Die Nackten und die Schönen. Will Berthold

Читать онлайн.
Название Die Nackten und die Schönen
Автор произведения Will Berthold
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9788711727010



Скачать книгу

formalen Gründen ihresgleichen vor der Strafverfolgung bewahren.«

      »Mäßigen Sie sich, Herr Dr. Kupski«, rügt der Vorsitzende hilflos. »Wir sind hier nicht in einer politischen Versammlung.«

      »Obszön ist«, läßt sich der Anwalt nicht bremsen, »daß frühere Nazilehrer unsere Jugend heranbilden und dabei die jüngste Vergangenheit unterschlagen. Obszön ist, daß der ehemalige Kommentator der ›Judengesetze‹ als oberster Beamter die rechte Hand des Bundeskanzlers ist –«

      »Das höre ich mir nicht mehr länger an!« ruft Schwarzeder mit kippender Stimme. »Ihre unflätigen Attacken werden Folgen für Sie haben, Herr Dr. Kupski!«

      »Widerlegen Sie doch meine Unflätigkeiten, Herr Schwarzeder! Wenn Sie es wünschen, liste ich Ihnen noch viel mehr davon auf.«

      Der Vertreter der »Sauberen Leinwand« verläßt den Raum.

      Die Sitzung ist vorderhand gesprengt. Ihre Teilnehmer diskutieren erregt weiter.

      »Ich halte mich aus Ihren Wertungen heraus, Herr Rechtsanwalt«, sagt der Vorsitzende im Gang. »Doch eines muß ich feststellen: Es ist kein Thema, das hier zur Sprache steht.«

      »Und ob das ein Thema für die Freiwillige Selbstkontrolle ist, für ein Gremium, das entscheiden soll, was unzüchtig, unmoralisch und obszön ist.« Abgekämpft, doch noch immer angriffslustig, setzt Kupski hinzu: »Lassen Sie auch mich eines feststellen: Niemand muß ins Kino gehen – es ist eine freiwillige Entscheidung. Die Folgen einer unmoralischen Politik aber haben wir alle auszubaden, ob wir an ihr schuld sind oder nicht.«

      Schwarzeder kommt nicht mehr zurück, als zwanzig Minuten später die Verhandlung wieder aufgenommen wird, an deren Ende es zu einem faulen Kompromiß kommt: Die Nacktszene wird entschärft, und nach fünf weiteren Schnittauflagen ist »Liebe am Lago« jugendfrei ab vierzehn Jahren.

      5

      Kurz nach sechzehn Uhr, genau um sechzehn Uhr vier, betritt Rita Panzer, die Zugehfrau Evamarie Dutscheweits, die Maisonette-Wohnung und findet die Tote. Trotz des schrecklichen Anblicks verfällt die Couragierte nicht in Panik und verständigt unverzüglich per Notruf die Polizei.

      »Bitte warten Sie auf uns«, sagt ein Beamter. »Und rühren Sie am Tatort nichts an.«

      Bereits sechzehn Minuten später treffen die Spezialisten der Mordkommission ein, geführt von Hauptkommissar Pallauf, einem in jeder Hinsicht unauffälligen Mann von mittlerer Statur; er gilt als besonders fähiger Fahnder. Das ist auch nötig in einer Stadt, die nicht nur den bedeutendsten Börsenplatz des europäischen Kontinents und seinen größten Flughafen hat, sondern auch die höchste Kriminalität in der Bundesrepublik.

      »Verdammt feine Adresse«, sagt der Hauptkommissar beim Betreten des Lifts.

      »Riecht nach Geld«, erwidert sein Vertreter Laserke. Zu dem eingefahrenen Team gehören noch der Polizeiarzt Dr.

      Rauschenbach, Fischer II vom Erkennungsdienst und der junge Füllgrabe, dessen Vernehmungstaktik sich schon mehrfach bewährt hat.

      Die Beamten gehen über den Gang, klopfen an der Wohnungstür.

      »Wer ist da?« ruft die Tatortzeugin.

      »Kripo«, antwortet Laserke. »Machen Sie bitte auf.«

      Eine propere Vierzigerin öffnet ihnen die Tür.

      Pallauf stellt sich vor.

      »Die Tote liegt oben in ihrem Schlafzimmer«, erklärt die Zeugin. »Machen Sie sich auf einen schrecklichen Anblick gefaßt.«

      »Sie haben nichts angerührt?«

      »Nichts – außer dem Telefon.«

      »Auch mit niemandem im Haus über Ihren grausamen Fund gesprochen?«

      »Mit keinem«, versichert Rita Panzer.

