DAS DING AUS DEM SEE. Greig Beck

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Название DAS DING AUS DEM SEE
Автор произведения Greig Beck
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783958355361



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sein Glas ab. »Ja, wir haben den Fünf-Jahres-Vertrag. Danach …« Er hielt eine Hand mit gekreuzten Fingern in die Höhe.

      »Danach wirst du wieder gewinnen … und dann hast du neunundneunzig Jahre.« Er hob sein Glas erneut und leerte die Hälfte seines Biers.

      »Vielleicht«, sagte Marcus.

      »Nichts vielleicht. Zusammen sind wir unschlagbar.« Yuri nickte zuversichtlich, aber dann zog er seine buschigen Augenbrauen hoch. »Und wann kommt die Prinzessin?«

      »Prinzessin Sara kommt in drei Monaten nach. Vorher muss das Haus aber tipptopp sein.« Marcus verzog das Gesicht.

      »Guter Plan, denn dann wird Sommer sein. Da ist der See immer am schönsten. Freundlich und warm.« Yuri nickte mit seinem großen Kopf, doch dann sackten seine Mundwinkel nach unten. »Jetzt würde es ihr nicht so gut gefallen.«

      Marcus seufzte und nahm noch einen kleinen Schluck. »Vor den Fischen brauchen wir die Menschen, und vor den Menschen brauchen wir einen Ort, an dem wir sie unterbringen können. Das Bruthaus muss betriebsbereit sein, ebenso wie das Labor, die Gehege und die Hütten – es gibt noch viel zu tun.«

      »Wir schauen morgen sofort. Dann kann ich bis zum Ende der Woche jemanden mit der Arbeit anfangen lassen.« Yuri schien plötzlich nachdenklich zu werden. »Je mehr Menschen da sind, desto besser. Besser für …« Er verkniff sich die Worte und zuckte stattdessen einfach mit den Schultern. »Man schläft so besser.«

      Marcus neigte den Kopf. »Sonst noch was?«

      Der große Russe brummte einen Moment lang tief und schüttelte dann seinen bärengleichen Kopf. »Nur zu viel Wodka, glaube ich.« Er hob sein Glas. »Auf morgen früh.«

      »Hast du noch ein Boot?«

      »Klar, klar. Aber der See ist gefroren, also kein Boot jetzt.« Er grinste. »Aber ich habe auch einen Truck.«

      »Es ist aber sicher, richtig?« Marcus Brauen hoben sich angespannt, denn er hatte bisher noch nicht wirklich versucht, auf einer Eisdecke zu fahren.

      »Ja, wir fahren auf dem See.« Yuri prostete Marcus wieder zu und trank sein Glas in einem Zug aus.

      Auf Marcus' Sicherheitsfrage ging er nicht ein.

      KAPITEL 04

       Listvyanka, Baikalsee – Hauptkai

      

      Am nächsten Morgen wartete Yuri pünktlich am Anlegeplatz und Marcus hatte sich erheblich bessere Kalt-Wetter-Kleidung in Form einer hellorangenen SeaWorld-Jacke, Stiefeln und Handschuhen angezogen. Auch wenn er erwartete, nicht auf einem Boot, sondern in der Fahrerkabine eines mit Spikereifen ausgestatteten Trucks zu reisen, wusste er, dass die Kälte, sobald sie sich draußen auf der freien Eisfläche befänden, wie ein lebendiges Wesen wäre und versuchen würde, bei jeder sich bietenden Gelegenheit zu ihnen durchzudringen.

      Zunächst würde Yuri mehrmals hin und her fahren, um Vorräte zu bringen, während sie sich einrichteten, doch irgendwann würde auch er permanent in den Mühlenkomplex ziehen. Von einem seiner Trips würde er auch mit dem Boot auf einem Anhänger zurückkommen, und mit zwei Bobcats, leistungsstarken, kleinen Schneemobilen, die wie Motorräder auf dem Eis sein würden.

      Marcus hatte Glück, dass er diesen Kerl kennengelernt hatte. Er hatte viele Vorstellungsgespräche geführt, Yuri war ein erfolgreicher Manager und Tausendsassa, der mit Fischerei, Baugewerbe und vermutlich einem halben Dutzend anderer Dinge, mit denen Marcus sich nicht allzu intensiv befassen wollte, zu tun hatte. Unterm Strich war der Mann allerdings ehrenhaft, zuverlässig, erledigte alle geforderten Dinge und war ein rundum guter Kerl – und nachdem Marcus schon zwei Jahre lang mit ihm zusammengearbeitet hatte, hauptsächlich telefonisch, wusste er, dass er ohne ihn komplett aufgeschmissen wäre.

      Yuri öffnete jetzt die Tür des Trucks. »Ihr Amerikaner fallt gern auf, was?«

      »Wieso? Das ist meine Lieblingsjacke.« Marcus warf seine Koffer nach hinten und stieg ein. Dann machte er die Daumen-Hoch-Geste und zog seinen Kragen vom Kinn. »Es ist so unfassbar kalt«, sagte er zitternd.

