Название | Malvina Moorwood (Bd. 1) |
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Автор произведения | Christian Loeffelbein |
Жанр | Книги для детей: прочее |
Серия | |
Издательство | Книги для детей: прочее |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783649633716 |
Zum Glück bimmelte in diesem Moment Tristans Handy. Bestimmt Onkel Bob, der Tristan zurück in den Stall beorderte. Der gehörte übrigens auch zu unserem Schloss, also der Stall. Papa betrieb zusammen mit Onkel Bob eine Reitschule und eine Pferdepension.
Ich hörte, wie Onkel Bobs laute Stimme aus dem Gerät Befehle erteilte. Der Hengst sollte beschlagen werden, und Tristan sollte helfen, das wilde Tier festzuhalten. Außerdem mussten mindestens drei der Pensionspferde auf die Weide hinter dem Stall gebracht werden und drei andere Pferde wieder von der Weide herunter, weil die sich nicht gut miteinander vertrugen.
Tristan wollte nicht und fing an zu diskutieren, aber gegen Onkel Bob hatte er keine Chance. Wenn man es genau betrachtete, war Tristan eigentlich so etwas wie der Knecht von Onkel Bob. Allerdings war das jetzt nicht mein Problem.
Ich huschte an meinem hilflosen Bruder vorbei in die Küche. Tante Frida empfing mich mit einer ihrer üblichen warmherzigen Umarmungen und wie immer schnupperte ich dabei an ihrer Bluse. Tante Frida duftete nämlich geheimnisvoll. Obwohl sie viel in der Küche stand, roch sie nie danach, keine Ahnung, wie sie das machte. Sie war die sehr viel jüngere Schwester von Opa und hatte eine Zeit lang in Ingolstadt gelebt, einer Stadt im Süden von Deutschland, wo es noch echte Hexen gab – jedenfalls versicherte das Tante Frida. Und ich glaubte ihr. Sie hatte dunkle, glatte Haare und riesengroße grüne Augen, und sie sah aus wie fünfundzwanzig, obwohl sie schon sechzig war oder vielleicht sogar noch älter, das wusste keiner so genau. Tante Frida war übrigens die Frau von Onkel Bob.
»Tristan kommt später, er muss noch mal in den Stall«, sagte ich und Poldi bellte zur Bestätigung. »Kann ich schon essen? Ich sterbe vor Hunger«, behauptete ich und verschwieg, dass ich mir gerade noch eine nicht unerhebliche Menge Gummibärchen reingepfiffen hatte. Poldi behauptete vorsichtshalber dasselbe, indem er erneut laut bellte.
Tante Frida ließ sich erweichen, obwohl gemeinsames Essen bei ihr hoch im Kurs stand. »Dann lass es dir mal schmecken, meine Süße. Du kannst ja eine ordentliche Portion vertragen.« Sie rollte vielsagend mit den Augen.
Das mit der Portion sagte sie immer. Ich bin nämlich nicht gerade voluminös – die Einschätzungen schwanken zwischen klapperdürr (Tristan) und zart gebaut (Mama) – und Tante Frida meinte stets, dass ich zu wenig essen würde, was jedoch nachweislich nicht stimmte.
Aber was sollte das mit dem Augenrollen bedeuten?
»Alles in Ordnung, Tante Frida?«, fragte ich.
»Gewiss, gewiss.« Sie nickte und verteilte großzügig Soße über den Braten und den Knödel auf meinem Teller.
Wenn ich in diesem Moment genau hingeschaut hätte, statt mit Messer und Gabel zu hantieren, dann hätte ich bemerkt, dass Tante Frida ein wenig flunkerte. Die richtige Antwort auf meine Frage hätte nämlich lauten müssen: »Nein, keineswegs. Unheil naht.«
Aber verfressen, wie ich war, bekam ich das nicht mit und ging weiter davon aus, mich mitten in einem perfekten Tag zu befinden.
Ich hatte den besten Schweinebraten der Welt plus einen Extraknödel gerade verspeist, als mein Bruder in die Küche gepoltert kam. Perfektes Timing. Ich schnappte mir meine Schultasche, sauste aus der Küche, flitzte durch den Flur, rannte die Treppe nach oben und stürmte in mein Zimmer. Dafür brauchte ich vierundzwanzig Sekunden. Zwei weniger als gestern. Perfekte sportliche Leistung. Ich begann, meine Schulsachen ganz weit unten in meinem Kleiderschrank zu verstauen und dabei eine ganze Menge T-Shirts, Hosen und Pullis zu finden, die ich schon seit Ewigkeiten gesucht hatte.
Mitten in mein Gewühle hinein klingelte es. Das konnte nur Tom sein, den die Neugier früher als erwartet zu mir getrieben hatte. Ich sprang auf, stürmte hinunter und öffnete die Haustür.
