Kojas Waldläuferzeit. Alois Theodor Sonnleitner

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Название Kojas Waldläuferzeit
Автор произведения Alois Theodor Sonnleitner
Жанр Книги для детей: прочее
Серия
Издательство Книги для детей: прочее
Год выпуска 0
isbn 9788711570043



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das Elternhaus des verwaisten Buben sparsam bewirtschaftet, aber zum Lernen angehalten hat er den kleinen Vincenz nicht. Nur dass er ihn auf Tausch nach Herrnskretschen gegeben hat, damit der Bub deutsch lernt. Dann aber hat er ihn Küh’ hüten lassen, statt ihn in die Schul’ zu schicken. Und dann ist der Vater Knecht gewesen beim Vormund. Und vom Gesind hat er in der Wochen das Fluchen gelernt und am Sonntag das Trinken. Und wie er gross war, hat ihm der Vormund das Haus mit Wald und Feld und Wiesen übergeben müssen als Erbstück von den Eltern. Und dann hat der Vater die Mutter g’heirat’, die hat von ihren Leuten ein Wirtshaus bekommen als Heiratsgut. Und da war der Vater auf einmal ein zweifach reicher Mann und hat viele Freund’ g’habt. Die haben mit ihm getrunken und Karten g’spielt um hohe Einsätz’. Und weil er gut war, hat er Geld hergeborgt, viele Tausend Gulden. Er hat nicht nein sagen können, wenn ihn die Leut’ gelobt und recht gebeten haben. Und oft hat er im Rausch gekauft, was man ihm verkaufen wollt’, wenn er’s auch nicht gebraucht hat; schöne Pferd’, Kaleschen,d) Holz zum Bauen, Schmucksachen, Bilder. Auf die Jagd ist er gangen mit anderen reichen Herren, so wie er’s da macht, in der Neuda, seit er vom Onkel Lorent die Mühl’ geerbt hat. Zwei schöne Jagdhund’ hat er g’habt; denen hat er in den Wirtshäusern Frankfurter-Würstel, Kalbsbraten und Schweinsbraten auf dem Teller vorsetzen lassen; so hat er das Geld vertan, weil der Vormund ihn nicht gelehrt hat, mit dem Geld richtig umzugehen. Der Vater könnt’ nix dafür, sagt die Mutter, schuld an allem wär’ der Vormund, der nicht gewusst hat, was er damit anrichtet, wenn er den Waisenbuben so aufwachsen lasst. Und die Mutter hat g’hofft, sie könnt’ den Vater anders machen. Aber sie konnt’ ihm nit wehren, weil er jeden Tag angetrunken war und grob mit ihr. Und just wie du vier Jahr alt warst und ich sechse, hat uns das Gericht alles verkauft, den Bauernhof, das Wirtshaus, die Wiesen, die Felder und den Wald.“ Koja nickte; er erinnerte sich daran. „Und dann ist unser Wandern angegangen. Du weisst doch, dass der Vater als Bremser bei den Schotterzügen angestellt war, wo gerade eine neue Bahn gebaut worden ist; in Alt-Paka, droben in Böhmen, dann in Leobersdorf, dann in Gaming, im Österreichischen.“ — „Das weiss ich doch!“ warf Koja ein. — „Aber dann ist grad unser Grossonkel g’storben, der uns nie hat helfen mögen und den wir nie gesehen haben, weisst, der Onkel vom Vater, der die Neuda-Mühl’ g’habt hat. Und der Vater hat die Mühl’ bekommen und war wieder ein reicher Mann. Jetzt sind wir das zweite Jahr da. Der Vater hat eine Zeit lang gut getan, solang er nicht allerhand Freund’ gehabt hat, die ihn zum Kartenspiel ang’lernt haben, zum Jagen geh’n und zum Trinken. Und weil er mehr Geld ausgibt, als wir fürs Mahlen und Bretterschneiden, für Milch und Eier kriegen, hat er wieder Schulden gemacht, jetzt verlangen die Leut’ ihr Geld und haben den Vater verklagt. Gestern ist vom Gericht die Vorladung gekommen und zwei Advokatenbriefe. Die Mutter und ich haben gerechnet und gerechnet. Was wir haben, wird nicht langen; das Gericht wird uns die Mühl’ verkaufen und wir werden wieder arm sein. Und das hat ihm die Mutter gestern nacht g’sagt, weil er bös war, dass sie schon wieder verweinte Augen ghabt hat. — Er hat ihr die Schuld gegeben, sie hätt’ sollen besser haushalten. — Da hab’ ich ungefragt dreing’redt. Und was dann geschehen ist, das frag’ mich nit. — Die Mutter will nit haben, dass es laut wird. Und sie sagt, der Vater wird wieder so gut, als er eigentlich ist — wann er wieder arm sein wird und nimmer so viel trinkt.“ — Trotz allen Leides, von dem Koja jetzt erfahren, hatte er ein zages Frohgefühl in sich, das ihm aus den Augen sah: Er kam sich wichtiger vor als je; Agi hatte zum erstenmal mit ihm geredet wie mit einem Grossen. Er war nimmer der dumme Bub von gestern. Agis Wort: „Wir werden arm sein,“ hatte auf ihn wenig Eindruck gemacht. Das Armsein dachte er sich ungefähr so, wie das Leben in Altpaka, wo er so glücklich gewesen war mit der kleinen Julie, oder wie das Spielen in der Puhu-Hütte, wo das Bänklein wackelte und die Spinnweben in den Ecken hingen.

