Malvina Moorwood (Bd. 1). Christian Loeffelbein

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Название Malvina Moorwood (Bd. 1)
Автор произведения Christian Loeffelbein
Жанр Книги для детей: прочее
Серия
Издательство Книги для детей: прочее
Год выпуска 0
isbn 9783649633716



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Ballsaal keine fünf Minuten aufhalten konnte, ohne eine Gänsehaut zu bekommen. Und dass aus dem Klo im zweiten Stock des Anbaus, in dem wir wohnten, manchmal merkwürdige Röchelgeräusche kamen, obwohl gar keiner drin war. Und dass man in das Astloch der alten Eiche im Garten Spielsachen hineinwerfen konnte, die dann spurlos verschwanden.

      Vielleicht würden die vom Verlag so etwas wie einen Spuk-Beobachter schicken, also jemanden, der richtig Ahnung davon hatte. Mit dem könnte ich dann gemeinsam auf Geisterjagd gehen. Darauf freute ich mich schon sehr.

      Aber jetzt freute ich mich erst mal darauf, Tom zu überraschen.

      Der Ostflügel war übrigens bis kurz vor Tristans Geburt noch von meiner Familie genutzt worden, natürlich ohne zugenagelte Fenster. Onkel Frank hatte hier gewohnt, bevor er nach London gezogen war, um ein berühmter Schauspieler zu werden. Mama und Papa hatten ebenfalls hier gelebt, kurz nachdem sie sich kennengelernt hatten, aber Mama fand das nicht so toll, weil sie alte Häuser nicht mochte. Kaum zu glauben, aber wahr: Mama träumte davon, in einem kleinen Appartement mit Zentralheizung zu wohnen. Vielleicht lag es daran, dass ihr einmal beim Schlafen ein Teil der Stuckverzierung von der Decke aufs Gesicht gefallen war. Keine Ahnung, warum sie sich wegen ein bisschen Gipsstaub so anstellte, aber so war Mama halt. Für sie musste immer alles tipptopp sein.

      »Hier entlang«, sagte ich zu Tom und winkte erneut. Diesmal energischer, weil Tom nur noch zögerlich einen Fuß vor den anderen setzte.

      Ob er Angst hatte?

      Ein wenig unheimlich war es hier nämlich schon. Die Wandbeleuchtung flackerte, und die Tapete des Flurs, den wir entlanggingen, war aus dem vorvorigen Jahrhundert und hatte wahrscheinlich auch schon damals keine besonders heitere Stimmung verbreitet. Die verschlungenen Muster sahen aus wie grinsende Totenköpfe, und ich konnte mir gut vorstellen, dass Henker Harry hier gern um Mitternacht herumstreunte.

      Ich führte Tom zu Papas altem Arbeitszimmer und knipste das Licht im Flur wieder aus. Für eine Weile standen wir in der schwülwarmen Dunkelheit.

      Tom schnaufte erneut, während ich mich zu Papas Schreibtisch vortastete. Dort machte ich die Lampe an und gab dann ein übermütiges »Ta-ta-ta-ta!« von mir. Gleichzeitig zeigte ich mit beiden Händen auf den alten Fernseher neben dem Schreibtisch. Er stand auf einem Rollwagen, zusammen mit dem Abspielgerät für Videokassetten. Der Fernseher sah aus wie ein Backofen und das Videogerät wie ein Metallklotz vom Schrottplatz.

      Tom riss die Augen auf.

      »Nicht schlecht«, sagte er anerkennend und holte die Videokassette aus seinem Rucksack. Dracula verkündete eine blutrote Schrift auf dem Titelbild, das außerdem eine verfallene Burg und einen höhnisch grinsenden Vampirfürsten zeigte. Sehr vielversprechend und genau der richtige Film für den letzten Schultag.

      »Funktioniert die Anlage denn auch?«, fragte Tom.

      Ich nickte, denn ich hatte die beiden Geräte aus der Steinzeit schon einmal mit Tristan ausprobiert.

      Aber gerade in dem Moment, als ich den Fernseher einschalten wollte, fiel mein Blick auf den Papierkram, der auf dem Schreibtisch lag.

      Neuer Papierkram.

      Papierkram, der bei meinem letzten Besuch noch nicht da gewesen war.

      Papierkram, der nichts Gutes bedeutete, das spürte ich sofort, denn es gab einen ganz bestimmten Grund, warum er hier herumlag und nicht in Papas normalem Arbeitszimmer neben der Küche:

      Es war Papierkram, den ich nicht sehen sollte. Und vermutlich Tristan und meine beiden Schwestern auch nicht.

