Название | Gesammelte Kindergeschichten & Romane von Agnes Sapper |
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Автор произведения | Agnes Sapper |
Жанр | Книги для детей: прочее |
Серия | |
Издательство | Книги для детей: прочее |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9788027208784 |
»Hermann, alles was recht ist, aber bei Nacht muß Ruhe sein, so etwas kann ich nicht haben.«
»Nur hie und da, Vater, wenn ich recht leise bin, daß niemand aufwacht,« sagte Hermann bittend, »sieh jetzt bin ich schon fertig, muß nur wieder aufräumen.« Das Kölbchen kam zu der stattlichen Reihe, die schon das zweite Fach des Gestells füllte. Alles in dem kleinen Reich sah wunderlich, aber tadellos geordnet aus. Ein paar Minuten später lag Hermann schon wieder im Bett.
Getroster als er heraufgekommen war, ging Hollwanger die Treppe hinunter. »Dem ist’s ernst,« sagte er vor sich hin, »dem ist’s bitter ernst, der wird Apotheker.«
Der Frühling war vergangen, der Sommer kam mit all der Arbeit, die er auf dem großen Bauernhof bringt. Kaum etwas davon drang in Hermanns Zimmer. Rastlos gewissenhaft und unermüdlich verbrachte er einen Tag wie den andern und mühte sich ab, um die Geschicklichkeit zu erwerben, die manchem andern schon in die Wiege gelegt wird. Er arbeitete jetzt nach der Uhr, die vor ihm hing. Hatte er im ersten Monat in der Viertelstunde zwei Pulver abgewogen oder eingewickelt, zwei Fläschchen gefüllt und zugebunden, so waren es im zweiten Monat schon vier und im dritten und vierten noch mehr und jetzt im fünften und letzten Monat ging es ihm von der Hand, daß es ein Spaß war zuzusehen. Und sie lagen alle säuberlich in Dutzenden zusammengebunden, die weißen Päckchen, ein großer Kasten voll und sie standen in ungezählten Mengen nebeneinander, die kleinen Fläschchen. Warum er sie aufhob, das verstand niemand; der Sand im Pulverpapier, das Wasser im Arzneiglas hatten doch keinen Wert?
»Ein klein wenig Verrücktheit ist doch dabei,« dachte im stillen sorglich die Mutter.
Der September neigte seinem Ende zu. Die strengste Arbeit auf den Feldern war getan. Der Landwirt konnte befriedigt zurückblicken auf die Arbeit des Sommers. Ein stiller Sonntagnachmittag, an dem der Regen gleichmäßig herunterrieselte, bannte die Familie ins Zimmer. Hollwanger saß mit den Seinigen um den Tisch, er hatte den Kalender vor sich liegen.
»Nun, Hermann, wie steht’s jetzt eigentlich mit dir? Der Sommer wäre vorbei. Länger kann’s bei dir so nicht weiter gehen, höchste Zeit, daß etwas geschieht.«
»Auf ersten Oktober, Vater, habe ich gedacht, wäre ich so weit, daß ich mich als Lehrling antragen könnte.«
»Ja, und darum will ich heute noch an den Onkel schreiben in der Hauptstadt.«
Hermann schwieg; man konnte ihm leicht anmerken, daß ihm der Vorschlag nicht recht war. »Nun, was gibt’s? Paßt dir’s wieder nicht? Du wirst nach und nach ein wunderlicher Kauz, was ist denn wieder nicht recht?«
Da kam es zögernd heraus: »Ich möchte wieder in die Adlerapotheke.«
»Aber hör!« rief die Mutter ganz vorwurfsvoll, »zu dem Mann, der dich so schnöd aus dem Haus gejagt hat!«
»Nein!« sagte der Vater, »zu dem gehe ich nicht.« Helene sah ängstlich zum Bruder auf, wie würde das weiter gehen? Sie hatte ja schon lange gesagt: »Die Eltern sind bös auf den Apotheker Mohr und werden’s nicht erlauben.« Aber auch Hermann hatte wohl gewußt, daß die Eltern immer noch dem Manne grollten, der ihm das Leid angetan hatte, und er hatte diese Schwierigkeiten kommen sehen. Jetzt galt es, einzutreten für seinen Mann!
