Kojas Waldläuferzeit. Alois Theodor Sonnleitner

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Название Kojas Waldläuferzeit
Автор произведения Alois Theodor Sonnleitner
Жанр Книги для детей: прочее
Серия
Издательство Книги для детей: прочее
Год выпуска 0
isbn 9788711570043



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Darum war ihre Zuversicht eine unwiderstehliche Macht.

      Im Prokop-Haus

      Schon nach drei Tagen wurde Lorent zur bahnärztlichen Untersuchung vorgeladen und tags darauf trat er den Dienst an. Als ehemaliger Bremser hatte er wohl die Anwartschaft, wieder Fahrdienst zu machen, sobald eine Stelle frei würde, vorläufig fand er aber als Frachtenpacker Verwendung und bezog einen Monatsgehalt von dreissig Gulden. Mehr verdiente Mutter Maria durch ihre Näharbeit, bei der ihr Agi eifrig half. Sie erstand aus ihrem ersten Nählohn von einem Trödler in Melk eine stark abgenützte Nähmaschine, die zwar wegen der ausgewetzten Achsenlager beim Nähen grossen Lärm machte, aber immerhin brauchbar war. Bald kamen zu den Wiener Kunden, die ihr Prokop verschafft hatte, auch einheimische. Da war eine Bahnwärterfrau, die statt mit Geld mit Eiern und Ziegenmilch zahlte und dann die Frau des Kaufmanns Kainrath vom Pöchlarner Kirchenplatz, welche der Näherin Zucker, Kaffee, Feigenkaffee, Mehl und Fett gegen monatliche Verrechnung gab. Es war geradezu wunderbar, was Frau Maria alles auf Borg bekam, Kartoffel, Brot, Fleisch, alles.

      Koja gewöhnte sich daran, beim Rasseln der Nähmaschine behaglich zu schlafen, wenn Mutter und Agi bis Mitternacht Postarbeit erledigten.

      In dienstfreier Zeit beeilte sich Lorent, das innerhalb der Einzäunung ihm zugewiesene Stück Land von Holzstössen frei und urbar zu machen. Erst mähte er mit einer ausgeliehenen Sense das überständige Gras des ganzen grossen Platzes ab, um Heu zu haben für Kaninchen und Ziegen, die er sich wünschte. — Der leerstehende Pferdestall und der Schuppen, die in einem kleineren abgeplankten Hofe dem Hauptgebäude gegenüber standen, übten auf ihn starken Gebrauchsreiz aus. So wenig er sich Jahre hindurch um seinen grossen landwirtschaftlichen Eigenbesitz gekümmert hatte, so eifrig hing er jetzt dem Gedanken nach, sich da eine Kleintierzucht anzulegen, um den Lohn, der für drei Personen nicht zum Nötigsten langte, zu strecken. Bei der Arbeit hatte er so seine eigenen Gedanken. Er beneidete die beiden Bahnwächter oberhalb und unterhalb des Pöchlarner Bahnhofes, von denen der eine sich vier Ziegen hielt, der andere eine Kuh, und jeder von beiden ein paar Schweine, aber auch soviel Kaninchen und Geflügel, dass sie höchstens zur Abwechslung hie und da Rindfleisch zu kaufen brauchten. Dazu hatten sie den Bahngrund, der als Böschung und breiter Streifen die Geleise begleitete, um einen jährlichen Anerkennungszins von wenig Gulden gepachtet und hatten hohe Heuschober bei ihren Häuschen stehen, Heu genug bis weit über den Winter hinaus. — Aber bald schoberte auch Lorent sein erstes, selbstgemähtes Heu. Und was er in Dienstpausen fürs Gepäcktragen von Fahrgästen als „Trinkgeld“ bekam, legte er sorgfältig zusammen. Die Vorstellung, seinem Weib und den Kindern durch Einstellung einiger Hühner und einer Ziege eine freudige Überraschung zu bereiten, gab ihm die Kraft, dem einladenden Duft der Wirtsstube zu widerstehen; nur kein Bargeld verlieren, das sich so langsam, Sechserla) nach Sechserl, vermehrte. Genug daran, dass er ab und zu ein Glas Bier trank, das ihm ein Fahrgast einschenken liess. — Seit er die von Vorgängern stark übertragene, von Schweiss durchtränkte, mit Wagenschmiere und Pufferrost befleckte Eisenbahneruniform trug, war er ein anderer Mensch; er lebte in einer anderen Welt, deren Art er sich jetzt unmittelbar aneignete. Er war nicht mehr der jagende Bauer, der einst damit geprotzt hatte, seinen Hunden Frankfurter und Kalbsbraten auf Porzellantellern servieren zu lassen. Er bedankte sich beim Restaurationskellner, der ihn aufmerksam machte, ein Fahrgast habe sein bezahltes Gulyas und ein halbes Glas Bier im Stiche gelassen, weil ihn das Abfahrtszeichen in den Zug gesprengt hätte. Ein leidenschaftlicher Raucher, lugte Lorent mit Lampisten und Bremsern um die Wette nach Zigarrenstummeln aus, die auf dem Bahnsteig von Fahrgästen weggeworfen worden waren. Er hatte kein überflüssiges Geld auf ein Packel Tabak, das vier Kreuzer kostete; er sparte, um sobald als möglich eine Ziege kaufen zu können. Und wie dankbar war er dem Bahnwirt, der ihm für Botengänge ab und zu ein Schinkenbein zukommen liess, von dem sein Koja noch so schöne Fleischbrocken losschnitzeln konnte. — Dass Agi und Mutter es ungern litten, verstand er nicht. — Dass ihr Zartgefühl sich gegen die Entwürdigung wehrte, rügte er als Hochmut. — Das Wort „Bettelstolz“ bekamen sie von ihm öfters zu hören. Er steckte in einer von Wagenschmiere und Pufferrost befleckten Bremseruniform —, sie sassen bei ihrer Näharbeit in sauberen Kleidern. — Er nahm Trinkgelder, trank von andern stehen gelassenes Bier, klaubte Zigarrenreste auf — sie bezogen Waren und zahlten sie mit ihrer Hände Arbeit. — Er war im Handumdrehen ein armer Würdeloser geworden, der die Geldhaber grüsste, sein Weib war eine arbeitende Frau, vor der ein jeder den Hut zog, der Beamte, der Bürger, der Arbeiter. — Und Koja, der hochbegabte, der in diesem Herbst hätte ins Melker Gymnasium eintreten sollen, benagte die „Schinkenbeiner“ die der Vater heimgebracht hatte; und er tat es, weil seine Essgier stärker war als das noch schwache Gefühl für Würde und Selbstachtung.

