Lady Trents Erbe: Aus der Finsternis zum Licht. Marie Brennan

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Название Lady Trents Erbe: Aus der Finsternis zum Licht
Автор произведения Marie Brennan
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783966583220



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Von: Audrey Camherst

       An: Charlotte Camherst

       16. Seminis 5657

       Clarton-Platz 3, Falchester

      Liebste Lotte,

      willkommen daheim! Freust du dich nicht, nach deinem Besuch bei Mamas Familie zurück im verregneten alten Scirland zu sein? Seit Wochen habe ich mich jetzt bereit gemacht zu sagen, dass ich ohne mit der Wimper zu zucken den Platz mit dir tauschen würde – trotz tropischer Moskitoschwärme und allem anderen –, nur dass sich die Dinge in letzter Zeit interessant entwickelt haben. Ich bin so froh, dass du zurück bist, weil ich vom Drang, jemandem zu erzählen, was passiert ist, beinahe platze.

      Ich war so überzeugt, dass meine Debütsaison nichts als Langeweile bieten würde. Jeder sagt, es ist nicht mehr das, was es früher war, damals zu ihrer Zeit – was die Art von Ding ist, die die ältere Generation immer sagt, aber in diesem Fall denke ich, es ist wahr. Und selbst wenn es noch das wäre, was es früher mal war, denke ich nicht, dass es mir Spaß machen würde. Du wirst wahrscheinlich eine tolle Zeit haben, sobald du alt genug bist, aber du kennst mich. Das ist überhaupt nicht mein Metier. Tanzen hier, Nachmittagstee dort, Reiten im Park … Letzteres ist nicht sehr erquickend, wenn man nie zuvor in seinem Leben auf einem Pferd gesessen hat. Also wenn es Gelegenheiten gäbe, sein Geschick beim Segeln vorzuführen, würde ich mich tatsächlich gut schlagen. Aber das, was dem überhaupt am nächsten kommt, ist es, auf kleinen Ruderbooten auf dem Immerway zu paddeln, und obwohl ich hervorragend paddeln kann, erwartet man von den Ladys, ruhig dazusitzen und die Gentlemen die Arbeit machen zu lassen. Das ist alles schön und gut für die, wenn sie ihre Kraft demonstrieren können (und ich habe dort draußen einen Kerl nur in einer Weste gesehen, wenn du das glauben kannst – er hatte auch wundervolle Arme), aber nicht direkt ein spannendes Erlebnis für die Ladys. Zumindest nicht, wenn man ich ist.

       Aber! Ich hätte wissen sollen, dass Großmama mich das nicht alles durchleiden lassen würde. Sie erklärte mir an meinem ersten Tag in der Stadt, dass sie sich nicht im Geringsten darum schert, ob ich einen Ehemann finde oder nicht, außer ich möchte unbedingt einen finden, und als ich sagte, dass ich keine bestimmten Gedanken in diese Richtung hätte, nickte sie einfach und sagte: »Dann nehmen wir dich anderswo hin mit.«

      Sie sagt, dass es, auch wenn die Saison nicht mehr das ist, was sie früher war, immer noch wichtig ist, sein Debüt zu machen, weil das der Punkt ist, wenn man die Kindheit hinter sich lässt und ein Mitglied der Gesellschaft wird. Sie meint, dass ich jetzt eine Erwachsene bin, im reifen Alter von achtzehn Jahren. Und als Erwachsene ist es Zeit, dass ich anfange, meinesgleichen und deren Vorgänger kennenzulernen.

      Einige von ihnen habe ich natürlich schon früher getroffen, weil man kein Mitglied dieser Familie sein und nicht einen ganzen Haufen Gelehrter treffen kann. Aber weil ich mit Mama und Papa auf See war, heißt das, dass ich sehr viel von den gesellschaftlichen Verbindungen verpasst habe, die du gemacht hast, indem du in Scirland geblieben bist, und Großmama ist fest entschlossen, das aufzuholen.

       Deshalb besteht meine Saison bisher aus sehr wenigen Tänzen und Nachmittagstees (allerdings der Form halber einigen von diesen), und sehr viel mehr literarischen Abenden und nachmittäglichen Vorträgen. Großmamas Äquivalent dazu, mich jedem verfügbaren Junggesellen vorzustellen, ist es, dafür zu sorgen, dass ich Leute aus allen möglichen Feldern treffe, nicht nur Philologie: Ich habe mich mit Geologen, Zoologen, Physikern, Chemikern und Massen anderer -logen unterhalten, ganz zu schweigen von Historikern, Geografen, Mathematikern und ein oder zwei Architekten. Ich muss gestehen, Lotte, die beeindruckende Qualität der Initialen M. P. K. nutzt sich ab, wenn man keinen Schuh werfen kann, ohne ein Mitglied des Philosophenkolloquiums zu treffen. Was wir auch manchmal über das Abendessen daheim sagen könnten, aber es ist anders, wenn es Fremde sind – bis man gesehen hat, wie einer jener Fremden etwas zu viel Brandy hatte und anfing, alle in Hörweite über die richtige Pluralbildung von »Oktopus« aufzuklären. (Er bestand darauf, dass es nach dem Nichäischen »Oktopodes« sein sollte.)