      »Es wäre prima, wenn sich alle Zeuginnen so vernünftig verhielten wie Sie«, lobt der Hauptkommissar. »Bitte, gedulden Sie sich ein wenig, wir brauchen Sie noch.«

      Sie gehen über die Wendeltreppe nach oben, fünf abgehärtete Kriminalbeamte, die beim Anblick dieses Mordopfers gegen die Übelkeit ankämpfen müssen. Während sich Dr. Rauschenbach über Evamarie Dutscheweit beugt, stellen die anderen Routiniers fest, daß die Wohnungsinhaberin verreisen wollte: Ein halbgepackter Koffer steht im Arbeitszimmer, der Wandschrank ist ebenso geöffnet wie die Schublade des Schreibtisches. Geldscheine und ein einzelner Brillantohrring liegen am Boden. Entweder wurde der Täter überrascht und mußte halbverrichteter Dinge abziehen, oder er wollte, reichlich dilettantisch, einen Raubmord vortäuschen.

      Inzwischen hat Dr. Rauschenbach das blutverkrustete Gesicht des Opfers abgetastet und die Würgespuren am Hals entdeckt. »Ich schätze, daß die Tat erst vor einer Stunde, höchstens jedoch vor neunzig Minuten, verübt worden ist«, riskiert er ein vorläufiges Ergebnis und richtet sich auf. »Der Tathergang ist einfach: Die junge Frau wurde mit einem schweren Gegenstand niedergeschlagen und dann gewürgt. Die Reihenfolge könnte natürlich auch umgekehrt sein. Was nun genau den Tod ausgelöst hat, wird erst die Obduktion ergeben.«

      »Klar«, entgegnet Pallauf. »Den schweren Gegenstand haben wir übrigens schon gefunden, Doktor.« Er zeigt dem Arzt einen blutverschmierten Aschenbecher aus Rosenquarz, den er als Beweisstück bereits sichergestellt hat. »Sagen Sie mal, könnte die Tat auch im Affekt geschehen sein?«

      »Totschlag?« erwidert der Arzt. »Das ist keineswegs auszuschließen.«

      »Käme als Täter auch eine Frau in Frage?«

      »Mein lieber Pallauf, ich bin kein Hellseher«, entgegnet Dr. Rauschenbach. »Es wäre zwar unwahrscheinlich, ist aber nicht unmöglich.«

      »Da haben wir auch ein Flugticket«, stellt Fischer II fest. »Die Dame wollte heute nach Paris fliegen. Abflug siebzehn Uhr.«

      »Vermutlich in Begleitung«, sagt Laserke.

      »Das ist die Frage«, versetzt Fischer II. »Aus dem Flugschein geht es leider nicht hervor.«

      Der Chef der Mordkommission nickt, beobachtet einen Moment lang seine Leute, deren jeder für sich selbständig arbeitet. Er steht kurz vor der Pensionierung und verfügt schon deshalb über weit mehr Erfahrungen als Illusionen. Es widert ihn an, gelegentlich arme Teufel mit schäbigen Tricks in die Pfanne zu hauen; als noch widerlicher aber empfindet er es, Gauner im Frack schützen zu müssen, weil der Buchstabe des Gesetzes oder eine seiner Lücken es so vorsehen. Seine Vorgesetzten, die sich bereits fragen, wer Arnold Pallauf ersetzen soll, lassen ihm mehr Spielraum als den anderen Beamten. Trotzdem sind sie letztlich alle an die Paragraphen gebunden.

      »Es ist klar, daß das Opfer den Täter gekannt haben muß, sonst hätte es ihn wohl nicht in die Wohnung gelassen«, stellt Laserke fest.

      »Klar – und doch ungeklärt«, entgegnet Pallauf. »Der Täter könnte sich einen Nachschlüssel beschafft haben.«

      »Es ist ein spezielles Sicherheitsschloß«, entgegnet sein Vize. »Niemand ist in der Lage, so einen Schlüssel nachzumachen. Das kann nur der Hersteller selbst. Und Kopien werden nur gegen Unterschrift geliefert, und jede von ihnen wird registriert.«

      »Bestens«, erwidert der Hauptkommissar. »Stellt mal fest, wie viele Schlüssel es gibt.« Er geht an die Wendeltreppe. »Frau Panzer«, ruft er. »Würden Sie jetzt bitte hochkommen?« Die Zeugin greift automatisch nach ihrem Mantel und ihrer Handtasche. »Lassen Sie Ihre Sachen ruhig liegen«, sagt er jovial und gibt Füllgrabe einen Wink.

      Während sie oben vernommen wird, durchsucht der Benjamin der Mordkommission flugs ihren Mantel und ihre Handtasche. Es ist nicht die feine Art, aber sicher ist sicher. Das Resultat ist, wie erwartet, negativ. Füllgrabe signalisiert es seinem Chef.

      »Frau Panzer«, beginnt Pallauf mit der Vernehmung, »wie lange arbeiten Sie schon an diesem Platz?«

      »Über vier Jahre.«

      »Sie standen gut mit