Gesammelte Werke. Ernst Wichert

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Название Gesammelte Werke
Автор произведения Ernst Wichert
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9788027237517



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nicht anders als mit einzelnen Menschen. Manches Haus sehe äußerlich noch gar stattlich aus und sei innen doch jeder Balken von Würmern zernagt und jeder Dachsparren angefault; es frage sich nur, wann und von welcher Seite es einen kräftigen Stoß erhalte, daß es über den Haufen stürze. Man müsse sich vorsehen für alle Fälle, und wer jung sei, könne noch etwas erleben.

      Hans achtete auf solche unverständliche Reden wenig; Natalia zuckte die Achseln und bemerkte spöttisch: Sagt mir doch, wann es so weit ist, Herr Komtur, daß ich das Schauspiel nicht versäume. Ihr nehmt gern den Mund voll großer Worte und gebt, denke ich, Rätsel auf, zu denen Ihr die Auflösung selbst nicht wißt. Dazu lachte er verschmitzt und sagte: Wartet nur ab, Ihr habt's ja bei Euren Jahren noch nicht so eilig, Fräulein.

      Daß auf dem Schlosse zu Rheden etwas Ungewöhnliches vorging, konnte bald keinem Aufmerksamen entgehen. Fast täglich kamen dort Fuhrwerke an, die mit Kisten und Kasten beladen waren. Sie mußten wohl einen kostbaren Inhalt haben, da stets ein Ordensritter mit einigen Knechten sie begleitete und für die Ablieferung an den Komtur Sorge trug. Es war in der Tat das Gold- und Silbergeschirr, das nach des Hochmeisters Befehl aus allen Landesburgen nach Rheden zusammengebracht werden sollte, um dort eingeschmolzen und zur Befriedigung des Königs von Polen oder zu Kriegsrüstungen verwandt zu werden. Auch aus vielen Landkirchen wurden die wertvollen Altargeräte aufs Schloß gebracht, wie es hieß, zur besseren Sicherung im Falle der Not. Das geschah auf des Komturs Weisung. Selbst aus der Marienburg langten mehrere vierspännige Wagen an, die des Hochmeisters Tafelgeschirr überbrachten. Nicht weniger flossen hier die Geldsummen zusammen, die noch an Schoß von den kleinen Städten und vom Lande aufzubringen gewesen waren. In der Schatzkammer des Hauses häuften sich die Wertsachen und füllten sich die Truhen. Georg von Wirsberg aber hatte den Schlüssel und trug ihn stets bei sich.

      Die Brüder hatten ein gutes Leben. Ihr Komtur war nicht streng und hielt selbst wenig von Fasten und Beten. Mitunter wurde bis in die Nacht hinein munter pokuliert, und die Wächter der Stadt hörten vom Refektorium des Schlosses her wüsten Gesang und helles Lachen. Auch Vermummte wollte man einschleichen gesehen haben, die man für Weibspersonen hielt.

      Darüber gab's in der ehrsamen Bürgerschaft viel böses Gerede. Das muß ein schlimmes Ende nehmen, meinten die Alten kopfschüttelnd: sie verprassen des Ordens letztes Gut, und solche Zuchtlosigkeit war noch nie im Lande.

      35. DER KOMTUR VON RHEDEN

       Inhaltsverzeichnis

      Es war eine warme, sternhelle Nacht. Auf der Landstraße, die von Thorn quer durch das Kulmer Land nach Rheden führte und nur noch eine gute Stunde von der Burg entfernt, ließ sich ein einsamer Reiter bemerken. Er trug einen breiten Schlapphut von grauem Filz ohne Feder und einen braunen Mantel von leichtem Tuch, der von der schlanken Gestalt hinabgeglitten war und sich bauschig wie ein Rock um die Hüften legte, selbst die Füße bedeckend. Er ritt bald Schritt, bald in langsamem Trabe, augenscheinlich mehr nach dem Belieben des Pferdes als nach seinem eigenen. Meist hielt er beide Hände mit den losen Zügeln auf den Sattelknopf gestützt und schaute am Halse des Tieres vorbei auf den Erdboden. Manchmal aber zuckte er, scheinbar ohne äußere Veranlassung, zusammen, schüttelte sich und zog heftig den Zügel an. Dann ging's eine Strecke in rascher Gangart fort, doch nicht weiter, als es dem Gaul gefiel, der bald merkte, daß es dem Reiter diesmal mit dem schnellen Weiterkommen nicht Ernst war.

      Um so eiliger schien's ein zweiter Reiter zu haben, der jetzt auf derselben Straße und aus derselben Richtung von Thorn her sich nähernd in der Ferne sichtbar wurde. Er war mit Lederwams und Mütze von Hundefell bekleidet und hatte den weißen Mantel hinten auf den Sattel gebunden, das breite Schwert aber nebst einer Blechkappe vor sich angehängt. Mitunter hob er sich in den Steigbügeln, um weiter ausschauen zu können. Als er die Gestalt vor sich bemerkte, spornte er das Pferd und war nun bald in raschem Trabe hinter ihr her. Der vorausreitende schlanke Geselle blickte zurück und schien einen Moment zweifelhaft, ob er sich eiligst davonmachen oder den andern an sich vorüberlassen sollte. Er entschied sich für das letztere, indem er sein Pferd ein wenig nach links führte und so die Bahn frei machte. Darum war es jedoch dem Ritter nicht zu tun. Er verhielt, sobald er auf gleicher Linie war, den Zügel, bückte sich ein wenig, um besser unter den Schlapphut sehen zu können, und sagte: Ein Glück, daß ich Euch einhole, Fräulein, Ihr waret mir von Thorn mehr als eine Stunde voraus.

