Hansen. Paul Schaffrath

Читать онлайн.
Название Hansen
Автор произведения Paul Schaffrath
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783870623272



Скачать книгу

warten, wenn sein Freund und Vorgesetzter das akademische Viertel zur Gänze ausnutzte, denn zum verabredeten Zeitpunkt würde er es jetzt nicht mehr schaffen; bis zum »Treppchen« in der Weberstraße brauchte man schon eine Viertelstunde zu Fuß. Deutsche Küche einmal in der Woche war auch gut und in der Gaststätte von 1883 besonders.

      Krüger lief das Wasser im Mund zusammen. Er hatte den ganzen Tag nichts Vernünftiges gegessen und statt dessen im eigenen Haus die Möbel umgeräumt. Carmens Vermieterin war vor einem halben Jahr gestorben, hatte aber vorher ihr Haus am Venusbergweg, in dem Kommissar und Universitätssekretärin zusammen wohnten, an die beiden verkauft, so daß Krüger endlich sein Domizil in der Adolfstraße über der Bäckerei, das er seit fast zwanzig Jahren bewohnt hatte, aufgegeben hatte und mit Sack und Pack bei Carmen eingezogen war. Immerhin hatte er sein neues Zimmer fast genauso wie das alte in der Nordstadt eingerichtet: Der alte Lehnstuhl stand neben dem niedrigen Tischchen, auf dem sich immer die Zeit-Ausgaben der letzten Wochen türmten; an der Wand hing ein großes Konzertfoto von Dylan und Santana, und eine Schlafcouch lud zu Pausen und Rückenentlastungen ein. An der Wand befand sich das alte Bücherbord mit Bildbänden von Hamburg und von seinen Reisen; die wenigen Kriminalromane waren nach dem Umzug noch nicht wieder sortiert. Innerlich würde er wohl zu einem kleinen Teil immer Junggeselle bleiben. Einen Rückzugsort brauchte jeder.

      Der Kommissar wartete geduldig vor der Schranke am Bahnübergang Kaiserstraße. Er hatte keine Lust, durch die leicht angeschmuddelte Fußgängerunterführung zu gehen, und ließ sich lieber den durch einen überlangen Güterzug verursachten Wind um die Nase wehen. Mußte Schneider eben länger warten …

      Das »Indochine« kurz hinter der Kreuzung von Weber- und Kaiserstraße war glücklicherweise dauerhaft geschlossen; er war vor langen Jahren einmal mit Carmen dort gewesen – die Cocktails waren gut, teilweise sogar sehr gut gewesen, aber das Essen hatte man vergessen können.

      Krüger öffnete die Eingangstür zum »Treppchen« und stand sofort in dem holzgetäfelten Schankraum. Die Dielen knarrten, wie es sein sollte, und die ellenlange, an beiden Seiten gerundete Theke war gut besetzt. Schneider winkte ihm von einem der Holztische Richtung Wintergarten zu und deutete auf einen Platz neben sich.

      Krüger war nicht zum ersten Mal hier, und dennoch betrachtete er erst wieder einige der gerahmten Genreszenen an der Wand, ehe er sich setzte. »Moin, moin, mein Lieber«, sagte er. »Lange nicht gesehen.«

      Morgens hatten die beiden allerdings noch an der üblichen Lagebesprechung im Polizeipräsidium teilgenommen, aber wie bei jedem briefing in dieser Woche nichts Neues erfahren. Das Wetter Ende April 2019 war einfach zu schön für Schwerkriminalität: Die Bonner Rocker waren mit der friedlichen Vorbereitung der großen Beerdigung eines der ihren beschäftigt; die Drogendealer waren größtenteils vom Hofgarten zum Kaiserbrunnen abgewandert – in der Einkaufspassage unter dem neuen Maximiliancenter war es ihnen jetzt zu hell –, und illegale Autorennen konnten in Bonn zur Zeit nicht stattfinden, da der Cityring aufgrund der vielen Baustellen fast überall von zwei- auf einspurig verengt war. Die Polizei baute Überstunden ab, und die einzige Kriminalität im Polizeipräsidium fand momentan bei den Lesungen einiger »Kriminalschriftsteller« statt, wie sich das bunte Völkchen von haupt- und nebenberuflichen Autoren titulierte.

      »Hallo«, gab Schneider zur Antwort. »Wir sind hier nicht an der Nordsee.«

      »An der Küste heißt es nur moin«, sagte Krüger. »Einmal. Sonst gilt man als geschwätzig. Und als ehrbarer Hamburger darf ich doch wohl den Gruß, den ich seit Muttermilchzeiten beherrsche, überall verwenden.«

      Manchmal nervte sein Freund, fand Schneider. Hamburger waren nicht automatisch die besseren Menschen. Aber dieser hier war schon ein besonderer Mensch, obwohl er einen Grammatikfimmel besaß. Mal sehen, wie lange es dauerte, bis eine entsprechende Bemerkung kam.

