Название | Der letzte Leopard |
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Автор произведения | Lauren St John |
Жанр | Книги для детей: прочее |
Серия | |
Издательство | Книги для детей: прочее |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783772543432 |
Mit Illustrationen von David Dean
Aus dem Englischen von
Christoph Renfer
Verlag Freies Geistesleben
Für meinen Patensohn Matis Matarise Sandile Sithole, in der Hoffnung, dass er Simbabwe und seine Natur ebenso lieb gewinnen wird wie ich.
Und in Erinnerung an Felix und Michina, meine Londoner Leoparden (1990–2007)
• 1 •
Die Morgendämmerung überzog den rosafarbenen Himmel mit goldenen Fäden, als Martine Allen sich mit einem letzten Blick versicherte, dass sie von niemandem im Wildreservat Sawubona beobachtet wurde. Dann beugte sie sich wie eine Rennreiterin nach vorn, verkrallte ihre Finger in einem Büschel silberner Mähnenhaare und rief aus: «Los, Jemmy, los!»
Als die weiße Giraffe einen Satz vorwärts machte, wurde Martine fast abgeworfen. Doch sie fand ihren Halt schnell wieder und passte sich, die Arme um den Hals der Giraffe geschlungen, Jemmys federndem Schaukelpferdrhythmus an. Die Giraffe und ihre Reiterin schossen am Damm und an einer Herde Flusspferde vorbei, die kleine Blasen aufsteigen ließen, schreckten eine Gruppe von Silberreihern auf, die wie Glitzerkonfetti in die weite Savanne hinausstoben. Ein Chor von Tauben, Grillen und Lärmvögeln steuerte die typisch afrikanische Morgenmusik bei.
Lange Zeit war Martine nur nachts und im Geheimen mit Jemmy ausgeritten. Doch nachdem ihre Großmutter von ihren nächtlichen Ausflügen erfahren hatte, sprach sie prompt ein Verbot aus, das sie damit begründete, dass die gefährlichsten Raubtiere des Reservats Sawubona nach Sonnenuntergang auf Mahlzeitensuche waren und nichts lieber auf ihrem Speisezettel sehen würden als ein elfjähriges Mädchen, das auf einer Giraffe dahergeritten kam. Anfangs hatte Martine sich über das nächtliche Reitverbot hinweggesetzt, aber nach einigen brenzligen Situationen und einem Riesenkrach mit ihrer Großmutter musste selbst sie einsehen, dass ihre Großmutter recht hatte. Wenn die Löwen auf der Jagd waren, war es klüger, sich vom Reservat fernzuhalten.
Als weitere Regel hatte ihre Großmutter festgelegt, dass Martine nur in gemächlichem Tempo auf Jemmy reiten durfte. «Allerhöchstens im Trab, lieber noch im Schritt», sagte sie streng.
Martine hatte ihren Worten kaum Beachtung geschenkt. In ihren Augen war Jemmy ein Wildtier, und deshalb betrachtete sie es als völlig normal, dass er die Freiheit haben sollte, seiner Wesensart zu folgen – auch wenn dies bedeutete, dass er mit 35 Stundenkilometern durch die Savanne preschte. Abgesehen davon konnte sie ja auch kaum etwas dagegen ausrichten, da sie keine Zügel hatte, um ihn zu bremsen. Und was bringt es, auf einer Giraffe zu reiten, wenn sich diese höchstens im Tempo eines alterssteifen Ponys fortbewegen darf?
Damit war auch Jemmy voll und ganz einverstanden. Während sie über die Steppe flogen, pfiff der Frühlingswind in Martines Ohren. «Schneller, Jemmy», rief sie. «So schnell, wie du nur kannst.» Dann lachte sie schallend vor lauter Glück und Aufregung, auf einer wilden Giraffe zu reiten.
Plötzlich schoss etwas Graues durch ihr Blickfeld, begleitet von einem schrillen, nasalen Quieken.
Jemmy machte einen Schlenker. Im Sekundenbruchteil, bevor sie vom Körper der weißen Giraffe wegkatapultiert wurde, erhaschte Martine einen flüchtigen Blick von einem Warzenschwein, das mit nach vorne gerichteten gelben Hauern aus seinem Bau gestürmt kam. Hätte sie Jemmys Hals nicht fest mit ihren Armen umschlungen gehabt, wäre sie aus drei Metern auf den Steppenboden gestürzt. Stattdessen rutschte sie nur auf die Brustseite von Jemmys Hals, wo sie wie ein menschliches Amulett hin und her baumelte. Derweilen tänzelte Jemmy scheu herum, während die Sau in der Absicht, ihre Jungen zu verteidigen, wütend zu ihm hinaufquiekte. Fünf Warzenschweinferkel irrten mit himmelwärts ragenden Schwänzchen verängstigt umher.
