle glich, auf einem ungepolsterten, steiflehnigen Stuhl neben seinem Schreiber und revidierte das Zinsbuch. Mancherlei Rückstände der Zinspflichtigen waren dort eingetragen, auch Darlehne notiert, die einigen von den eingesessenen Gutsherren oder Schulzen zum Aufbau von Gebäuden nach erfolgtem Brandschaden oder zu anderen wirtschaftlichen Zwecken aus der Ordenskasse bewilligt waren. Nun schien es Zeit, diese Außenstände einzuziehen, ehe der Krieg die Rückzahlung erschwerte, und deshalb sollten Einmahnungen an die Schuldner ergehen.

      Als dem Komtur angezeigt wurde, daß der Junker von Waldstein vor der Tür auf Einlaß warte, erheiterte sich sein Gesicht. Er stand rasch auf, klappte den Folianten zu und trat ans Fenster, dem Schreiber den Rücken zukehrend. Der hatte aber wohl bemerkt, daß ihm das Blut in die Stirn geschossen war, wie wenn ihn sonst der Zorn anwandelte, und hielt sich ganz ruhig auf seinem Platz, weitere Befehle abzuwarten. Plauen stand eine Weile und schaute auf den Strom hinaus über die schmale Landspitze hinweg, an der sich das Schwarzwasser mit ihm vereinte. Die rechte Hand hatte er unter das Wams gesteckt und hielt sie dort auf der Brust. Vielleicht schlug sein Herz stärker als gewöhnlich, vielleicht hatte er sich mit schweren Gedanken abzufinden, die ihn plötzlich bestürmten?

      Dann wandte er sich zurück und hieß in ruhigem Tone den Schreiber gehen. Der Gast sollte eintreten. Er setzte sich wieder auf den Stuhl und stützte den Kopf in die Hand.

      Heinz blieb an der Tür stehen und verbeugte sich tief. Er wartete auf eine Anrede. Da sie nicht erfolgte, begann er selbst: Hochwürdigster Herr Komtur, ich hoffe, Euch durch Euren Bruder, den Kaiserlichen und Reichshofrichter Herrn Heinrich von Plauen, und durch Euren Vetter, den edlen Heinrich Reußen, im voraus gut empfohlen zu sein. Sie haben mich zu Euch nach Preußen geschickt mit diesen Briefen, die sicher alle nähere Auskunft geben, damit ich mich Euch von Angesicht vorstelle und erfahre, ob Ihr mich in Eurem Dienste brauchen oder dem Herrn Hochmeister empfehlen wollt. Man hat mir gesagt, daß ich zu Eurem Hause gehöre.

      Der Komtur musterte ihn, während er die Briefe überreichte, mit seinen grauen, ernsten Augen so eindringlich, daß er ein wenig verschüchtert den Blick senkte. Es war ihm, als müsse dieses erste Begegnen darüber entscheiden, wie er für alle Zeit dem würdigen Manne genehm oder unlieb erscheinen solle, und blitzschnell durchzuckte ihn der Gedanke, keine Nacht in dem finstern Schlosse bleiben zu dürfen, wenn er die Probe nicht bestehe. Darüber konnte ihn nun freilich ein mit freundlicher Betonung gesprochenes: Du bist willkommen, Heinrich, beruhigen. Das vertrauliche Du sagte ihm, daß er sich wirklich zum Hause gehörig betrachten dürfe.

      Plauen las die Briefe oder überflog wenigstens ihren Inhalt. Dabei schweiften seine Blicke fortwährend über das Papier zu dem bescheiden Wartenden hinüber und schienen an dem stattlichen jungen Manne mehr und mehr Wohlgefallen zu finden. Zuletzt öffnete er auch den Brief des Danziger Komturs. Was darin stand, schien ihn lebhaft zu fesseln: er las offenbar Zeile für Zeile, und manchmal blitzten die Augen freundlich oder nickte zustimmend der Kopf. Als er fertig war, legte er das Schreiben neben sich auf den Tisch, stützte die Hand darauf und erhob sich vom Stuhl. Bruder Johann von Schönfels schreibt mir, daß du dich brav gehalten hast im Kampfe mit den Seeräubern, sagte er, und zu Pfingsten beim Stechspiel der Danziger. Das freut mich zu hören. Sei mir nun doppelt willkommen. Ich hoffe, du wirst unserem Orden gute Dienste leisten, wo man sie auch fordert, und dir zu eigenen Gunsten des Herrn Hochmeisters Dank verdienen.

      Mit diesen Worten schritt er auf ihn zu und streckte ihm die Hand entgegen. Wie er ihm dann aber ganz nahe kam und die von der Freude über dieses Lob glänzenden Augen ihn hell anblitzten, wurde er anderen Sinnes. Er legte ihm beide Hände auf die Schultern, zog ihn an sich und küßte ihn auf Stirn und Mund. Heinz wurde ganz eigen zumut bei dieser Liebkosung, die ihm ganz unerwartet kam und so wenig zu der strengen Haltung des Ordensgebietigers paßte. Er bückte sich, Plauens Hand zu küssen, die nun die seinige erfaßt hatte und kräftig drückte. Der Komtur ließ es geschehen.

