Gesammelte Kindergeschichten & Romane von Agnes Sapper. Agnes Sapper

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Название Gesammelte Kindergeschichten & Romane von Agnes Sapper
Автор произведения Agnes Sapper
Жанр Книги для детей: прочее
Серия
Издательство Книги для детей: прочее
Год выпуска 0
isbn 9788027208784



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Hermann, und wurde immer wärmer, während er sein Zukunftsbild entwickelte, »sieh, ich könnte mir in meinem Zimmer alles einrichten wie in einer Apotheke; daß ich mit Fläschchen und Pülverchen, mit Wage und Glastrichter und all den zerbrechlichen Dingen umgehen lerne und alles so sauber halte wie in der Apotheke, kein Stäubchen dürft’ mir im ganzen Zimmer sein. Von früh bis Nacht wollt’ ich mich einüben, ob nicht doch vielleicht meine Hände geschickt würden. Nur bis Herbst, Vater, und wenn mir’s dann nicht gelingt, will ich selbst nicht mehr.«

      »Also versuch’s,« sagte der Vater, »wenn du dich schon ganz vernarrt und verbohrt hast in den Gedanken, daß du Apotheker wirst, so will ich dir das halbe Jahr wohl gönnen; in irgend einer Apotheke in der Hauptstadt werden sie dich dann schon nehmen, es sind nicht alle so ungeduldig wie der Mohr in Neustadt, und ein gutes Lehrgeld kann ich zahlen.«

      »Und die Mutter legt einen Schinken dazu,« setzte Hermann fröhlich lachend hinzu und der Vater lachte auch und sagte: »Daß du dir’s nicht einfallen läßt, deine Mutter zu verhöhnen!«

      »Bewahre,« sagte Hermann, »das war ja nur Spaß,« und er schlug den Heimweg ein.

      »Wenn er nur wieder spaßen kann, der lange Schlingel,« sagte Hollwanger vor sich hin und sah nach dem Sohn zurück, der mit langen Schritten, von neuer Hoffnung belebt, dem Haus zueilte.

      Am liebsten hätte Hermann in aller Stille sein Wesen getrieben und niemand ins Vertrauen gezogen, aber das ließ sich nicht durchführen; denn es erregte allgemeines Aufsehen im Haus, als der Sohn, der junge studierte Herr, in der Küche erschien und sich einen Putzeimer und Wischtücher ausbat, die er für immer in seinem Zimmer behalten dürfe; als er den Knecht nach einer kleinen Leiter fragte und diese die Treppe hinauftrug in sein Zimmer. Bald drang zur Hausfrau das Gerücht, der junge Herr sei heute ganz wunderlich, offenbar habe er sich die Sache mit der Apotheke zu sehr zu Herzen genommen; schwermütig sei er ja schon all die Tage gewesen, durch so etwas sei schon mancher um den Verstand gekommen. Frau Hollwanger war mit ihren dienstbaren Geistern in der Waschküche beschäftigt, als dies Gerede zu ihren Ohren kam und sie gewaltig erschreckte. Augenblicklich verließ sie die Waschküche und eilte hinauf in das »Bubenzimmer«, wie es im Hause genannt wurde.

      Als sie die Türe aufmachte, da sah sie ihren Hermann auf der Leiter stehen, vor dem hohen Kleiderschrank, Wassereimer und Putztuch neben sich. So hatte sie ihn freilich nie früher gesehen, aber als er ihr jetzt bei ihrem Eintritt das Gesicht zuwandte, sah er so gar nicht verstört und verwirrt aus, blickte sie im Gegenteil hell und freundlich an und lachte über ihr verblüfftes Gesicht, daß ihr alle Sorge verging und nur die Neugierde blieb. Die mußte er nun freilich befriedigen und ihr seinen Plan und seine Hoffnung mitteilen, wie er es dem Vater gegenüber getan hatte. »Zuerst muß mein Zimmer so sauber werden wie die Apotheke,« sagte er dann, »du glaubst nicht, Mutter, wie dort alles blitzblank ist, kein Stäubchen wird im Haus geduldet, vom Keller bis zur Bodenkammer, alles rein.«

      »Dann will ich dir heute abend die Grete heraufschicken, daß sie dir das macht, laß du das nur bleiben, Hermann, du kannst es doch nicht und machst bloß deine Kleider schmutzig.« Aber da geriet Hermann in Eifer. »Nein, nein, Mutter, die Grete will ich eben gerade gar nicht, alles will ich selbst tun, sonst bleibe ich ja immer so ungeschickt. Das muß ein Apotheker alles können und wegen meiner Kleider sorge dich nur nicht; die müssen auch immer rein gehalten sein, ich nehme mich schon in acht und Flecken mache ich selbst heraus. Aber einiges muß ich mir anschaffen, Mutter, eine Wage brauche ich, wie man sie in den Apotheken hat; und ein paar Kolben und Glastrichter und einen Mörser, gelt, das darf ich mir kaufen? Und meinen Bücherständer darf ich ableeren, damit ich Platz bekomme für Gläser und dergl., Bücher brauche ich nicht, die packe ich alle zusammen in eine Kiste in der Bodenkammer.«

      Die Mutter ließ ihren Sohn gewähren. Sie hatte jetzt, im Frühjahr, Arbeit in Fülle, da war es nur bequem, daß für Hermann nichts getan werden mußte. So durfte er unbehelligt in seiner Stube sein Wesen treiben. Helene war die einzige nähere Vertraute bei Hermanns Arbeit; sobald sie nur aus der Schule kam, war sie bei dem Bruder und nicht nur als müßige Zuschauerin. Sie hatte bald das Ideal der Reinlichkeit erfaßt, das Hermann anstrebte. »Du mußt denken, du seiest der Inspektor, der die Apotheke besichtigt,« sagte der Bruder zur Schwester, du mußt überall mit den Fingern prüfen, ob du irgendwo Staub findest.«

      Anfangs fand sie keinen, aber allmählich wurde ihr Auge schärfer. »Hermann, an der Türleiste ist Staub, sieh her,« sagte sie und zeigte die grauen Spuren am Finger. Das war ein ernster Fall. Die Türe wurde von da an aufgenommen unter die abzustaubenden Gegenstände.

