Himbeerdrops und Dynamit. Maj Bylock

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Название Himbeerdrops und Dynamit
Автор произведения Maj Bylock
Жанр Книги для детей: прочее
Серия
Издательство Книги для детей: прочее
Год выпуска 0
isbn 9788711791141



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als wir vom Bahnsteig wegspazierten.

      Ich vergaß fast, wohin wir unterwegs waren. Aber nur fast! Der Weg zum Haus des Zahnarztes war viel zu kurz. Meine Hand lag wie ein klebriges Stückchen Eis in Großvaters warmer Pranke. Meine Zähne klapperten.

      Großvater hielt meine Hand getreulich fest, bis der Zahnarzt ihn bat, beiseite zu treten. Und meine Zähne hörten erst auf zu klappern, als ich den Mund weit aufsperren mußte.

      Nadelscharfe Blitze aus silbernem Licht stachen mir in die Augen. Bedrohliches Klirren schnitt mir in die Ohren. Meine Beine wanden sich umeinander, bis die Strümpfe wie Wursthäute an ihnen herabhingen. Mit angehaltenem Atem wartete ich auf das fürchterliche Ereignis.

      »So, das wär’s«, sagte der Zahnarzt im selben Augenblick und hielt mir etwas Blutiges hin.

      Dann preßte er einen Wattebausch an die Stelle, wo der Zahn gewesen war. Bevor ich überhaupt begriffen hatte, daß alles vorbei war, stand ich schon wieder auf wackeligen Beinen auf dem Boden.

      Inzwischen hatte Großvater meinen Platz im Stuhl eingenommen. Da wir schon einmal da waren, konnte er sich gleich ein neues Gebiß anpassen lassen.

      Erst als wir auf der Straße standen, wagte ich, meiner großen Freude Lauf zu lassen.

      Wir setzten uns ein Weilchen zum Ausruhen in den Park. Dort plätscherte ein Springbrunnen in einem Ententeich. Das Wasser rieselte über eine grüne Statue, die ein kleines Mädchen darstellte. Das Mädchen lächelte. Ich lächelte zurück und dachte, daß das Leben trotz allem doch recht schön sei.

      Großvater saß mit geschlossenen Augen still neben mir. Ich wollte ihn nicht stören. Wenn er erst einmal richtig eingenickt wäre, würde er anfangen zu schnarchen und sich selbst wecken.

      Still und friedlich zeichnete ich ein Himmel-und-Hölle-Feld in den Kies und suchte mir einen Hüpfstein. Wenn man glücklich war, mußte man einfach hüpfen!

      »Schnnnrrrchch!« Großvater stieß ein kurzes Brummen aus und reckte sich. Dann versuchte er so auszusehen, als ob er überhaupt nicht geschlafen hätte. Er stand auf und ging mit mir zum Marktplatz.

      Papa hatte gesagt, wir sollten etwas Ordentliches essen. Am Marktplatz gab es eine Gaststätte. Wir standen lange davor und lasen die Speisekarte, die im Fenster lag.

      »Schweinebraten mit Kartoffeln und Preiselbeerkompott. Nein, bestimmt nicht«, sagte Großvater.

      »Blutwurst mit Soße.« Ich schauderte und sah Großvater an.

      Dann überquerten wir den Marktplatz und gingen zu dem allerschönsten Stand der ganzen Stadt, wo eine dicke Frau große Waffeltüten voller Eis verkaufte.

      Wir kauften zwei der allergrößten Tüten und schleckten das Eis. Die Waffeltüten bereiteten uns jedoch Schwierigkeiten, kauen konnten wir sie nicht. Also gaben wir sie den Enten im Teich.

      Wir hatten es uns gerade im Zug gemütlich gemacht, um nach Hause zu fahren, als jemand heftig ans Fenster klopfte. Draußen auf dem Bahnsteig stand die Frau, der wir den Preiselbeertopf mitgebracht hatten.

      Sie reichte uns eine Papiertüte hinauf. »Das Gebiß lag ganz unten im Topf«, sagte sie säuerlich.

      Als der Zug davonrumpelte, lächelte Großvater mich an und klapperte eine fröhliche kleine Weise mit seinen wiedergefundenen Zähnen. Jetzt fanden wir beide, daß das Leben sehr schön war!

      Der Schatz des Riesen

      »Stacheldraht«, schimpfte Papa, »so was müßte verboten sein! Jetzt ist schon wieder eine Kuh daran hängengeblieben und hat sich das Euter aufgerissen. Ich muß hinfahren und es zusammennähen.«

      Das kam häufig vor. Die Weiden waren überwiegend mit scharfem Stacheldraht eingezäunt. Zwar lernten die Tiere, nicht allzu nahe hinzugehen. Doch manchmal vergaßen sie, vorsichtig zu sein, und dann trugen sie schlimme Wunden davon.

