Die Zeit der Völkerwanderung: 14 Historische Romane. Felix Dahn

Читать онлайн.
Название Die Zeit der Völkerwanderung: 14 Historische Romane
Автор произведения Felix Dahn
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9788027222049



Скачать книгу

      Dreizehntes Kapitel

       Inhaltsverzeichnis

      Draußen vor dem tiburtinischen Tor ward es zu gleicher Zeit stiller. Ein Bote hatte die gotischen Reiter von dem überflüssigen Gefechte abgerufen. Sie sollten hier innehalten und alle verfügbare Mannschaft um die Stadt und über den Fluß eilig an das aurelische Tor senden, durch welches man soeben in die Stadt eingedrungen sei: dort brauche man alle Kräfte. Die Reiter jagten, rechtsum schwenkend, nach jenem Tor, wo sich jetzt alles zusammendrängte. Aber ihr eigenes Fußvolk, stürmend an den zwischenliegenden fünf Toren: der Porta clausa, nomentana, salaria, pinciana und flaminia, versperrte ihnen den Weg so lange, daß sie zu der Entscheidung zu spät kamen, die am Grabmal des Hadrian gefallen war.

      Wir erinnern uns der Lage dieses Lieblingsplatzes des Präfekten: dem vatikanischen Hügel gegenüber, einen Steinwurf etwa vor dem aurelischen Tor gelegen, mit diesem durch Seitenmauern verbunden und überall, außer im Süden, wo der Fluß decken sollte, durch neue Wälle geschützt ragte die «moles Hadriani», ein gewaltiger, runder Turm von festestem Bau. Eine Art Hofraum umgab das eigentliche Gebäude: vor der ersten, äußeren Deckungsmauer im Süden floß der Tiber. Auf den Zinnen dieser Außenmauer, in dem Hofraum und auf den Zinnen der Innenmauer lagerten sonst die Isaurier, die der Präfekt zu übler Stunde hinweggezogen hatte, seinen Plan gegen Belisar durchzusetzen. Auf den Zinnen der Innenmauer aber standen die zahlreichen Statuen von Marmor und Erz, deren drittes Hundert das Geschenk des Kallistratos vervollständigt hatte.

      Der König der Goten hatte sich für heute in der Mitte des großen Halbkreises, den die Barbaren auch um die Westseite auf dem rechten Tiberufer, um die Stadt gezogen, auf dem Felde Neros zwischen dem pankratischen (alten aurelianischen) und dem (neuen) aurelianischen Tor, wo sonst nur Graf Markja von Mediolanum lagerte, eine zurückgenommene, abwartende Stellung gewählt. Er baute seinen Plan darauf, daß der allgemeine Sturm gegen alle Tore notwendig die Kräfte der Belagerten werde zersplittern müssen: und sowie an irgendeinem Punkt durch Hinwegziehung eine Blöße entstehen würde, gedachte er, sie sofort zu benützen.

      In dieser Absicht hielt er unbeweglich im zweiten Treffen weit hinter den Sturmkolonnen. Er hatte allen Anführern Auftrag gegeben, ihn schleunig herbeizurufen, wo sich eine Lücke der Verteidigung zeige.

      Lange, lange hatte er so gewartet. Manches Wort der Ungeduld hatte er von seinen Scharen zu tragen gehabt, die müßig stehen sollten, während die Genossen überall im frischen Vordringen waren: lange, lange harrten sie auf einen Boten, der sie abriefe zur Teilnahme am Kampf.

      Da bemerkte endlich des Königs scharfes Auge selbst zuerst, wie von den Zinnen der Außenmauer am Grabmal Hadrians die wohlbekannten Feldzeichen und die dichten Speere der Isaurier verschwanden. Aufmerksam blickte er hin: sie wurden nicht abgelöst, die Lücken nicht ersetzt. Da sprang er aus dem Sattel, gab seinem Rosse einen Schlag mit der flachen Hand auf den stolzen Bug, sprach: «Nach Hause, Boreas!» und das kluge Tier lief geradeaus in das Lager zurück. «Jetzt vorwärts, meine Goten! Vorwärts, Graf Markja!» rief der König, «dort über den Fluß – die Mauerbrecher laßt hier zurück: nur die Schilde und die Sturmleitern nehmt mit, und die Beile. Voran!» Und im Lauf erreichte er den steilen Uferhang an der südlichen Biegung des Flusses und eilte den Hügel hinab.

      «Keine Brücke, König, und kein Furt?» fragte ein Gote hinter ihm.

      «Nein, Freund Iffamer, schwimmen!» und der König sprang in die gelbe, schmutzige Flut, daß sie zischend hoch über seinem Helmbusch zusammenschlug. In wenigen Minuten hatte er das andere Ufer erreicht, die vordersten seiner Leute mit ihm. Bald standen die hart vor der hohen Außenmauer des Grabmals, und die Männer blickten fragend, besorgt hinauf. «Leitern her!» rief Witichis, «seht ihr nicht? Die Verteidiger fehlen ja! Fürchtet ihr euch vor hohen Steinen?» Rasch waren die Leitern angelegt, rasch die Außenwälle erstiegen, die wenigen Wachen hinabgestürzt, die Leitern nachgezogen und an der Innenseite der Außenmauer in den Hof hinabgelassen.

