Lucifer. Eine Schwarzwälder Dorfgeschichte. Auerbach Berthold

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Название Lucifer. Eine Schwarzwälder Dorfgeschichte
Автор произведения Auerbach Berthold
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9788726614534



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      „Wie ist’s denn, Herr Pfarrer?“ fragte Luzian das Papier in Handen, „wie ist’s denn? Schenket Ihr der Gemeind’ den Pfarrzehnten, oder was lasset Ihr nach?“

      „Von wem sind Sie beauftragt, mich darüber zu ermahnen?“ warf der Pfarrer entgegen, „was ich thun werde, ist mein eigener guter Wille; ich lasse mir meine Gutthat dadurch nicht verringern, dass mich Unberufene daran gemahnen.“

      „Berufen hin oder her,“ sagte Luzian, „eine Ermahnung kann einer Gutthat nichts abzwacken; wenn das ja wär’, so wären die Gutthaten auch minderer, die auf Eure Ermahnungen in der Predigt von den Leuten geschehen.“

      „Sie scheinen darum die Kirche zu meiden, um nicht zu etwas Gutem verführt zu werden,“ schloss der Pfarrer und warf das Lineal auf den Tisch.

      „Ich will Ihnen was sagen,“ entgegnete Luzian mit grosser Ruhe, da er noch nicht enden wollte, „Sie haben Beicht- und Communion-Zettel auch für die grossen (erwachsenen) Leute eingeführt; wir lassen uns das nicht gefallen, das war beim alten Pfarrer niemals.“

      „Was geht mich Ihr alter Pfarrer an? Das neue Kirchenregiment hält seine Befugnisse streng zum Heile“ —

      „Schultheiss, hast kein’n Kalender da?“ unterbrach Luzian.

      „Warum? heute ist der siebzehnte,“ berichtete der Gefragte.

      „Nein,“ sagte Luzian, „ich hab’ nur dem Herrn Pfarrer zeigen wollen, dass wir 1847 schreiben.“

      Der Pfarrer stand auf, presste die Lippen und sagte dann mit wegwerfendem Blick: „Ihre Weisheit scheint allerdings erst von heute. Ich hätte eigentlich Lust mich zu entfernen und wäre dazu verpflichtet nach solchen ungebührlichen Reden. Sie alle sind Zeugen, meine Herren, dass ich hier, ich will kein anderes Wort i gebrauchen, schnöde angefallen wurde. Ich will aber bleiben, ich will ein gutes Werk nicht stören und lasse mich gern schmähen.“

      Solche geschickte Wendung konnte Luzian doch nicht auffangen, er stand betroffen, Alles schrie über ihn hinein und er sagte, endlich:

      „Ich will’s gewiss auch nicht hindern, gebt her, ich unterschreib’, und nichts für ungut Herr Pfarrer, ich bin Keiner von denen Leuten, die sich an einem Polizeidiener vergreifen, weil sie mit der Regierung unzufrieden sind. B’hüt’s Gott bei einander.“

      Niemand dankte.

      Aergerlich über sich selbst verliess Luzian die Rathsstube, er hatte das Heu vor der unrechten Thür abgeladen. Der Anhang, den er selbst unter dem Gemeinderath hatte, schüttelte jetzt den Kopf über ihn.

      Wir müssen um einige Monate zurückschreiten, um die Stimmung Luzians zu ergründen.

      Die Regungen des tiefgreifendsten Kampfes zuckten eben erst in der Gemeinde aus. Der alte Pfarrer, der eins war mit dem ganzen Dorfe, war plötzlich nach dem Bischofssitze berufen worden, er kehrte nicht mehr zurück, statt seiner verwalteten die Pfarrer aus der Nachbarschaft wechselsweise die Ortskirche. Kurz vor Ostern verkündete das Regierungsblatt die Ernennung und fürstliche Bestätigung eines neuen Pfarrers. Diess war das Signal für Luzian, der den ganzen innern Verlauf kannte, dass sich die ganze Gemeinde wie Ein Mann erhob. Der Gemeinderath mit sämmtlichen Ortsbürgern reichte einen Protest gegen die neue Bestallung ein, der zu gleicher Zeit an die Regierung und an den Bischof geschickt wurde. Sie verlangten ihren alten Pfarrer wieder oder falls diess nicht gewährt würde, das freie Wahlrecht; sie wollten keinen von den jungen Geistlichen, gegen deren Anmassungen sogar schon beim Landstand Klage erhoben worden war. Das war die lebendigste Zeit, in der Luzian seine ganze Kraft entwickelte und die Gemeinde stand ihm einhellig zur Seite. Noch ehe indess ein Bescheid auf den Protest einging, wenige Tage vor der Fastenzeit, bezog der neue Pfarrer seine Stelle. Sonst ist es bräuchlich, dass das ganze Dorf seinem neuen Geistlichen bis zur Grenze der Gemarkung entgegengeht, diessmal aber war er nur von dem Dekan und einigen Amtsbrüdern geleitet. In den meisten Häusern sah man nur durch die Scheiben dem Einziehenden entgegen, man öffnete das Fenster erst, wenn er vorüber war, da man nicht grüssen wollte. Der Gemeinderath und Ausschuss war auf dem Rathhause versammelt, die ganze Körperschaft ging in das Pfarrhaus und überreichte abermals den Protest. Der Dekan sprach beruhigende Worte, und händigte zuletzt dem Schultheiss die abschlägige Antwort des Bischofs ein. Still kehrte man in das Rathhaus zurück und dort wurde beschlossen, in fortgesetztem Widerstande zu beharren.

