Lucifer. Eine Schwarzwälder Dorfgeschichte. Auerbach Berthold

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Название Lucifer. Eine Schwarzwälder Dorfgeschichte
Автор произведения Auerbach Berthold
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9788726614534



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seien mit ihrem neuen Pfarrer in gar keine Verbindung zu treten und auf ihrem Protest zu beharren. Ihrer Bitte wurde aber nicht willfahrt, da dies nicht anginge, Ermahnungen zum Frieden waren das Einzige, was ihnen geboten wurde.

      Zu Hause erfuhr man, dass der Pfarrer nur mit wenigen Kindern und alten Frauen den Gottesdienst gehalten; dennoch aber geschah, was zu vermuthen war. Schon am nächsten Sonntage war der Auszug klein und vereinzelt, es traten dann Fälle ein, wo man den Ortspfarrer nicht umgehen konnte, und Keiner aus der Nachbarschaft wollte taufen und die letzte Oelung geben; der Gemeinderath selber gab endlich nach und trat mit dem Pfarrer in amtlichen Verkehr. So schlief die Geschichte ein, wie tausend andere. Nur in wenigen Männern war der Widerspruch noch wach, und zu diesen gehörte besonders Luzian; er ging dem Pfarrer nie in die Kirche, heute zum Erstenmale hatte er mit ihm am selben Tische gesessen und mit ihm geredet. Noch lag der Protest in letzter Instanz beim Fürsten, und Luzian wollte die Hoffnung nicht aufgeben; heute aber, er wusste nicht wie ihm war, war er sich untreu geworden, hatte sich zu persönlichem Hader hinreissen lassen; er grollte mit sich selber.

      Ein alter Volksglaube sagt: wiegt man eine Wiege, in der kein Kind ist, so nimmt man dem Kinde, das man später hineinlegt, die gesunde Ruhe. Ja, unnützes Wiegen ist schädlich, und das gilt noch mehr von dem Schaukeln und Hin- und Herbewegen der Gedanken, in denen kein Leben ruht.

      „Was da, Kreuz ist nimmer Trumpf, da gehen der Katz die Haar’ aus,“ mit diesen fast laut gesprochenen Worten riss sich jetzt Luzian aus dem qualvollen Zerren und Wirren seiner Gedanken. Er ging hinaus aufs Feld, um die Verheerung näher zu betrachten. Allerdings war Luzian mit dem Ertrage aller seiner Felder versichert; man würde indess, sehr irren, wenn man glaubte, dass ihm die Verwüstung nicht tief zu Herzen ginge, ja man kann wohl sagen, sein Schmerz war um so inniger, weil er ein uneigennütziger war; ihm war’s als wäre ihm ein lieber Angehöriger entrissen worden, da er diese niedergeworfenen Halme sah.

      Der Künstler liebt das Werk, das er geschaffen, es ist aus ihm; die Stimmung dazu, die urplötzliche und die stetig wiederkehrende, die hat er sich nicht gegeben, er verdankt sie demselben Weltgesetze, das Sonnenschein und Thau auf die Saaten schickt. Auch der denkende Landmann hat dasselbe Mitgefühl für das Werk seiner Arbeit, und wehe dem Menschengeschlechte, wenn man ihm diese oft geschmähte ,,Weichherzigkeit“ austreiben könnte, so dass man in der Arbeit nichts weiter sähe, als den Preis und den Lohn, der sich dafür bietet.

      Wenn der Boden überall in weiten Rissen klafft und die Pflanzen schmachten, da wird euch schwül und eng, und wenn der Regen niederrauscht, ruft ihr befreit: wie erfrischt ist die Natur! Noch ganz anders der Bauer; er lebt mit seinen Halmen i draussen und kummert für sie, trieft der segnende Regen hernieder, so trinkt er so zu sagen mit jedem Halme und tausend Leben werden in ihm erquickt.

      Wie zu einem niedergefallenen Menschen beugte sich jetzt Luzian und hob einige Aehren auf, sein Antlitz erheiterte sich, die Körner waren nothreif, sie waren fester und in ihrer Hülse lockerer als man glaubte; noch war nicht Alles verloren, wenn auch der Schaden gross war.

      Durch alle Gewannen schweifte Luzian und fand seine Vermuthung bestätigt. Die Sonne arbeitete mit aller Macht und suchte wie mit Strahlenbanden die Halme aufzurichten, aber ihre Häupter waren zu schwer und in den Staub gedrückt; hier musste die Menschenhand aufhelfen.

      As Luzian, eben aus dem Nesselfang kommend, in die Gärten einbog, wurde er mit den Worten begrüsst: „Ah, guten Tag, Herr Hillebrand.“

      ,,Guten Tag, Herr Oberamtmann,“ erwiderte Luzian, und nach einer kurzen Pause setzte er gegen den begleitenden Pfarrer und Schultheiss hinzu: „Guten Tag, ihr Herren.“

      Det Pfarrer nickte dankend.