      »Diese Temperatur? Das ist doch noch gar nichts.« Yuri streckte die Hand aus, um ihm auf die Schulter zu klopfen. »Warte mal ab, bis der Winter richtig seine Zähne zeigt. Er kann fest zubeißen.« Er brüllte daraufhin vor Lachen und ließ den Truck an.

      Marcus stöhnte und drehte sich um, um zu sehen, wie die Stadt Listvyanka immer kleiner wurde, als sie diese hinter sich ließen. Abgesehen vom Rauch, der sich von den Schornsteinen erhob, sah sie absolut verlassen und trostlos aus, als stünde die Zeit dort still.

      Marcus lehnte sich jetzt zurück und starrte auf die Eisoberfläche des Sees. Es kam ihm so vor, als würden sie über eine endlose weiße Ebene fahren, die mit glitzernden Zuckerkristallen bestäubt war. Doch er wusste, unter dem Eis war das Wasser kristallklar und an manchen Stellen unvorstellbar tief.

      Sie hatten noch einen weiten Weg vor sich, doch Yuri hatte Sandwiches dabei – Fisch natürlich – mehrere Thermoskannen voll Kaffee und reichlich zusätzlichen Treibstoff. Die Oberfläche des Sees stellte die schnellste Überquerungsmöglichkeit dar, entweder per Fahrzeug oder Boot, aber selbst mit Höchstgeschwindigkeit würden sie einen ganzen Tag lang der Küstenlinie folgen müssen.

      Marcus fiel irgendwann in eine Art Trance, während das Ufer unverändert an ihnen vorbeiflog. Sie mussten auch an der gigantischen, überdimensionalen Insel Olchon vorbeifahren. Es war die größte Insel im Baikal. Sie war zweiundsiebzig Kilometer lang und besaß eine Landmasse von siebenhundertdreißig Quadratkilometern. Sie war mit dichtem Wald bedeckt und es gab sogar Menschen, die dort lebten.

      Es war vor allem die Größe hier draußen, die Marcus den Atem verschlug. Alles an diesem Ort war riesig, uralt und abgeschieden. Marcus fühlte sich deswegen automatisch winzig und unbedeutend und kam sich wie eine moderne Kreatur vor, die plötzlich in einem altertümlichen fremden Land war.

      Das war wahrscheinlich auch der Grund, warum den Stören diese Gebiete so sehr zusagten. Ihre Evolution reichte immerhin bis in die Trias, ungefähr zweihundertfünfundvierzig Millionen Jahre, zurück. Seitdem hatten sie bemerkenswert wenige morphologische Veränderungen erlebt. Im Grunde genommen gefiel der Evolution, was sie mit den Fischen gemacht hatte, und sie hatte beschlossen, ihre Form so zu belassen, wie sie war – warum auch nicht? Vieles sprach für sie: Sie vertrugen sowohl tropisch heiße als auch eiskalte Gewässer, Salz- und Süßwasser, sie wurden groß und hatten deswegen nicht viele Feinde, und sie waren außerdem gepanzert, mit vier Reihen von Knochenplatten, die den Höckern entsprachen, welche Alligatoren besaßen, und die auch bei einigen Dinosauriern vorhanden gewesen waren.

      Der Truck rumpelte jetzt über ein Eisfeld und riss Marcus aus seiner Trance. Er erkannte, dass der Morgen immer noch eine blassorangene Röte am Horizont, und der Himmel wässrig blau war. Doch vor ihnen wirkte das Eis noch immer endlos.

      Yuri hatte ihm erzählt, dass er im Winter die beherzteren Taucher in seinem Truck hinausfuhr und Löcher ins Eis schlug, damit sie hineinsteigen konnten, oder er ließ motorisierte Kameras als Mini-Unterwasserfahrzeuge hinab. Marcus hatte einige der Fotos unter dem Eis gesehen, und es war eine äußerst merkwürdige Welt mit einem Himmel aus blauem Eis und tiefschwarzer Dunkelheit darunter.

      In diesen dunklen Abgründen mussten sie die Standorte für ihre Fischgehege suchen. Diese sollten nahe an der Mühle liegen, in einer Tiefe zwischen sechzig und hundertfünfzig Metern, und möglichst nicht zu weit draußen, damit in den Sommermonaten nicht die Gefahr bestand, dass die Gehege vom Schiffsverkehr oder von manchen der starken Stürme, die im sibirischen Sommer Ärger machen konnten, beschädigt wurden.

      Dort, wo die Mühle stand, war ein Großteil des Sees die meiste Zeit im Jahr über gefroren, und das war eine gute Sache, was den Sturmschutz betraf.

      Marcus hielt einen Plastikbecher mit lauwarmem Kaffee in der Hand und lehnte sich im Sitz neben Yuri zurück. Die beiden Männer schwiegen und hingen ihren eigenen Gedanken nach. Er vermisste Sara