      Der König war der erste in dem Hofraum.

      Hier freilich wurde das Vordringen der Goten eine Weile gehemmt. Denn auf den Zinnen der Innenmauer standen, vom pankratischen Tore hierher geeilt, Quintus Piso und Kallistratos mit hundert Legionären und nur ein paar Isauriern, und diese schleuderten einen dichten Hagel von Speeren und Pfeilen auf die nur vereinzelt in den Hofraum hinabsteigenden Goten: auch ihre Ballisten und Katapulten wirkten verheerend. «Schickt um Hilfe, um Hilfe zu Cethegus!» rief oben auf der Mauer Piso. Und Kallistratos flog davon.

      Rechts und links fielen die Goten unten im Hof neben Witichis. «Was tun?» fragte Markja an seiner Seite. «Warten, bis sie sich verschossen haben», sagte dieser ruhig. «Es kann nicht lange mehr währen. Sie werfen und schießen viel zu hastig in ihrem Schrecken. Seht ihr: schon fliegen mehr Steine denn Pfeile. Und die Speere bleiben aus.» – «Aber die Ballisten, die Katapulten –» – «Werden uns bald nicht mehr schaden. Ordnet euch zum Sturm. Seht, der Hagel wird sehr spärlich. So, nun die Leitern bereit und die Beile. – Jetzt, rasch mir nach.» Und in schnellem Anlauf rannten die Goten über den Hof.

      Nur wenige waren dabei gefallen. Und schon standen sie hart an der zweiten, der inneren Mauer, und hundert Leitern waren angelegt. Jetzt aber waren alle Ballisten und Katapulten Pisos nutzlos geworden, denn, zum Schuß in die Weite gespannt, konnten sie nicht ohne große Mühe und lange Zeit zu senkrechtem Schuß gerichtet werden. Piso bemerkte es wohl und erbleichte. «Wurfspeere her! Speere! Speere, oder alles ist hin!» – «Alle verschossen», keuchte trostlos neben ihm der dicke Balbus.

      «Dann ist’s vorbei!» seufzte Piso, den rechten Arm todmüde senkend. «Komm, Massurius, laß uns fliehn», mahnte Balbus. «Nein, laßt uns hier sterben», rief Piso. Und schon tauchte der erste gotische Helm über den Rand der Mauer.

      Da scholl es die Mauertreppen von der Stadtseite herauf: «Cethegus! Cethegus, der Präfekt!»

      Und er war’s; rasch sprang er auf die Zinne vor und hieb dem Goten, der eben die Hand auf die Brustwehr stützte, sich hinaufzuschwingen, die Hand samt dem Arme ab. Der Mann schrie und stürzte.

      «O Cethegus», sagte Piso, «du kommst zu rechter Zeit!» – «Ich hoffe es», sprach dieser und stieß die Leiter um, die vor ihm angelegt stand. Witichis war darauf gestanden – behend sprang er hinab. «Aber jetzt Geschosse her, Speere, Lanzen. Sonst hilft alles nichts», rief Cethegus. «Kein Geschoß mehr weit und breit», antwortete Balbus. «Du kommst, hofften wir, mit deinen Isauriern?» – «Die sind noch weit, weit hinter mir!» rief Kallistratos, der eben als der erste nach Cethegus wieder erschien.

      Und aufs neue wuchs die Zahl der Leitern und der aufsteigenden Helme. Und es wuchs die dringendste Gefahr.

      Wild blickte Cethegus um sich. «Geschosse», rief er, mit dem Fuße stampfend, «es müssen Geschosse herbei!» Da fiel sein Auge auf die riesige Marmorstatue Zeus’, des Erretters, die zu seiner Linken auf der Zinne stand. Ein Gedanke durchzuckte ihn mit Blitzesschnelle, er sprang hinzu und schlug mit einem Handbeil den rechten Arm der Statue mitsamt dem Donnerkeil in ihrer Faust herab. «Zeus», rief er, «leih mir deinen Blitz! Was hältst du ihn so müßig? Auf! Zerschlagt die Statuen, und schleudert sie den Feinden auf die Köpfe.» Und rascher als er dies gesagt, ward sein Beispiel befolgt. Mit Äxten und Beilen fielen die geängstigten Verteidiger über die Götter und Heroen her, und im Augenblick waren all die herrlichen Gestalten zertrümmert.

      Es war ein grauenhafter Anblick: da barst ein erhabner Hadrian, eine Reiterstatue, Roß und Reiter mitten auseinander: da stürzte eine lächelnde Aphrodite in die Knie: da flog der schöne Marmorkopf eines Antinous vom Rumpfe und sauste, von zwei Händen geschleudert, auf einen gotischen Büffelschild. Und weithin spritzten, die Zinnen bedeckend, Splitter und Trümmer von Marmor und Erz, von Bronze und Gold. Krachend und dröhnend schlugen die gewaltigen Lasten von Stein und Metall von den Zinnen herab und zerschmetterten die Helme und Schilde, die Panzer und die Glieder der stürmenden Goten und die Leitern selber, die sie trugen.

      Mit Grauen blickte Cethegus auf das furchtbare Werk der Zerstörung, das