      Die Kellnerin brachte die Speisekarten. Schneider warf sie einen freundlichen Blick zu.

      Sein Freund war eben a ladies’ man, dachte Krüger. Irgendwie fielen die Frauen reihenweise auf seine dunkelbraunen, leicht zu langen Haare und sein schiefes Grinsen herein.

      »Ich weiß schon«, sagte Schneider zu ihr.

      »Der Nebensatz fehlt«, sagte Krüger. »Was ich nehme. Was ich gerne äße, wenn ich etwas bekäme. Wonach mir der Sinn steht. Der Varianten, korrektes Deutsch zu reden, gibt es viele.«

      »Versteht dich eigentlich jemand, wenn du ihn verhörst?«

      Statt einer Antwort vertiefte sich der Kommissar in die Lektüre der Speisekarte, um nach ausgiebigem Studium wie immer beim »Salat Bonner Markt mit Rindfleischstreifen« zu enden.

      »Wenn du sowieso immer das Gleiche ißt – warum liest du dann überhaupt noch die Auflistung der Gerichte?«

      »Ich gebe die Hoffnung nicht auf, daß irgendwann, plötzlich, unversehens, in der Rubrik Fisch eine Scholle Finkenwerder Art auftaucht.«

      »Das kannst du dir abschminken. Hier in Bonn kriegst du höchstens Aal. Aus dem Rhein.«

      Die Kellnerin kam von der Theke zurück und stellte ein großes Hefeweizen vor Schneider auf den Tisch. Ein zweiter, ziemlich freundlicher Blick folgte. Krüger bekam seinen Grauburgunder ohne Blick. »Wohlsein, die Herren.«

      »Dazu sage ich jetzt nichts«, sagte er.

      »Umgangssprache reicht in der Regel aus«, sagte Schneider, »um sich verständlich zu machen. Aber lassen wir das jetzt mal. Was gibt’s Neues?«

      Krüger berichtete gehorsam vom Möbelräumen.

      »Und heiraten wollt ihr nicht?«

      »Warum? Wir wohnen doch ohnehin schon zusammen und teilen Tisch wie Bett.«

      »Na ja. Erhöhtes Gehalt. Größere Rente. Krankenhausinfos über den Partner.«

      »Bekomme ich auch so. Ich muß nur meine Dienstmarke vorzeigen.«

      Sein Freund grinste. »Falls du dann aber an Oberschwester Hildegard gerätst, hast du schlechte Karten. Da kommst du nur mit einem Trauring weiter.«

      Krüger lachte und nippte an seinem Wein. »Ich kann ja mal mit Carmen reden.« Daß seine Freundin das Thema regelmäßig aufs Tapet brachte, verschwieg er, weil er selber nicht wußte, was er wollte. Dabei hatte er sich nach neun Jahren mit seinem endgültigen Einzug in Carmens Wohnung beziehungsweise ins gemeinsame Haus eigentlich entschieden. Zu zweit alt zu werden, war einfach viel schöner. »Und bei dir?« versuchte er das Gespräch in ungefährlichere Gefilde zu lenken.

      Markus war ein On-Off-Mann. Er entflammte rasch für eine neue Frau, für die er fast sein gesamtes vorheriges Leben aufzugeben bereit war. Daß es dabei ständig beabsichtigte oder unbeabsichtigte Kollateralschäden gab, schien ihn nicht sonderlich zu berühren. Nach seinem etwas längeren Intermezzo mit der wunderschönen Französin Élodie Marin aus und in Villeneuve-lés-Avignon, die seinetwegen von der Provence sogar nach Beuel gezogen war und für die Markus allen Ernstes überlegt hatte, seinen Bonner Beamtenstatus zugunsten einer Winzerkarriere an der Rhône aufzugeben, war er reumütig an den Rhein zurückgekommen. Eine Rückkehr an den mütterlichen Busen seiner früheren Freundin Lene war allerdings zu Recht gescheitert. So hielt er sich denn mit kleineren Affären über Wasser. Irgendwie tat er Krüger leid. Markus konnte wunderbar mit Kindern umgehen, aber er mußte lernen, den Adler auf dem Dach zugunsten des Kanarienvogels in der Hand zu vergessen.

      »Och, nichts Neues«, sagte Schneider abwesend und betrachtete die Kellnerin hinter der Theke.

      »Die ist zu jung für dich«, sagte Krüger, der dem Blick gefolgt war. »Wahrscheinlich eine Studentin. Jura oder so.«

      »Dann hätten wir ja schon mal zumindest die Kenntnis der Gesetze gemeinsam.«

      »Und was wollt ihr dann in dreißig Jahren machen, wenn du achtzig bist, alles vergessen hast und sie erst fünfzig?«

      Schneider lachte. »Ganz so schlimm ist es nicht. Weißt du, was ich wirklich gerne machen würde?«

      »Privat oder beruflich?«