»Ist der Wirbelsturm schon losgegangen?«, erkundigte ich mich, denn Tom sah ziemlich zerzaust aus.
»Was für ein Sturm?« Tom wischte sich den Schweiß von der Stirn. »Bin gerannt«, erklärte er dann.
Er sah mich an, und das Glitzern in seinen Augen verriet, dass er jetzt nicht weiter über das Wetter sprechen wollte – sondern über den Gruselfilm, der in seinem Rucksack steckte.
»Und du hast also echt ein Abspielgerät gefunden?«, fragte er.
Ich machte ein geheimnisvolles Gesicht und flüsterte: »Wart’s ab.«
Dann schwärmte ich Tom von Tante Fridas Schweinebraten vor, entwarf einen Plan dafür, im alten Torhaus ein Geheimversteck für uns beide einzurichten, und lotste Tom währenddessen die Treppe nach oben in den ersten Stock. Dort bogen wir in einen langen Korridor ein, der zu der kleinen Wendeltreppe führte, über die man in den zweiten Stock schlich, wenn man nicht wollte, dass es jemand mitbekam.
»Wo führst du mich denn hin?«, fragte Tom.
»Pst!«, antwortete ich und hielt ausnahmsweise selbst ebenfalls den Mund, um ein gutes Beispiel abzugeben.
Ich ging mit Tom im Dunkeln einen weiteren Korridor entlang. Am Ende angekommen, schaltete ich die Taschenlampenfunktion meines Handys ein und leuchtete in eine Nische.
»Da steht ein Gummibaum«, stellte Tom fest. Besonders begeistert klang er nicht. »Ich dachte, wir gucken uns den Gruselfilm an und keine Zimmerpflanzen, die …«
»Abwarten«, unterbrach ich ihn. Letztens hatte ich nämlich herausgefunden, dass sich hinter dem Gummibaum ein schmaler Durchgang befand – ein Durchgang zu unserem Schloss! Wenn man die Pflanze mitsamt dem großen Übertopf ein wenig beiseiteschob, konnten sich zwei kleine dünne Kinder dort hindurchquetschen. Okay, Tom war weder klein noch dünn, aber er war immerhin ein Kind und musste dann eben den Bauch einziehen. Er fand das nicht so toll, doch schließlich hatten wir es geschafft.
»Jetzt sind wir gleich da«, raunte ich Tom zu und knipste das Licht an. Weil die Fenster mit Brettern vernagelt waren, konnte uns keiner auf die Schliche kommen.
»Sag bloß, wir sind jetzt in Moorwood Castle«, schnaufte Tom.
»Blitzmerker«, erwiderte ich.
»Aber …« Tom sah sich um. »Aber ist das nicht verboten?«
»Du meinst, hierherzukommen?« Ich winkte ihm zu, mir zu folgen.
»Ja«, sagte Tom, »ich dachte, es ist gefährlich, weil das Schloss einstürzen kann.«
»Ach was«, murmelte ich, was natürlich keine richtige Antwort war, aber ich wollte jetzt keine Diskussion um Verbote aufkommen lassen. Denn leider hatte Tom mit seiner Frage mitten ins Schwarze getroffen. Wir befanden uns im Ostflügel von Moorwood Castle und die Zimmer dort waren tatsächlich verboten – während die Zimmer im Haupthaus und im Westflügel strengstens verboten waren und der Dachboden allerstrengstens. Und der Keller war so dermaßen streng verboten, dass es dafür gar kein Wort mehr gab. Angeblich war dort vor dreißig Jahren der letzte Gärtner, der je für die Familie Moorwood gearbeitet hatte, von einem herabstürzenden Mauerstein erschlagen worden. Und seitdem war es dort nicht mehr geheuer. Das hieß, dass es dort unten spuken sollte – jedenfalls behauptete das mein Bruder Tristan.
Aber das war natürlich Unsinn. Warum sollten sich Gespenster, die durch Wände und geschlossene Türen schweben konnten, auf den Keller beschränken? Die geisterten natürlich durchs ganze Schloss! Und selbstverständlich gab es in so einem uralten Gemäuer wie Moorwood Castle nicht nur ein einziges armseliges Gärtner-Gespenst. Hier hausten noch jede Menge andere Spukgestalten. Der rote Baron zum Beispiel und der Henker Harry. Die Spinnen-Lady und die weiße Wasserleiche. Das kriechende Kind und der tanzende Totengräber.
Gesehen hatte ich von diesen gruseligen Gesellen allerdings noch keinen. Leider.
Da Tante Frida meine Begeisterung für unheimliche Dinge aller Art teilte, hatten wir beide eine E-Mail an den Verlag von Butlers Burgen- und Schlösser-Lexikon geschrieben und darauf aufmerksam gemacht, dass Moorwood Castle nicht nur das hässlichste Schloss Englands war, sondern auch das, in dem es am meisten spukte. Na ja. So ganz genau