»Vater,« sagte er, »fortgejagt hat er mich nicht, freundlich war er bis zuletzt; in aller Liebe hat er mir’s gesagt, daß er mich nicht brauchen könne, und er hat mich auch wirklich nicht brauchen können, ich war zu ungeschickt. Ihr glaubt gar nicht, wie das in einer Apotheke jede Stunde zutage kommt. Ihm danke ich’s, daß mir die Augen darüber aufgegangen sind, was mir fehlt, und jetzt könnt’ er mich brauchen. Und die Adlerapotheke, Vater, das ist eine Apotheke, wie es gewiß nicht viele gibt und musterhaft gehalten; und der Adlerapotheker stammt vom Mohr ab, von einem berühmten Chemiker, und er macht vieles selbst, was andere Apotheker heutzutage nicht mehr machen. Er ist ein feiner, gelehrter Mann, bei dem könnt’ ich etwas lernen!«
Immer wärmer und eifriger hatte Hermann gesprochen, jetzt hielt er inne und sah gespannt auf die Eltern, die beide schwiegen. Die Schwester fand, daß der Bruder den besten Grund, der für die Adlerapotheke sprach, gar nicht vorgebracht hatte, und so wagte sie auch ein Wort: »Neustadt ist näher als die Hauptstadt.«
Über diese Weisheit mußten die Eltern lachen. »Ja, Neustadt ist näher,« sagte der Vater, »dagegen läßt sich nicht viel einwenden.«
»Hermann, glaub’ mir’s,« sprach Frau Hollwanger, »sie nehmen dich dort nicht an, Frau Mohr wird zu ihrem Mann sagen: da kommt wieder der, der in die polierten Möbel Nägel klopft, daß du mir den nicht herein läßt.«
»Überhaupt,« sagte Hollwanger, »werden sie schon einen Lehrling haben, zwei können sie nicht brauchen.«
»Nein, nein, sie haben keinen, einen Provisor haben sie zur Aushilfe, der geht aber bald.«
»Du weißt’s ja sehr genau, woher denn?«
»Helene hat ja eine Freundin in der Stadt, die hat ihr immer erzählen müssen, wie es in der Apotheke steht.«
»Damit ist noch lange nicht gesagt, daß sie dich nehmen. Hermann, dort frage ich nicht an.«
»Ich kann allein hingehen und mit dem Herrn reden; will er mich nicht, so gehe ich gleich wieder heim und wende mich, wohin du willst.«
»Wenn du die Sache ganz allein machen willst, dann in Gottes Namen!«
»Aber diesmal will ich dir etwas mitgeben, Hermann, daß die Frau Apotheker gut gestimmt wird, Butter oder Eier oder Rauchfleisch, was meinst du?«
»Ich glaube, das macht’s nicht aus, Mutter, und ich kann auch gar nichts tragen. Ich will all meine Pulver mitnehmen und all meine Fläschchen, die müssen meine Empfehlung sein.«
»Die Papierchen voll Sand und all die Arzneigläser voll Wasser? Die willst du mitnehmen? O Bub, da wirst du ausgelacht!« sagte die Mutter.
Hermann stand betroffen. »Deshalb habe ich sie doch gesammelt all die Monate. Wenn ich die nicht zeige, weiß ich nicht, warum er mich annehmen sollte, darauf habe ich meine ganze Hoffnung gesetzt.«
»So laß ihn’s mitnehmen,« sagte Hollwanger zu seiner Frau. »Jeder hat seine eigene Art. Du würdest’s mit Butter und Rauchfleisch probieren, er meint’s mit Pulvern und Gläsern durchzusetzen, er soll’s versuchen, gleich morgen.«
Mit viel Kopfschütteln und Achselzucken sah Frau Hollwanger am nächsten Tag ihren Sohn »den ganzen Plunder«, wie sie es nannte, in den größten Handkoffer packen, der aufzutreiben war, und ihr Mißtrauen machte Hermann kleinmütig. Gestern war er voll guten Muts gewesen, da hatte er die Eltern überredet, heute hätte er das nicht vermocht. Aber jetzt gab es kein »zurück«.
»Hermann,« sagte Hollwanger, »wenn’s nun fehl schlägt, so nimm’s nicht schwer; bitten und betteln darfst du den Apotheker nicht, du bist eines reichen Landwirts Sohn, hast etwas gelernt, kommst überall an.« Er ging und die er daheim ließ, sahen ihm nach: wie wird er wiederkommen?
Der Himmel war grau, die Straße aufgeweicht vom gestrigen Regen, ein kalter Wind blies. »Ungut Wetter heut zum Wandern!« sagte ein Wegmacher, der den Schmutz von der Straße zusammenscharrte; und er sah Hermann nach, der mit seinem Koffer einsam dem Städtchen zuwanderte, zwischen Furcht und Hoffnung schwankend.
An der Adlerapotheke war er nie mehr vorbeigekommen, seit er sie im Frühjahr verlassen, er hatte den Ort gemieden, jetzt sah er sie zum erstenmal wieder und blickte nach dem schwarzen Adler. »Bist mir diesmal hold, du finsterer Geselle?« fragte er und trat mit Herzklopfen näher.
Unter der halb offenen Ladentüre stand ein junger Herr, das mochte der Provisor sein; mit dem wollte Hermann nichts zu schaffen haben, so ging er nicht die Steinstufen zum Laden hinauf, sondern durch den Seiteneingang ins Haus. Auf der Treppe begegnete ihm das Dienstmädchen und erkannte ihn gleich. »Die Frau Apotheker ist oben,« sagte sie, führte ihn hinauf in das kleine Besuchzimmer, suchte die Frau Apotheker auf und kündigte ihn an: »Der junge Herr ist da, der einmal ein paar Tage in der Apotheke war, wissen