Gesammelte Werke. Ernst Wichert

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Название Gesammelte Werke
Автор произведения Ernst Wichert
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9788027237517



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der unvermeidlichen Erbteilung näher zu sein und rechtskundige Berater zur Seite zu haben. Aber nach Buchwalde kam Frau Cornelia nicht, erklärte auch ganz offen, daß sie dort ebensowenig in Zukunft den Witwenstuhl aufzuschlagen gedenke. Es gefiel ihr in der großen Handelsstadt, die immer halb mit ihren Landsleuten gefüllt war, sehr gut. Stundenlang konnte sie hinter der Windlade des Hauses oder am Fenster sitzen und auf das Marktgewühl hinabsehen; ohne sich viel bewegen zu dürfen, fand sie dort für ihre Augen immer Beschäftigung. Auch fehlte es nicht an Umgang, der ihr allerhand Neuigkeiten zutrug. Die früheren Nachbarn aus dem Kulmer Lande kamen nicht leicht nach der Stadt, ohne bei ihr anzusprechen und ein Stündchen zu plaudern. Darunter waren denn auch die Eidechsenritter, die sie oft als Gäste ihres Mannes bewirtet hatte, vor allen der wilde Nikolaus von Renys, der sich mit Vorliebe in Scheltreden über den Hochmeister und das Ordensregiment erging, auch kein Blatt vor den Mund nahm, daß doch nur ein dauernder Friede zu erreichen sei, wenn das Kulmer Land an Polen abgetreten würde, was ihr wohl gefiel zu hören. Von jenseits der Grenze fanden sich öfters auch die Brüder und Vettern ein, dazu Hauptleute von den polnischen Fähnlein, die an der Weichsel Wache hielten, und Leute, die von Warschau oder aus des Königs Quartier nach der Marienburg oder nach Königsberg durchreisten, die noch nicht ausgeglichenen Streitfragen zu ordnen. Auch Geistliche gingen ab und zu, besonders solche, die mit dem Bischof von Kujawien in Verbindung standen und in den Klöstern gut aufgenommen waren. Nikolaus von Renys wußte sogar zu erzählen, daß der Bischof von Ermland, Heinrich Vogelsang, der sich trotz des Friedens noch immer nicht in sein Ländchen zurückwagte, bei Frau Cornelia eine geheime Zusammenkunft mit einigen Herren des Heilsberger Domkapitels, mehreren von der ermländischen Ritterschaft und einigen Sendboten der kleinen Städte gehabt habe, um gemeinsame Schritte gegen den Orden zu beraten. Man hatte es jedoch noch nicht an der Zeit gehalten, offen seine Feindseligkeit zu zeigen, da die harte Bestrafung der Danziger in zu frischem Andenken war. Frau Cornelia tat schwerlich etwas dazu, alle diese dem Orden feindlichen Elemente bei sich zu sammeln und in Verkehr miteinander zu bringen, nahm vielleicht selbst nur den flüchtigsten Anteil an dem, was ihre Gäste planten und ratschlagten, aber es genügte auch völlig, daß man ihr Haus immer offen und darin gerade die gewünschte Gesellschaft fand. Seit kurzem zeigte sich nun auch häufig ein Mann, den man am wenigsten hätte dort erwarten sollen, der Komtur von Rheden, Herr Georg von Wirsberg.

      Natalia war ihrer Mutter nach Thorn gefolgt, hatte aber bei ihr nicht lange Ruhe. Bald begleitete sie die Vettern wieder nach Sczanowo, um nach einigen Tagen zurückzukehren und nach kurzem Aufenthalt einen unvermuteten Besuch in Buchwalde abzustatten. Diese Reisen machte sie stets zu Pferde, oft in Männerkleidern, mit einem polnischen Säbel und langem Dolch bewaffnet. Zwischen Thorn und Buchwalde ritt sie manchmal ganz allein, ohne irgendeine andere Begleitung als die einer großen englischen Dogge, selbst zur Nachtzeit. Sie blieb wohl auch Tage und halbe Wochen lang auf dem Gut, aber ihr Bruder sah sie gleichwohl wenig. Ihre Lieblingsbeschäftigung war's, auf der steinigen Heide umherzureiten, und sie ritt wilder und toller als je. Auch suchte sie gern den alten Waldmeister auf, der sich seit lange schon außerhalb seines Reviers nicht mehr blicken ließ, und begleitete ihn zur Jagd, wenn er sie bei guter Laune neben sich litt, oder nahm ein paar Buben aus dem Heidenwall mit, die sie in die verstecktesten Schluchten am See und in die tiefsten Waldgründe führen konnten. Einmal hatte sie sogar im Wall bei dem alten Kräuterweibe genächtigt, das als Hexe verschrien war. Sie hatte von ihr wissen wollen, ob es einen Zauber gäbe, der einen Menschen an den andern zwinge, und ein Tränkchen verlangt, von dem die Leute sprechen, daß es solche Wirkung übe. Die Alte hatte ihr's auszureden versucht, war aber mit dem Dolch bedroht worden. Sie wolle sich den heidnischen Göttern verschwören, hatte sie gesagt, wenn das Bedingung sei; auf das ewige Heil leiste sie Verzicht, sofern sie nur hier auf Erden über einen einzigen Menschen Macht erhalte, den sie liebe und hasse zugleich. Die Alte wollte nichts von solcher Kunst wissen. Ein Tränkchen kenne sie wohl, das den stärksten Mann in einen willenlosen Zustand versetze, daß man ihn nach Belieben küssen oder töten könne; wer aber wache, den könne sie nicht zwingen.