      Es ist folglich lustig, dass ich ausgerechnet über genau das stolpern sollte, wonach ich nicht gesucht habe, an einem Ort, der laut allen der falsche Platz ist, um es zu finden.

      Heute Nachmittag hat Großmama mich auf dem Gelände des Kolloquiums allein gelassen, während sie nach oben ging, um mit dem Präsidenten zu diskutieren. (Er ist überhaupt nicht scharf auf diese Idee, die sie hat, ihre Memoiren zu veröffentlichen – ich denke, weil er weiß, dass sie für das Kolloquium nicht direkt schmeichelhaft werden.) Mich hat das nicht gestört, weil sie mir Zugang zur Bibliothek verschafft hat, obwohl ich selbst noch kein Mitglied bin. Ich könnte mich dort für Wochen beschäftigen, wenn jemand freundlich genug wäre, mir Essen und Wasser zu liefern.

       Also bin ich zwischen den Regalen umhergestreift, als ich eine amüsierte Stimme sagen hörte: »Sie wirken etwas jung für ein Mitglied.«

      Ich drehte mich um und sah am Ende der Regalreihe einen jungen Mann stehen. Die Fenster waren hinter ihm, sodass ich sein Gesicht nicht sehen konnte, aber er war ansehnlich gebaut (ich hätte nichts dagegen, ihn nur in einer Weste über den See paddeln zu sehen) und hatte eine noch liebenswürdigere Stimme – tief und voll, mit gerade genug Brummen, um ihr Textur zu verleihen.

       Ich konnte nicht widerstehen, frech zu sein. »Henry Finsworth wurde aufgenommen, weil er Koffein isoliert hatte, als er erst vierzehn war«, sagte ich. »Oder wollen Sie andeuten, dass eine junge Dame unausweichlich länger braucht, um etwas Bedeutendes zu vollbringen?«

       Er lachte. »Davon würde ich nie träumen.«

      Dann trat er vor und etwas zur Seite, sodass er nicht länger von hinten beleuchtet wurde. »Sie wirken nicht viel älter als ich«, sagte ich. Was vielleicht nicht das Höflichste war – aber er hatte mein Alter angesprochen, bevor ich seines ansprach, und außerdem war das tatsächlich das am wenigsten Peinliche, was mir einfiel. Er hatte sehr hübsches, volles schwarzes Haar, das nicht mit Pomade an seinen Platz gepappt war wie bei den modebewussten Männern, und auch wenn sein Gesicht nicht das bestaussehende war, das ich je gesehen hatte, machten die Intelligenz und Aussagekraft in seinem Blick es wett.

       »Ich bin zweiundzwanzig«, sagte er, anscheinend überhaupt nicht beleidigt. »Wie Sie gerade betont haben, setzt das in diesen Hallen wohl kaum einen Rekord.«

       Aber das legte nahe, dass er wirklich ein Mitglied war anstatt ein Anhang wie ich. So schnell erfuhr ich, wer er war. »Sie sind Aaron Mornett!«

       Der Raum zwischen den Regalen war so eng, dass er sich nicht wirklich verbeugen konnte, aber er knickte an der Taille etwas ein und tippte sich anerkennend an die Stirn. »Und Sie sind, wie ich annehme, eine von Lady Trents Enkelinnen.«

       Als ich mein Debüt in Falchester gab, fand ich es anfangs seltsam, dass alle zu wissen schienen, wer ich war. Während das theoretisch der Sinn eines Debüts ist, gibt es hier in Wahrheit so viele junge Leute, dass niemand sie alle kennt. Aber sehr wenige jener jungen Leute sind Halbutalu, sodass mir nach einer Weile klar wurde, dass natürlich alle von mir wissen mussten. Trotzdem freute es mich, dass ich seinen Namen zuerst erraten hatte. Das brachte uns auf die gleiche Ebene. »Audrey Camherst. Sie haben erst letztes Jahr das drakoneische System von Gewichten und Maßen geknackt, nicht wahr?«

       Er spielte keine falsche Bescheidenheit vor. »Ja, das war ich. Nicht die Art von Zeug, um die sich die meisten Leute im Geringsten scheren, aber bei Ihrer Familie bin ich kaum überrascht.«

       »Ich bin auch Philologin«, sagte ich beflissen. »Ich halte mich mit all den Zeitschriften auf dem Laufenden – na ja, so gut ich kann, wenn ich die Hälfte der Zeit mit meinen Eltern auf See bin. Ich habe sogar einige Artikel veröffentlicht …«

      »Ja, jetzt erinnere ich mich«, sagte er und hielt einen Finger in die Luft, als würde er die Zeit anhalten wollen, während er nachdachte. »Sie hatten einen über Wurzelzeichen