      „Ich habe mir den Schaden angesehen,“ berichtete der Oberamtmann, „der Ihren Ort betroffen hat; das hätten wir auf der letzten landwirthschaftlichen Versammlung nicht gedacht, dass wir sobald die Probe davon haben sollen, was sich bei solchen Gelegenheiten retten lasse. Wie ich höre, sind Sie der Einzige, der in der Hagelversicherung ist.“

      „Ja, ich und mein Egidi.“

      Luzian hatte doch gewiss das tiefste Kümmerniss über die Fahrlässigkeit der anderen, aber er konnte in diesem Augenblicke nichts davon laut geben; so leutselig auch der Beamte war, so blieb er doch immer der Oberamtmann, dem man auf seine Fragen antworten musste und vor dem kein Gefühl auszukramen ist, wenn man auch das Herz dazu hätte. Ausserdem hatte Luzian, sobald er einem Beamten nahe kam, etwas von der militärisch knappen Weise aus seiner Jugendzeit her. In diesem Augenblicke war es Luzian, der unter sich sah, als fühlte er den stechenden Blick des Pfarrers; er schaute auf, die Blicke Beider begegneten sich und suchten bald wieder ein anderes Ziel.

      Man war am Hause Luzians angelangt. Er wollte sich höflich verabschieden, aber der Oberamtmann nöthigte ihn mit in das Wirthshaus, da man dort noch allerlei zu besprechen habe. Luzian willfahrte und am Pfarrhause empfahl sich der Pfarrer. Der Abend neigte sich herein, die Dorfbewohner standen am Wege und grüssten den Amtmann ehrerbietig, es schien ihnen Allen leichter zu sein, da jetzt ihre Zustände bei Amt bekannt waren, als sei nun die Hülfe bereits da.

      Es wird vielleicht schon manchem Leser aufgefallen sein, dass der Beamte einen einfachen Bauersmann mit Herr anredete. Schon um dieses einzigen Umstandes willen verdiente der Oberamtmann eine nähere Betrachtung, wenn wir auch nicht noch mehr mit ihm zu thun bekämen.

      Die schlanke feingegliederte Gestalt, dem Ansehen nach im Anfange der dreissiger Jahre stehend, bekundete in der ganzen Haltung etwas sorglich aber ohne Aengstlichkeit Geordnetes. Es lag darin jene schlichte Wohlanständigkeit, die uns bei einer Begegnung auf der Strasse oder im Felde darauf schwören liesse, dass der Mann in einem wohlgestalteten Heimwesen zu Hause sei. Die blauen Augen unseres Amtmannes waren leider durch eine Brille verdeckt, der braune Bart war unverschoren; nur gab es dem Gesichte etwas seltsam Getrenntes, dass die Bartzier auf der Oberlippe allein fehlte; denn es wird noch immer als eine Ungehörigkeit für einen Mann in Amt und Würden betrachtet, den vollen Bart zu haben. Diese neue Etikette rechtfertigte sich noch persönlich bei unserem Amtmann, der nebst der Gewohnheit des Rauchens auch die des Tabakschnupfens hatte. Die Dose diente ihm zugleich auch als Annäherung an viele Personen, denn es bildet eine gute Einleitung und versetzt in eigenthümliches Behagen, wenn man eine Prise anbietet und empfängt. Unser Amtmann bestrebte sich auf alle Weise, sein Wohlwollen gegen Jedermann zu bekunden.

      Er stammte aus einer der ältesten Patrizierfamilien des Landes, in welcher, dem Sprüchworte nach, alle Söhne geborene Geheimeräthe waren. Nach vollendeten Studien hatte er mehrere Jahre in Frankreich, England und Italien zugebracht, und gegen alle Familiengewohnheit hatte er, nachdem er Assessor bei der Kreisregierung geworden war, diese gerade Carriere aufgegeben und sich um seine jetzige Stelle beworben. Er wollte mit den Menschen persönlich verkehren und ihnen nahe sein, nicht blos immer ihr Thun und Lassen aus den Akten herauslesen. In dem Städtchen gab es manches Gespötte darüber, dass er jeden Mann im Bauernkittel, mit Herr anredete, die Honoratioren fühlten sich dadurch beleidigt; er kehrte sich aber nicht daran, sondern war emsig darauf bedacht, Jedem seine Ehre zu geben und seine Liebe zu gewinnen. Seine Natur neigte zu einer gewissen Vornehmigkeit, dessen war er sich wohl bewusst, und trotz seines eifrigsten Bemühens war es ihm lange Zeit nicht möglich geworden, ungezwungen sein innerstes Wohlwollen zu bekunden. Es fehlten die Handhaben, er bewegte sich mehr in Abstractionen als in bildlicher Anschauung und Ausdrucksweise; er konnte sich aber hierin nicht zwingen, die Menschen mussten seine Art nehmen wie sie war. Oft beneidete er das Gebaren seines Universitäts-Bekannten, des Doktors Pfeffer, der so frischweg mit den Leuten umsprang; aber er konnte sich dieses nicht aneignen.

      Durch den landwirthschaftlichen Verein, der vor ihm blos eine Spielerei oder ein Nebenbau der Bureaukratie gewesen war, gewann unser Amtmann ein natürliches, persönliches Verhältniss zu den Angesehensten seines Bezirkes. Auch mit unserm Luzian war er dort auf heitere Weise vertraut geworden.

      Auf dem Wege nach dem Wirthshause begegnete den Beiden der Wendel, und der Oberamtmann fragte: „Soll ich nichts ausrichten an unser’ Amrei?“

      „Dank schön, Herr Oberamtmann, nichts als einen schönen Gruss.“

      Im Weitergehen erzählte der Beamte wie glücklich er und seine Frau seien, dass sie die