      Schon im Dorfe Brunn gesellten sich andere Kinder zu den Geschwistern; sie schwatzten sorglos wie die Sperlinge. Und Koja wunderte sich, dass seine Schwester lächeln konnte, wenn die andern lachten. Und als sie vor dem Garten des Brunner Müllers stehen blieb, um dort die erblühten Herzchenblumene) zu bestaunen, nahm er sie bei der Hand und schaute in Andacht die seltsamen Blüten mit an, lauter rote Herzen an langem, schwanken Stengel niederhangend, die grossen zutiefst und dann immer das folgende kleiner als das vorhergehende.

      In Pöchlarn nahm Roserls Mutter von Agi die Jacke an und versprach, über die Sache nicht weiter zu reden. Dann trug Agi die Briefe zur Post und jedem gab sie einen Augensegen mit auf den Weg, bevor sie ihn in den schwarzgelbenf) Kasten warf: der Mutter Worte sollten Wunder tun bei denen, die sie lesen würden. Auf dem Chor sang Koja mit Roserl aus demselben Notenblatt und zwischen den einzelnen Strophen des Messgesanges flüsterten sie miteinander vom Amerika-Spielen. Roserl versprach, nachmittags in die Neuda zu kommen. Agi suchte den Oberlehrer auf und erbat von ihm die Zusage, dass er Koja beim Vater nicht verklagen werde. Jetzt war ihr leichter. Nach der Messe traf Koja seine Kameraden vor dem Kirchentor, darunter einige arme Buben von Gollinger Kleinhäuslern, die sich mit Bogen und Pfeilen als Indianer einfinden wollten, um die Farm zu belagern. Auf dem Heimweg holte Herr Sigismund Sacht, der Branntweinschänker aus Krummnussbaum, mit seinem Steirer-Wägelchen die Geschwister ein, liess sie mit aufsitzen, und so fuhren sie unter lustigem Peitschenknall durch die sonnige Frühlingslandschaft dem Heim zu, auf dem ungewohnten Umweg über die Rechenbrücke, ober der sich das von der Erlaf angeschwemmte Holz staute, Scheiter und Baumstämme in wirrem Durcheinander. Und als sie über die primelübersäeten Wiesen dem Haus zugingen, meinte Koja unvermittelt: „Vielleicht wird’s nit so schlimm; vielleicht kommt’s ganz anders.“ — „Ja“, versetzte Agi, „vielleicht helfen noch einmal die Briefe der Mutter; und wenn nit, wird’s mit dem Vater besser, wenn er nimmer reich sein wird; er wird nit so viel Freund’ haben.“ —