      Er hatte Natalia richtig erkannt. Sie zog den Mantel fester um die Hüften und bis zur Brust hinauf, wandte das Gesicht halb zur Seite und antwortete: Ich habe keine Eile und komme immer noch vor Sonnenaufgang nach Buchwalde. Der Weg ist breit genug, ich lasse Euch gern vorüber.

      Der Weg ist auch breit genug, daß wir nebeneinander reiten können, meinte der andere. Wollt Ihr mit meiner Gesellschaft vorliebnehmen, Fräulein? Sie ist immer noch besser als die der Dame Langeweile, die sich bei solchen einsamen Ritten über Land nicht abweisen läßt.

      Ihr sprecht sehr bescheiden, Herr Georg von Wirsberg, entgegnete Natalia. Das ist sonst Eure Art nicht. Aber bemüht Euch meinetwegen nicht im mindesten; ich bin um Unterhaltung niemals verlegen, wenn ich meinen Gedanken nachhänge.

      Glücklich der, mit dem sie sich beschäftigen, bemerkte der Komtur galant.

      Verflucht der! fuhr sie heftig auf. Ihr ratet schlecht.

      So wär's verdienstlich, Euch von so schlimmen Gedanken abzuziehen, Fräulein.

      Wenn Ihr das vermöchtet!

      Laßt mich's versuchen. Ihr wißt, wie sehr ich Euch verehre. Wenn Ihr mir freundliches Gehör schenken wolltet, mein schönes Fräulein –

      Ich hab's Euch schon einmal ernstlich verwiesen, so zu mir zu sprechen. Haltet Ihr mich für eine Närrin?

      Ich halte Euch für das, was Ihr seid: das schönste und liebenswerteste Geschöpf unter der Sonne.

      Unverschämter!

      Erzürnt Euch nicht gegen mich. Meine Gesinnungen sind die aufrichtigsten und redlichsten. Daß Ihr mir glauben wolltet! Wenn je ein Weib –

      Schweigt! Ihr versündigt Euch an dem Orden, dem Ihr Euch gelobt habt.

      Der Komtur lachte auf. Man hat mich dem Orden gelobt, da ich ein Knabe war. Ich bin ein jüngerer Sohn und brauchte eine Versorgung: da blieb nur die Wahl zwischen Kutte und Kreuz. Aber was wußte ich vom Leben? Was verstand ich von den Bedürfnissen des Herzens? Ich wurde ein Mann und begriff, daß ich mir Unmenschliches aufgebürdet hatte. Soll ich nun der Sklave eines unverstandenen Gelöbnisses sein? Ich bin ein Wesen von Fleisch und Blut; meine Sinne sind wie anderer Menschen Sinne, sie wollen die Welt erfassen und ihrer froh werden. Bin ich ein Gefangener, so trage ich doch nicht geduldig meine Ketten. Heimlich feile ich daran, und bald, so Gott will, sollen sie von mir abfallen. Ahntet Ihr, wie ich mich nach der Freiheit sehne!

      Natalia hob den Kopf und maß ihn mit einem spöttischen Blick. Das laßt niemand von den Brüdern hören, sagte sie, man möchte Euch sonst eine sichere Wohnung anweisen, aus deren Mauern Ihr nicht so leicht ausbrechen solltet.

      Glaubt das nicht, entgegnete er. Unter den Brüdern sind viele, die denken wie ich – vielleicht die meisten von den jüngeren. Der Deutsche Orden hat sich überlebt, darüber täuscht sich niemand mehr. Im Heiligen Lande hatte er seine Wurzel, aber schon dort krankte der Stamm. Man verpflanzte ihn hierher in den nordischen Boden, und er schien zu gedeihen, solange das Blut der Heiden ihn nährte. Nun ist sein Wachstum gelähmt, und seine Blätter werden gelb. Er braucht andere Säfte. Wir Brüder des Deutschen Hauses beherrschen ein mächtiges Reich und sollen uns einbilden, arm zu sein und knechtischen Gehorsam zu schulden? Zu Ehren Gottes haben wir es erkämpft als Priester in Waffen. Nun ist unsere Herrschaft weltlich geworden, und weltlich müssen wir selbst werden, damit sie gedeihe. Was hindert uns, wenn wir einig sind, unsern Besitz zu teilen und einen erblichen Fürsten über uns einzusetzen? Sollen wir unsern Nachbarn, dem König von Polen und dem Großfürsten von Litauen, Widerstand leisten können, so muß auch dieses Land ein Oberhaupt haben, das eine Krone trägt und über einen mächtigen, sein Hab und Gut verteidigenden Adel gebietet.