      Wenn die Ordnung tadellos erschien, dann machte sich Hermann an die Arbeit. Da saß er an seinem Tisch und wickelte Pülverchen ein – Sandkörnchen waren es – die in die vorschriftsmäßigen Pulverpapierchen gepackt wurden. »Das muß ich auch versuchen,« sagte die Schwester, und gleich das erstemal brachte sie es glücklicher zustande als der Bruder. Er war bekümmert darüber.

      »Das kommt bloß davon, daß du den Daumen so dumm hinausstreckst, sieh, so kann ich’s auch nicht machen,« und sie ahmte seine Handbewegung nach. Hermann war im Winter auf die Hand gefallen, der Daumen war eine zeitlang geschindelt gewesen, seitdem streckte er ihn steif hinaus. »Ich weiß nicht, warum er so steif ist,« sagte Hermann.

      »Wir wollen den Merz fragen,« schlug Helene vor, »er weiß, was man da machen muß.« Der Merz war der Tierarzt, er war gerade im Stall. Die Geschwister kamen zur Beratung. Der Tierarzt riet, den Daumen recht viel zu bewegen, er sei nicht steif; es sei nur so eine dumme Gewohnheit, so ein Glied immer noch so zu halten als wäre es krank, die Hunde machten es auch oft so. Mit den Hunden wollte sich Hermann nicht gleichstellen lassen, er fing an, seinen Daumen zu bewegen, sogar wenn er bei Tisch saß, konnte man bemerken, wie er den Finger einübte; bald hatte das Glied seine frühere Beweglichkeit wieder erlangt.

      Trotzdem ging die Arbeit nicht gut von statten und oft legte sich Hermann unglücklich und mutlos zu Bett am Schlusse eines Tages, den er ganz der Übung jener Handgriffe gewidmet hatte, die seine Schwester mit Leichtigkeit ausführte. Helene war es auch, die ihm Gläser und Arzneifläschchen herbeischaffte, von denen er gar nicht genug bekommen konnte. Sie durften alt und fleckig sein, denn Hermann wollte sie selbst reinigen. Und dann wurden sie durch den Glastrichter mit Salzwasser gefüllt, kein Tropfen sollte daneben gehen. Dann kam das Zubinden. War das schön gelungen, so wurden sie auf den Bücherständer gestellt; waren sie nicht tadellos, so wurden sie wieder und wieder aufgebunden. Allmählich ging das doch besser, eine schöne Reihe von Fläschchen stand schon auf dem Fachwerk. Oben auf den hohen Schrank hatte er große, schwere Glaskolben mit Wasser gestellt und wenn seine Finger müde waren vom Einwickeln der Pülverchen, dann kam zur Erholung die Übung, die Leiter hinauf und hinunter zu steigen, mit den schweren Kolben in der Hand.

      So verbrachte er mit Ordnen und Reinigen, mit Abwiegen und Einfüllen, mit Pulvereinwickeln und Zubinden einen Tag um den andern; und endlich, im dritten Monat, kam Helene, wenn sie um die Wette arbeiteten, ihm in der Geschwindigkeit nicht mehr nach; er fing an zu hoffen, daß sein Streben von Erfolg sein werde, und wurde immer eifriger.

      In einer Nacht hörte der Vater, der unter ihm schlief, um ein Uhr Schritte in Hermanns Zimmer. Schon seit längerer Zeit hatte er sich nicht mehr um seines Sohnes Treiben gekümmert, nun, in der schwarzen Stimmung, die uns nachts leicht überkommt, wurde er unruhig. Was mochte Hermann im Schlaf stören? Was trieb ihn, hin und her zu gehen? Leise erhob er sich, der Sache mußte er auf die Spur kommen. Wie er vorsichtig die Treppe hinaufstieg, war dem großen Mann ganz ängstlich zu Mute, was würde er wohl finden, wenn er nun die Türe aufmachte? In der Ordnung war nur, Schlafen zwischen ein und zwei Uhr nachts. Nun stand er vor dem »Bubenzimmer«. Er klinkte die Türe auf, verschlossen war sie nicht. Hermann stand, leicht angekleidet, an seinem Tisch und füllte ein Arzneigläschen ein. »Vater, du bist’s?« sagte er. »Ich bin ganz erschrocken, wie so unverhofft meine Tür aufgegangen ist.«

      »Was machst du, Hermann? Bist du ein Nachtwandler, oder bist du nicht recht bei Trost? Weißt du, wieviel Uhr es ist?«

      »Ja, da ist mein Wecker, ein Uhr ist’s vorbei. Ich bin ganz wach, Vater, und lege mich gleich wieder, sowie die Arznei fertig ist. Ich muß aber hie und da auch nachts etwas machen, weil das öfter