      Wundere dich nicht, sagte er dann, daß ich dich wie einen lieben Verwandten begrüße. Du bist es mir durch deine leider so früh verstorbene Mutter, eine treffliche Frau, die ich warm verehrte und deren Andenken sich mir durch dich erneuert. Ich finde in deinem Gesicht manchen Zug wieder, der ihr angehörte. Oh, wie vieles wäre heut anders, wenn Gott ihr länger das Leben gelassen hätte!

      Die Augen wurden ihm feucht, während er so sprach und den Jüngling liebevoll betrachtete. Aber rasch faßte er sich wieder und ward seiner Rührung Herr. Du erinnerst dich meiner schwerlich, fuhr er mit festerer Stimme fort, aber ich habe den Knaben in dem einsamen Waldhause oft besucht, wo er seine ersten Lebensjahre verbrachte, und wir waren damals gar gute Freunde. Dann geschah es auf meine Verwendung, daß du von meinen Verwandten aufgenommen wurdest, da ich selbst als Bruder des Deutschen Ordens deine Erziehung nicht leiten konnte. Hatte ich dich aber viele Jahre aus den Augen verloren, so doch nicht aus dem Gedächtnis. Oft hat man mir zu meiner Freude Löbliches von dir berichtet, denn lieb war mir's zu hören, daß du zum geistlichen Stande nicht Neigung hattest und ein wackerer Kriegsmann werden wolltest. Dazu ist nun hier in Preußen reichlich Gelegenheit, und deshalb rief ich dich zu mir. Zeige dich auch ferner meines Vertrauens würdig, und es soll dir an meiner Fürsprache nicht mangeln.

      Er fragte nun nach seinen Verwandten und Freunden in der Heimat, ließ sich von der Reise berichten und hörte aufmerksam zu, als Heinz von den letzten Vorfällen in Danzig und dem Streit zwischen Schloß und Stadt wegen der Vitalienbrüder erzählte. Da fehlt die feste Hand, bemerkte er zwischenein. Man muß die Bürger bei allen ihren Rechten erhalten, wie man's ihnen gelobt hat, aber nicht die mindeste Anmaßung dulden, den Geist der Widersetzlichkeit im Keim ersticken. Was sie heute ungestraft versuchen, werden sie morgen zu erzwingen bemüht sein. Ich war vor dreizehn Jahren Kumpan des Komturs zu Danzig und Hauskomtur daselbst, kenne Letzkau und Hecht und alle die anderen Stimmführer im Rate der Rechten Stadt und weiß wohl, wohin sie streben. Damals freilich haben sie nicht gewagt, Gericht zu halten ohne mich, wenn ich dabeisein wollte. Dafür sind wir denn auch als gute Freunde geschieden.

      Heinz erlaubte sich keine Entgegnung darauf, so sehr ihm auch gerade das trotzige Wesen der Ratsherren gefallen hatte; er merkte wohl, daß der Komtur in diesen Dingen seine Ansicht fest begründet hätte und auf seine grüne Weisheit wenig geben würde. Rasch lenkte er also davon wieder ab und sprach von dem lustigen Pfingstfest und von des Königs Artus Tafelrunde, bei der Johann von Schönfels das Szepter getragen. Auch dazu schüttelte der Komtur bedenklich den Kopf. Die Elbinger und Danziger haben sich den König Artus von Lübeck mit nach Preußen gebracht, sagte er, und man mag's ihnen wohl gönnen, daß sie sich beim Spiel seiner erinnern als eines ritterlichen Herrn; wer aber ernstlich Ritterschaft in sich trägt, der sollte sich nicht brauchen lassen zum Scherz, denn das bringt falsche Ehre, und wem ich gedient habe beim Spiel, dem muß ich hinterher auch ein gefälliger Herr sein, wenn ich nach dem Recht strafen sollte.

      Auch darauf verhielt der Junker sich still. Er hatte es so nicht empfunden und es eher für etwas recht Vornehmes gehalten, daß der Danziger Komtur den kürzlich geschlichteten Streit vergaß und herablassend sich beim Spiel beteiligte.

      Da nun durch sein Schweigen das Gespräch ins Stocken geriet, ging der Komtur ein paarmal in dem engen Gemach auf und ab, nahm wieder die Briefe auf, blickte hinein und legte sie auf den Tisch zurück. Heinz nahm an, daß er allein sein wolle, und entfernte sich nach der Tür. Nun winkte ihm jener aber, noch zu bleiben.

      Man wird dir gesagt haben, begann er von neuem, daß du eine Schwester hast.

      So ist es, hoher Herr.

      Und daß du sie hier finden sollst.

      Das hat man mir versprochen.

      Plauen nickte. Du sollst Waltrudis sehen, sobald sie vorbereitet ist – nicht hier im Schlosse, das sie nie betrat, sondern in der Stadt, wo ein Freund sie in sein Haus aufgenommen hat. Sie ist fast drei Jahre jünger als du und deiner Mutter Ebenbild. Sie starb, bald nachdem sie diesem Kinde das Leben gegeben hatte.

      Die letzten Worte sprach er leise und mit dumpfem Ton; die Augen trübten sich, und der Mund zuckte schmerzlich. Morgen, sagte er, morgen vielleicht schon. Geh jetzt – ich werde dir eine Kammer anweisen. Vor Abend spreche ich dich noch.

      Heinz