      Am Sonntag, das Wetter war hell und frisch, versammelte sich das ganze Dorf zu einer Pilgerfahrt; in grossem Wallfahrtszuge ging’s nach Althengstfeld, dem Geburtsort Paule’s. Viele wollten sogleich aus dem Auszuge einen Scherz machen, und schon zog Lachen und Lärmen durch manche Gruppen. Der Brunnenbasche vor Allen ging von Einem zum Andern und hetzte und stiftete, dass das Ding auch ein Gesicht bekäme; den Mädchen erzählte er, dass seine Frau bald ausgepfiffen habe, und er fragte diese und jene, ob sie ihn, einen Wittwer ohne Kinder heirathen wolle, aber ohne Pfaff, so wie die: Zigeuner. Da und dort fuhr ein gellender Schrei und ein Gelächter auf; der so andächtig begonnene Auszug schien zum Fastnachtsscherze zu werden. Man war’s gewohnt, dass der Brunnenbasche, wie man sagt, über Gott und die Welt schimpfte und sich erlustigte, man liess ihn gewähren; nun aber ging’s doch böse aus. Luzian, der mit einigen Anderen Ordnung herzustellen suchte, kam und zog das Halstuch des Brunnenbasche so fest zu, dass er ganz „kelschblau“ wurde. Alles fluchte nun über den Störenfried, den Brunnenbasche, und dieser war kaum losgelassen, als er mit lustiger Miene rief: „Fluchet meine Säu auch, dann werden sie auch fett davon.“

      Jener erste Fastensonntag war der kummervollste, den Luzian bis dahin noch erlebt hatte, ihm war’s so herrlich erschienen, wenn man feierlich in geschlossenem Zuge dahin wallte, und jetzt schien alles aus Rand und Band zu gehen, aller Zusammenhalt schien zerrissen. Hier zum Erstenmale erfuhr er, was es heisst, die gewohnte Ordnung aufzulösen, wenn nicht Jeder den Gleichschritt an seinem Herzschlage abzunehmen vermag. Müssen wir denn gefesselt sein durch äussere Amtsmacht? flog’s ihn einmal durch den Kopf. Er konnte den verzweiflungsvollen Gedanken nicht ausdenken, denn es galt den Augenblick zu fassen, koste es was es wolle; darum rannte er in allen Adern glühend, hin und her, schlichtete und ermahnte, und darum liess er sich von der Heftigkeit zu solcher Behandlung des Brunnenbasche fortreissen. Es gelang ihm endlich mit Hülfe des Steinmetzen Wendel und des Schmieds Urban, Ruhe und Ernst wiederum zu erwecken, und als der Zug sich nun von dem Rathhause aufmachte, begann der Schlosserkarle mit seiner schönen Stimme ein Lied, bald gesellten sich seine Kameraden zu ihm der Pfarrer schaute verwundert, zum Fenster heraus, als die Wallfahrer singend vorüberzogen.

      Der Brunnenbasche war von Jedem, an den er sich anschliessen wollte, fortgestossen worden; jetzt lief er hinterdrein und murmelte vor sich hin: „Laufen die Schaf’ eine Stund weit, um sich mit ein paar Worten abspeisen zu lassen. Der Luzian ist der Leithammel. Könnt’ denn das Vieh nicht einmal einen Sonntag ohne Kirch’ sein? Ich will aber doch mit und sehen was es gibt.“

      Als man in der Waldschlucht anlangte, war Luzian vorausgeeilt, von einem Felsen hoch am Wege rief er plötzlich: „Halt!“ Die ganze Schaar stand still und Luzian sprach weiter: „Liebe Brüder und Schwestern! Ich will euch nicht predigen, ich kann’s nicht und es ist hier der Ort nicht, und doch sind oft die besten Christen in den Wald gezogen und haben von dort sich ihre Religion wieder geholt. Ich hab’ jetzt nur Eins zu sagen, ein paar Worte. Wir sind von daheim fort, von der Kirch’, die unsere Voreltern gebaut haben; hier wollen wir schwören, dass wir zusammenhalten und nicht nachgeben, bis wir unsere Kirch’ wieder haben und einen Mann hineinstellen, wie wir ihn haben wollen, wir. Das schwören wir.“ Luzian hielt inne, er erwartete etwas, aber die Meisten wussten nicht, dass sie etwas zu sagen hatten, nur einige Stimmen riefen: „Wir schwören.“ Luzian aber fuhr fort: „Nein, nicht mit Worten, im Herzen muss ein Jeder den Schwur thun. Noch eins, wir kommen jetzt in ein fremdes Dorf, wir wollen zeigen, dass wir eine heilige Sache haben.“ Luzian schien nicht weiter reden zu können, er kniete auf dem Felsen nieder und sprach laut und mit herzerschütterndem Tone das Vaterunser.

      Mit Gesang zogen die Wallfahrer in das Nachbardorf ein, als es eben dort einläutete. Nach der Kirche gab es manche harmlose Neckereien zwischen den Althengstfeldern und ihren neuen „Filialisten.“ Während dessen waren der Gemeinderath und Luzian