      Den Gutsleuten erschien das Fräulein selbst unheimlich. Sie schlugen hinter ihr ein Kreuz, wenn sie auf schnaubendem Pferde mit gelöstem Haar im Felde an ihnen vorüberjagte, schrille Laute ausstoßend, die wie das Geschrei der Zugvögel klangen. Ihr Gesicht war zum Erschrecken bleich; nur manchmal nach heftiger Bewegung zeichneten sich auf den Wangen rote Flecken ab. Dabei schien innere Glut sie zu verzehren: die Lippen waren immer trocken, so oft die Zunge sie auch anfeuchtete, in den Augen loderte das Feuer. Keine Ermüdung konnte die Unruhe bezwingen, die sie ewig auftrieb und den Ort zu wechseln zwang. In Gesellschaft der Männer, die im Hause ihrer Mutter verkehrten, war sie mitunter bis zur Ausgelassenheit munter, aber plötzlich schlug ihre Lustigkeit in ein launenhaftes Wesen um, so daß sie nun durch unartige Reden und hämische Bemerkungen jeden verletzte, der sich ihr freundlich näherte. Mit ihrem Bruder sprach sie selten mehr als das Notdürftigste; jeden Versuch, sie an sich heranzuziehen und vertraulicher zu stimmen, wies sie schroff zurück. Und doch schien sie sich dabei selbst Zwang anzutun. Mitunter hielt sie sich stundenlang in dem Raum auf, in dem er sich beschäftigte, und beobachtete ihn scharf, als wollte sie eine günstige Gelegenheit erspähen, ihn in ihr quälendes Geheimnis einzuweihen. Aber das Wort kam nicht über ihre Lippen, das ihm vielleicht schnell ihr ganzes Herz geöffnet hätte, und dann nach solchem vergeblichen Ringen war's, als ob sie ihm zürnte, daß er sie nicht zwang. Dann faltete sich die Stirn, und die kleinen scharfen Zähne bissen aufeinander; sie kehrte ihm den Rücken und eilte fort.

      Auch an seine Schwester dachte Hans nicht, wenn er sein Haus schmückte. Jetzt weniger als je konnte er ein sicheres Verhältnis zu ihr gewinnen. Er hatte sie von Herzen lieb, sah sie doch lieber scheiden als kommen: sie störte jedesmal den Frieden seiner schönen Träume, die ein anderes Frauenbild umschwebten, das freilich nur ihnen nutzbar war. Dort in der Vorburg der Marienfeste, im Hause des wackeren Gießmeisters Ambrosius weilten alle seine Gedanken. Zwar hatte er keine Nachricht, ob Waltrudis sich noch jetzt dort aufhalte; daß sie aber nicht nach Schwetz in das Haus des Ratmannes Clocz zurückgekehrt sei, wußte er, und so nahm er an, daß der Hochmeister sie gern in seiner Nähe behielt. Manchmal schalt er es selbst Wahnsinn, seine Wünsche auf einen so hohen Gegenstand zu richten, meist aber war er frohen Herzens und guter Zuversicht, daß der Liebe kein Hindernis unüberwindlich sei. Dann arbeitete er um so mutiger an der Wiederherstellung seines Hofes und Aufrichtung seiner Wirtschaft. Das Haus mußte innen so schmuck ausgestattet werden, weil es eine junge Frau empfangen und herbergen sollte, und nicht eher meinte er einen Schritt zu diesem letzten Ziele wagen zu dürfen, bis er sagen könnte: es ist alles bereit.

      So unablässig mit seinem Herzen beschäftigt, hatte er den öffentlichen Angelegenheiten kaum halbe Teilnahme geschenkt. Ganz konnte er sich ihnen allerdings nicht entziehen. Den Winter über und bis in das Frühjahr hinein hatten sich die Eidechsen still gehalten; einige von ihnen waren durch den Krieg schwer geschädigt und nun durch die Sorge für ihren Besitz völlig in Anspruch genommen, andere meinten guten Grund zu haben, wegen der Vorfälle in der Tannenberger Schlacht möglichst wenig von sich reden zu machen. Man sprach wohl bei gelegentlichem Zusammentreffen von dem Bunde und versicherte sich, daß man daran festhalten wolle, unterließ es aber, sich in größerer Zahl zu versammeln. Erst als das Haus Rheden wieder von den Polen geräumt und den Brüdern übergeben war, die der Hochmeister aus den benachbarten Konventen dorthin geschickt hatte, und nun die Gefahr nähertrat, daß der Orden gegen die Feldflüchtigen ein Verfahren einleiten oder ihnen wenigstens allerhand Ungelegenheiten bereiten möchte, fühlte man das Bedürfnis, sich enger aneinanderzuschließen und zu gemeinsamem Widerstande zu rüsten. Auffallend konnte es dann erscheinen, daß sich bald gegen alles Erwarten ein freundschaftlicher Verkehr zwischen mehreren von den eifrigsten und angesehensten Mitgliedern des Bundes und einigen von den Schloßherren bemerkbar machte. Namentlich war es der Deutschordensritter Friedrich von Wirsberg, ein Bruder des Komturs, der viel im Gebiet von Rheden, Roggenhausen und Engelsburg umherritt und überall bei Eidechsenrittern einkehrte, oft auch bei einzelnen von ihnen nächtigte. Als dann der Komtur selbst anlangte, wurde das Treiben noch munterer; er schien sich mehr auf den Gutshöfen seiner Eingesessenen als auf dem Schloß aufzuhalten. Den Vorwand gab seine Verpflichtung, sich in seinem Verwaltungsgebiet umzuschauen, den Kriegsschaden festzustellen und die Ordnung der Dinge wieder aufzurichten: bald war es aber unter den Beteiligten kein Geheimnis mehr, daß man es nicht mit einem gestrengen Herrn zu tun hatte, der des Ordens Gerechtsame eifrig gegen