      »Was ist denn los?«, fragte Tom. Er klang besorgt.

      Ich murmelte etwas Unverständliches vor mich hin, weil ich damit beschäftigt war, den Papierkram anzustarren. Den Papierkram, den keiner sehen sollte.

      Tom trat neben mich und half mir beim Starren. Ich war froh, dass er da war, denn ich fühlte mich plötzlich so, als hätte mir jemand in den Magen geboxt und mich gleichzeitig mit eiskaltem Wasser überschüttet.

      »Verdammte Axt«, flüsterte Tom, ein Ausdruck, den er von seinem Vater aufgeschnappt hatte und den er nicht leichtfertig einsetzte. Verdammte Axt war für außergewöhnlich schreckliche Dinge reserviert.

      Dinge wie diesen Papierkram.

      »Weißt du, was das bedeutet?«, flüsterte Tom.

      Ich nickte.

      Natürlich wusste ich es.

      »Dein Papa hat euer Schloss verkauft«, sagte Tom.

      Ich holte tief Luft, damit ich nicht anfing zu heulen. »Allerdings«, sagte ich.

      »An einen gewissen Mr Bommel.«

      Der 16. Juli hätte ein wunderbarer Tag sein können.

      Aber es war der schlimmste Tag meines Lebens.

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      Kapitel 2

      Ich lasse eine Bombe platzen

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      Zum Abendessen gab es eine kalte Version von Tante Fridas Schweinebraten und diesmal waren alle Familienmitglieder in der Küche versammelt. Allerdings nicht um den Tisch herum, sondern im Raum verstreut. Das war nicht unüblich bei uns, wenn eine Art Buffet serviert wurde.

      Papa hatte ein Stück Schweinebraten in der einen Hand und unsere alte, klapprige elektrische Heckenschere in der anderen. Er versuchte, das Teil auf ein Stück Zeitung zu legen (also die alte, klapprige elektrische Heckenschere, nicht den Schweinebraten), wobei ihm Poldi fortwährend in die Quere kam.

      Onkel Bob scherzte am Herd mit Tante Frida, wobei er abwechselnd ein riesiges Stück Käse und ein Glas Rotwein zum Mund führte und laut lachte. Offenbar hatte das mit den Hufeisen und unserem Hengst geklappt, denn sonst wäre Onkel Bob nicht so gut drauf gewesen.

      Tante Frida rührte konzentriert in einem Topf, in dem sich ihre berühmte rote Grütze aus Erdbeeren, Himbeeren und Johannisbeeren befand. Hin und wieder sagte sie Sachen wie »Aha«, »Na, so was« und »Ist ja nicht zu fassen« (Tante Frida interessierte sich nicht besonders für Pferde).

      Mama saß mir gegenüber am Esstisch, knabberte gedankenverloren an einer Mohrrübe und ging irgendwelche Rechnungen durch (Mama interessierte sich nicht besonders fürs Essen).

      Amalia und Georgina (meine beiden großen Schwestern, wie immer gleich angezogen und geschminkt und mit dem gleichen nervigen Wir-sind-Zwillinge-und-etwas-Besseres-Blick) tippten auf ihren Handys herum, während sie in der Mitte der Küche und Tristan im Weg standen. Der versuchte nämlich gerade, eine geöffnete Flasche Cola, ein geöffnetes Glas Erdnussbutter, eine Packung Toastbrot, zwei Bananen und einen Teller zum Esstisch zu balancieren, und kam an den beiden nicht vorbei.

      Genau der richtige Moment, um die Bombe platzen zu lassen.

      Tom hatte mir zwar davon abgeraten, aber man kann nicht immer auf seine Freunde hören. Und der schlimmste Tag meines Lebens sollte auch für meine Familie (und vor allem für meinen hinterhältigen Papa) nicht angenehm enden.

      »Ich habe heute so einen Typen in Moorwood getroffen«, sagte ich.

      Tante Frida schaute an Onkel Bob vorbei zu mir. Sie hob die Augenbrauen und eventuell bewegte sie den Kopf ganz leicht von links nach rechts, das konnte ich aus dem Augenwinkel nicht so genau sehen. Ansonsten reagierte keiner.

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      Papa untersuchte das Kabel der Heckenschere, das offenbar defekt war. Onkel Bob wedelte mit Käse und Rotwein herum, Mama knabberte, die Zwillinge kicherten und Tristan versuchte weiter, sich an ihnen vorbeizuschieben.

      »Hat gesagt, dass er zu wissen glaubt, wer ich bin, der Typ«, fuhr ich