      Aber wahrscheinlich dachte Papa nicht nur an die Tiere, als er sich über den Stacheldraht aufregte. Stacheldraht war nämlich auch etwas, das zum Krieg gehörte. An vielen Stellen der schwedischen Grenzen gab es hohe Stacheldrahtzäune, damit der Feind nicht so leicht ins Land eindringen konnte.

      So oft wie möglich begleitete ich Papa auf seinen Krankenbesuchen. Ich konnte ihm sogar ganz gut helfen. Als Papa diesmal zum Auto kam, stand ich schon bereit.

      Die Sonne stach herab, es war heiß. Ich kurbelte ein Fenster herunter. Schade, daß es noch nicht richtig Sommer war. Dann könnte ich jetzt im Meer herumplanschen.

      Die Kuh, die am Euter verletzt war, stand im Stall und ließ ihren schweren Kopf hängen. Das aufgerissene Euter tat bestimmt weh. Und vielleicht fühlte sie sich auch einsam. Die anderen Tiere waren ja alle draußen auf der Weide.

      Ich durfte die blanke Schale halten, in der Papas Instrumente lagen. In der Schale waren lauwarmes Wasser, Watte, Nadeln und eine gekrümmte Schere. Papa konnte mindestens so gut nähen wie Mama.

      Inzwischen spürte die Kuh nichts mehr. Sie war betäubt.

      »Bald bist du wieder draußen auf der Wiese«, tröstete Papa sie und kraulte ihr braunes Ohr. »Jetzt habe ich deine Wunde nämlich vernäht. Es ist wunderschön geworden.«

      Rasch raus zum Auto! Der Motor brummte los. Ich nahm an, daß wir jetzt nach Hause fahren würden.

      Aber Papa hatte eine wunderbare Eigenschaft: Er bekam ziemlich oft Lust auf Süßigkeiten. Als wir an einem Laden vorbeikamen, bremste er, daß der Staub nur so hochwirbelte. Eine Wolke, weiß wie Weizenmehl, schwebte um das Auto.

      So ein Pech! Die Tür des Ladens war verschlossen. Dann können wir ja gar nichts Gutes kaufen, dachte ich enttäuscht.

      Aber Papa sagte, das spiele keine Rolle. An der Wand hing nämlich ein Schild, auf dem stand: Nehmen Sie, was Sie brauchen. Legen Sie das Geld in den Korb.

      Im Korb lag der Türschlüssel, wir brauchten also bloß aufzuschließen und einzutreten.

      Wir kauften Himbeerdrops, weil das meine Lieblingsbonbons waren. Papa zog Lakritzstangen vor, doch davon gab es keine mehr.

      Papa wollte offensichtlich richtig feiern. Er bog nämlich auf den Weg ein, der zum Meer führte. Blank und glitzernd lag es vor uns. Der Weg zum Strand war fast schmaler als das Auto. Das Gras in der Mitte streifte raschelnd gegen den Boden des Autos. Aber wir kamen an unser Ziel, und das war die Hauptsache.

      Schließlich mußten wir vor einem Gatter anhalten. Wir stiegen aus und kletterten hinüber. Auf der Strandwiese weideten Schafe. Sie blökten und guckten uns erstaunt an. Zum Glück interessierten sie sich nur fürs Gras. Selbst der Widder, der sonst so angriffslustig war, wandte seine gekrümmten Hörner in eine andere Richtung.

      Erwartungsvoll sah ich Papa an.

      »Jetzt ist es soweit!« schrie er. Die Jacke flog in die Luft, die Schuhe folgten. Gleich darauf wateten wir vorsichtig ins Meer. Hier gab es zwar keine Stacheldrahtzäune, aber dafür ragten an mehreren Stellen große Steine aus dem Wasser. Wir hoben die Füße so hoch wie möglich. Mutig versuchten wir so zu tun, als würde uns die Eiseskälte nichts ausmachen.

      Mama verbot uns, vor Mittsommer im Meer zu baden. Wenn man vorher bade, werde man krank, behauptete sie. Aber Papa und ich waren uns einig, daß man früher anfangen mußte, weil der Sommer so schrecklich kurz war.

      Während wir uns von der Sonne trocknen ließen, zeigte Papa auf einen Berg im Süden. Hoburgen hieß der Berg. Der oberste Felsblock erinnerte an einen Riesenkopf.

      Der Kopf war das einzige, was man vom Hoburgs-Alten sehen konnte, dem Riesen, der im Bergesinneren wohnte.

      »Hab ich dir schon mal die Sage von dem Riesen erzählt?« fragte Papa.

      »Nein«, log ich und füllte den Mund mit Himbeerdrops.

      Und obwohl er die Geschichte schon mindestens achtmal erzählt hatte, begann Papa ein weiteres Mal.

      »Du