Die Eroberung von Plassans. Emile Zola

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Название Die Eroberung von Plassans
Автор произведения Emile Zola
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9788726683301



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Tage vergingen. Mouret hatte seine gewohnten Beschäftigungen wieder aufgenommen; er strich im Haus herum, stritt mit den Kindern, verbrachte seine Nachmittage außerhalb, um zum Vergnügen Geschäfte abzuschließen, von denen er nie sprach, aß und schlief wie ein Mann, für den das Dasein ein sanfter Abhang ist, auf dem es keinerlei Erschütterungen und Überraschungen gibt. Die Wohnung schien wieder tot. Marthe saß an ihrem gewohnten Platz auf der Terrasse an ihrem Nähtischchen. Désirée spielte an ihrer Seite. Die beiden Jungen brachten zur gleichen Stunde die gleiche Ausgelassenheit mit. Und Rose, die Köchin, wurde böse, schalt auf jedermann, während der Garten und das Wohnzimmer ihren verschlafenen Frieden wahrten.

      „Ich will nicht wieder davon anfangen“, meinte Mouret wiederholt zu seiner Frau, „aber du siehst wohl, daß du dich täuschtest, als du glaubtest, es würde unser Leben stören, den zweiten Stock zu vermieten. Wir leben ruhiger als zuvor, das Haus ist kleiner und glücklicher.“

      Und er blickte zuweilen zu den Fenstern des zweiten Stockwerkes hoch, an denen Frau Faujas schon am zweiten Tag grobe baumwollene Vorhänge angebracht hatte. Nicht eine Falte dieser Vorhänge bewegte sich. Sie hatten ein stillzufriedenes Aussehen, jene strenge und kalte Züchtigkeit einer Sakristei. Hinter ihnen schien sich eine klösterliche Stille und Reglosigkeit zu verdichten. Dann und wann waren die Fenster halb geöffnet und ließen zwischen dem Weiß der Vorhänge den Schatten der hohen Zimmerdecken erkennen. Aber Mouret mochte sich noch so oft auf die Lauer legen, nie gewahrte er die Hand, die das Fenster öffnete oder schloß; er hörte nicht einmal das Knirschen des Fensterriegels. Kein menschliches Geräusch drang aus der Wohnung herab.

      Am Ende der ersten Woche hatte Mouret Abbé Faujas noch nicht wieder gesehen.

      Dieser Mann, der neben ihm lebte, ohne daß er auch nur seinen Schatten erblicken konnte, verursachte ihm schließlich eine Art nervöser Unruhe. Trotz der Anstrengungen, die er unternahm, um gleichgültig zu wirken, verfiel er wieder auf seine Verhöre, begann er eine Untersuchung.

      „Siehst du ihn denn nicht?“ fragte er seine Frau.

      „Gestern habe ich geglaubt, ihn zu sehen, als er nach Hause gekommen ist; aber ich bin nicht ganz sicher . . . Seine Mutter trägt immer ein schwarzes Kleid; vielleicht war sie es.“ Und als er sie mit Fragen bedrängte, sagte sie ihm, was sie wußte. „Rose versichert, daß er jeden Tag aus dem Haus geht; er bleibt sogar lange auswärts . . . Was die Mutter anbetrifft, so geht bei ihr alles nach der Uhr; morgens um sieben Uhr kommt sie herunter, um ihre Besorgungen zu machen. Sie hat einen stets verschlossenen großen Korb, in dem sie wohl alles mitbringen muß: Kohlen, Brot, Wein, Lebensmittel, denn man sieht nie irgendeinen Lieferanten zu ihnen kommen . . . Übrigens sind sie sehr höflich. Rose sagt, daß sie sie grüßen, wenn sie ihr begegnen. Aber meistens hört sie sie nicht einmal die Treppe herunterkommen.“

      „Sie müssen eine komische Kocherei machen da oben“, murmelte Mouret, dem diese Auskünfte nichts besagten.

      Als Octave an einem anderen Abend sagte, er habe gesehen, wie Abbé Faujas in die Kirche Saint-Saturnin hineinging, fragte ihn sein Vater, wie er ausgesehen habe, wie die Vorübergehenden ihn angeblickt hätten, was er wohl in der Kirche getan habe.

      „Oh! Sie sind zu neugierig“, rief der junge Mann lachend. „Er sah nicht schön aus mit seiner in der Sonne ganz roten Soutane; das ist es, was ich weiß. Ich habe sogar bemerkt, daß er längs der Häuser in dem spärlichen Schattenstreifen ging, wo seine Soutane schwärzer wirkte. Wissen Sie, er sieht nicht stolz aus, er senkt den Kopf, er trabt schnell . . . Zwei Mädchen haben zu lachen angefangen, als er den Platz überquerte. Er hat den Kopf gehoben und sie mit viel Sanftmut angeschaut, nicht wahr, Serge?“

      Serge erzählte seinerseits, daß er auf dem Heimweg vom Gymnasium Abbé Faujas, der aus der Kirche Saint-Saturnin zurückkam, mehrmals von weitem begleitet habe. Er gehe durch die Straßen, ohne mit irgend jemandem zu sprechen; er scheine keine Menschenseele zu kennen und Scham über den heimlichen Spott zu empfinden, den er rings um sich fühle.