      Stundenlang konnte Vater Lorent ohne Unterbrechung, aber auch ohne Hast mit dem Spaten arbeiten, um das Rasenland grob zu schollern, damit der Winterfrost die Erdkrume zermürbe. Während er harmlose Gräser und Kräuter als Grün-Dung unter den gestürzten Schollen liess, klaubte er alle die weissen, langhinkriechenden Wurzelstöcke des Peiers,b) die als berüchtigtes Unkraut vielfach verbrannt werden, sorgfältig aus, liess sie von Koja waschen und übertrocknen, um sie als Kaninchenfutter zu verwenden. — Und noch ehe der Winter kam, hatte Lorent in einem Winkel des leerstehenden Pferdestalles drei meterlange Kisten aufeinandergestellt, mit schrägen, hohlgelegten Böden und mit Rahmentüren versehen, deren Angelbindung aus gefundenen und festgenagelten Lederstücken bestand. Dann hatte Koja die Rahmen mit rostigem Drahtgitter benagelt, das er aus dem alten Eisen im Schuppen hervorgekramt hatte. Und als eines Tages der Vater vom obern Bahnwächter, dem er beim Zimmern eines Schweinekobensc) geholfen hatte, drei halbwüchsige, weiss und schwarz gefleckte Kaninchen brachte, wusste Frau Maria nicht, wessen kindische Freude grösser war, die des Vaters oder die des Sohnes.

      Aber auch Mutter und Agi sollten ihre Freude haben: Zwei Wochen später stellte Lorent, als er um elf Uhr nachts aus dem Dienste kam, einen Korb vor seine Frau neben die Nähmaschine. Als Mutter Maria den Deckel hob, streckte erst ein perlgraues Huhn den Kopf über den Rand und dann ein buntfarbiger Hahn, Verschlafen und vom Lampenlicht geblendet, blieben sie dumm sitzen und singelten fragend: „krrr? krrr? — Agi und Mutter hoben die Hühner heraus, nahmen sie auf den Schoss, streichelten und bewunderten ihr Gefieder und schauten in so unverhohlenem Glücksempfinden zum Vater auf, dass dem die Augen feucht wurden. Und sie lächelten nicht über seine Rührseligkeit. — Sie hatten jetzt Hühner! Hühner! Und die schweigsame Agi erging sich in Ausrufen: „Die Eier werden gespart! — Im Frühjahr haben wir Küchlein!“ — Die nun völlig wach gewordenen Hühner sprangen auf den Sessel, rekelten und streckten sich, prusteten das Gefieder auf, äugten mit schräg gesenktem Kopfe nach Brosamen. Plötzlich stellte sich der Hahn auf die Nähmaschine in den Lichtkreis der Lampe, machte sich hoch und liess ein tiefes Kokorokoo! hören. Und jetzt lachten sie alle drei. Im Hemde kam Koja aus dem Zimmer herüber und rieb sich die Augen. Dann haschte er den Hahn und trug ihn in der Küche herum. — Und im Gesicht des Vaters stand der Widerschein der Freude aller.

      Als er am nächsten Tage schon zu Mittag aus dem Dienste kam, da er den Nachmittag frei hatte, brachte er seine schwarze Tasche voll Körner; es war Hafer, Gerste, Weizen, Mais, Unkrautsamen und viel Kehricht. — Er hatte es im Magazin zusammengefegt. Das konnte er öfter haben, das Hühnerfutter würde ihn nichts kosten.

      Beim Schollern des künftigen Ackerbodens leisteten Hahn und Henne dem Vater Lorent treue Gefolgschaft; sie lauerten bei jedem Spatenstich auf die Regenwürmer, die zu Knäueln geballtd) in runden Erdlöchern schliefen, sie erspähten jeden Troadwurm,e) jeden kleinen Engerling, der in den Wurzeln der Gräser hing.

      Die Nacht verbrachten die Hühner auf einer Querstange im Pferdestall, und beim Morgengrauen weckte der Hahn das ganze Haus. Indes bereitete der Vater seinem Weib und den Kindern eine noch grössere Freude: Schon hatte er zehn Gulden erspart; am Tage des ersten Schneefalls führte er eine weisse trächtige Ziege unbemerkt in den Hof und rief seine Lieben. Und sie kamen sogleich. Als Frau Maria die Ziege erblickte, fiel sie ihrem Manne um den Hals und küsste ihn. Es war das erstemal seit langer, langer Zeit. Dann hängte sich ihm Koja an den Hals; Agi aber hatte der Ziege einen Napf voll Wasser, dem sie ein wenig Mehl und Salz zugesetzt hatte, ins Gras gestellt und freute sich, wie dem Tier das „Trankerl“ schmeckte.

      Wohl