Die Schmerzen in Martines Armen waren beinahe unerträglich, doch sie wollte um keinen Preis loslassen. Sie liebte Warzenschweine mit ihren Warzen, der rauen Haut, den Schweinsöhrchen und dem ganzen Drum und Dran. Doch sie wusste, dass sie zwar mit ihren Augenwimpern glamourös klimpern, im nächsten Augenblick aber mit ihren Hauern ihre Beine zu blutigem Brei schlagen konnten.
Sie biss die Zähne zusammen. «Jemmy», raunte sie der Giraffe zu. «Nichts wie weg hier, alter Junge.»
In seiner Verwirrung machte Jemmy einen Schritt zurück und beugte sich zu dem Warzenschwein hinab.
«Nein», kreischte Martine, als die Muttersau nach einem ihrer Stiefel schnappte. «Weg hier! Bloß weg hier, Jemmy!»
Jemmy ließ seinen Hals zurückschnellen, um den scharfen Hauern des Warzenschweins auszuweichen. Martine nutzte diese Bewegung, um ihre Beine um Jemmys Hals zu schlingen. Aus dieser Stellung schaffte sie es, sich auf seinen Rücken zu schwingen und ihn zu einem Sprint anzutreiben. Schon bald war die Warzenschweinfamilie nur noch ein grauer Fleck in weiter Ferne, auch wenn das triumphierende Quieken der Muttersau noch lange zu hören war.
Den Rest des Heimwegs ritt Martine in gemächlichem Tempo und mit einem reumütigen Lächeln auf den Lippen. So schnell würde sie sich nicht mehr aufspielen, nicht einmal vor einem Flusspferdpublikum. An der Eingangspforte zum Reservat beugte sich Jemmy vornüber und ließ Martine seinen silberfarbenen Hals hinabgleiten, als wäre er eine Rutschbahn. Das war zwar nicht die sicherste Methode, um von einer Giraffe abzusteigen, aber sie machte Spaß. Noch einmal umarmte sie Jemmy und schlenderte dann zwischen den Mangobäumen hindurch zum Haus mit dem Strohdach.
In der Küche stand eine Bratpfanne auf dem Herd. Darin brutzelten mit Zucker bestreute Tomaten, auf denen sich langsam eine goldbraune Karamellkruste bildete. Kleine Genussfältchen zogen sich über Martines Nase. Sie hatte einen Bärenhunger. Sechsmal in der Woche gab es bei Großmutter hartgekochte Eier mit Toast zum Frühstück, manchmal mit einer Schale Cornflakes als Lichtblick. Doch sonntags und an besonderen Tagen wie heute zeigte sich Gwyn Thomas von ihrer großzügigen Seite, tischte einen köstlichen Brunch auf, bereitete einen leckeren Braten oder erlaubte Martine, zusammen mit Tendai, dem Zulu, der als Wildhüter in Sawubona arbeitete, zu einem Frühstückspicknick am Lagerfeuer auf das Hochplateau zu fahren.
Martine streifte die Stiefel auf der Veranda ab, ging barfuß in das Haus und rief: «Morgen Großmutter!»
«Hallo Martine», sagte Gwyn Thomas, während sie die Ofentür schloss und sich aufrichtete. Sie trug eine rot gestreifte Schürze über einem Jeanshemd. «Wasch dir die Hände und setz dich hin. Hattest du einen schönen Ausritt? Und hat sich Jemmy gut aufgeführt?»
«Wie ein Engel», sagte Martine. Etwas anderes würde sie über ihren Freund ohnehin nicht sagen, ganz abgesehen davon, dass er sich immer gut benahm. Es war ja nicht sein Fehler, dass das Warzenschwein heute mit dem falschen Bein zuerst aus dem Bau gestiegen war.
An der Tür klopfte es zaghaft.
«Ah, Ben», sagte Gwyn Thomas lächelnd. «Perfektes Timing. Das Frühstück ist fast bereit. Komm, setz dich.»
«Danke, Ma’am», sagte eine klare, junge Stimme.
Als sie sich umdrehte, sah Martine den Jungen, der halb Zulu, halb Inder war, etwas schüchtern die Küche betreten. Er trug eine armeegrüne Weste, schwere braune Stiefel und ausgefranste Jeans – seine einzigen, seit er vor ein paar Wochen während eines Inselabenteuers seine anderen Jeans zu Shorts gekürzt hatte. Er hatte glänzend schwarzes Haar, seine Haut war honigfarben, und obwohl er schlank war – einige hätten ihn wohl gar als mager beschrieben –, wirkte er sportlich und kräftig.
Er wusch sich die Hände in der Küchenspüle und setzte sich an den Tisch. «Dir ist heute Morgen wohl ein Warzenschwein über den Weg gekrochen, Martine», neckte er sie. «Ihr habt den Busch ganz schön umgepflügt, du und Jemmy. Es sieht ja stellenweise so aus, als hätte hier der Start zur East African Safari Rallye stattgefunden.»
«Was ist passiert?», fragte Gwyn Thomas.