      Die bange Stimmung wich von den Kindern, als sie beim Mittagessen staunten, dass die Mutter freundlich war, als war’ nichts Ungut’s geschehen. Die Wunde unterm Aug’ hatte sie mit einem gelben Mehl bestäubt;g) der hässliche Schurf war verdeckt. Der Vater ass wenig und vermied es, seinem Weib ins Gesicht zu sehen. Er bereute, dass er sich so weit vergessen hatte — zum ersten Mal. Schon um zwei Uhr fand sich die Roserl ein; sie brachte Agi die Jacke zurück und schleppte sich mit einem Korb Geschirr und Esswaren ab zum Spielen in der Farm.

      Von der Müllerin erbat sie sich einen Polster, von Koja zwei alte Hosenträger, dann fing sie den Kater ein, der sich ohne viel Sträubens darein fand, als Wickelkind eingeschnürt zu werden. Bald kam auch der Wieser Franzel mit dem Steininger Sepp. Die sollten als Trapper die Farm verteidigen helfen. Als Waffen trugen sie lange Stäbe, die sie mit Spagatschnüren wie Flinten umgehängt hatten. Der Zug ordnete sich zum Aufbruch. Agi blieb bei der Mutter zu Haus. Der Farmer Koja trug am linken Arm den Proviantkorb, wo zwischen Speck, Brot und Kaffeeflasche auch die geladene Kanone und die Pulvertüte verstaut war; in der Rechten hielt er ein kleines Küchenbeil, um damit durch die „Lianen“ des Urwaldes einen Pfad zu bahnen. Die Farmerin Roserl hielt aber mit mütterlicher Sorgfalt ihr Wickelkind im Arm, das mit grossen staunenden Augen in die Welt sah und manchmal einen unwilligen Laut von sich gab. Die Wandernden wichen dem leicht gangbaren Pfad im Weidenwald sorgfältig aus und Koja bahnte mit vielen Axthieben den Weg durchs ärgste Gestrüpp von Waldreben und Brombeeren.

      In der Farm angekommen, legte Roserl das Wickelkind in einen Winkel auf Laub, dann baute sie vor der Hüttentüre aus Steinen einen Herd und fing an zu kochen, d. h. den mitgebrachten Kaffee im Blechtopf zu wärmen. Den zwar schon geräucherten Speck hängte sie auf einer grünen Rute in den Rauch. Die drei Männer aber begannen mit fieberhafter Hast den Bau der Palisaden, die vor der Farm einen Hofraum von zwei Schritten im Geviert einschliessen sollten. Das Bauholz musste wegen der Indianer mit grosser Umsicht vom Erlafufer herbeigetragen werden, wo manche der bei Hochwasser verschwemmten Scheiter im Ufergebüsch hangen geblieben waren. Zwischen starken Weidenstöcken, die in den Boden gerammt worden waren, wurden die Hölzer wagrecht aufeinander gelegt, so dass eine fast kniehoche Schutzwehr entstand, hinter der die Schützen in liegender Stellung gedeckt waren. Für die Kanone aber wurde durch Auftragen des Mulmsh) einiger Maulwurfshügel ein erhöhtes Fort geschaffen, von dem aus das Geschütz die ganze Prärie bestreichen sollte.

      Kaum waren die Verteidigungsmassnahmen getroffen, als sich in der Lichtung schon ein Indianer zeigte, dessen Gesicht in seiner Rötel-, Russ- und Kreidebemalung ganz fürchterlich wirkte. Ein Zielen mit dem Stecken