      „Aber man spricht in der Stadt doch über ihn?“ fragte Mouret aufs höchste interessiert.

      „Zu mir hat niemand über den Abbé gesprochen“, antwortete Octave.

      „Doch“, entgegnete Serge, „man redet über ihn. Abbé Bourrettes Neffe hat mir gesagt, daß er in der Kirche nicht sehr gut angesehen sei; man liebe diese Priester nicht, die von weit her kämen. Zudem sehe er so elend aus . . . Wenn man sich an ihn gewöhnt hat, wird man ihn in Ruhe lassen, diesen armen Mann. In der ersten Zeit muß man wohl viel verstehen.“

      Marthe riet den jungen Leuten nun, nicht zu antworten, wenn sie jemand über den Abbé ausfrage.

      „Oh! Sie können antworten“, rief Mouret. „Wir wissen über ihn ganz sicher nichts, was ihn Unannehmlichkeiten aussetzen würde.“

      Mit dem besten Glauben der Welt und ohne an Böses zu denken, machte er von diesem Augenblick an seine Kinder zu Spionen, die er dem Abbé an die Fersen heftete. Octave und Serge mußten ihm alles wiedererzählen, was in der Stadt gesagt wurde; überdies erhielten sie den Auftrag, dem Priester nachzugehen, wenn sie ihm begegnen sollten. Aber diese Nachrichtenquelle war schnell erschöpft. Die gedämpfte Aufregung, die durch die Ankunft eines fremden Vikars in der Diözese verursacht worden war, hatte sich gelegt. Die Stadt schien „dem armen Mann“, dieser schäbigen Soutane, die im Schatten ihrer Gäßchen dahinglitt, Gnade erwiesen zu haben; sie hegte weiterhin für ihn nur eine große Geringschätzung. Andererseits begab sich der Priester schnurstracks zur Kathedrale und kam von dort immer durch dieselben Straßen zurück. Octave sagte lachend, er zähle die Pflastersteine.

      Daheim wollte Mouret Désirée, die nie fortging, zum Auskundschaften benutzen. Abends nahm er sie mit hinter in den Garten, hörte ihr zu, wie sie über das plapperte, was sie tagsüber getan und gesehen hatte; er versuchte, das Gespräch auf die Leute vom zweiten Stock zu bringen.

      „Hör mal“, sagte er eines Tages zu ihr, „wenn morgen das Fenster offensteht, wirst du deinen Ball in das Zimmer werfen und hinaufgehen, um ihn zurückzuerbitten.“

      Am nächsten Tag warf sie ihren Ball hinauf; aber sie war noch nicht auf der Freitreppe, als der Ball, von einer unsichtbaren Hand zurückgesandt, wieder auf der Terrasse aufsprang. Ihr Vater, der auf die Artigkeit des Kindes gerechnet hatte, um die seit dem ersten Tag abgebrochenen Beziehungen wieder anzuknüpfen, gab jetzt die Hoffnung auf; er stieß offensichtlich auf den unzweideutig gefaßten Willen des Abbé, sich daheim verbarrikadiert zu halten. Aber dieser Kampf machte seine Neugier nur glühender. Es kam so weit mit ihm, daß er in den Ecken mit der Köchin klatschte, zum lebhaften Mißvergnügen Marthes, die ihm Vorwürfe über seinen Mangel an Würde machte; aber er brauste auf, er log. Da er sich im Unrecht fühlte, unterhielt er sich mit Rose über die Faujas nur noch im geheimen.

      Eines Morgens machte Rose ihm ein Zeichen, ihr in die Küche zu folgen.

      „Nun, Herr Mouret!“ sagte sie und schloß die Tür. „Seit über einer Stunde lauere ich darauf, daß Sie aus Ihrem Zimmer herunterkommen.“

      „Hast du etwas erfahren?“

      „Sie werden gleich sehen . . . Gestern abend habe ich mehr als eine Stunde mit Madame Faujas geplaudert.“

      Mouret fuhr vor Freude zusammen. Er setzte sich auf einen Küchenstuhl, dessen Strohgeflecht ausgefranst war, mitten zwischen Wischlappen und Abfälle vom Vorabend.

      „Sag schnell, sag schnell“, flüsterte er.

      „Also“, begann die Köchin wieder, „ich war an der Tür zur Straße, um Herrn Rastoils Dienstmädchen guten Abend zu sagen, als Madame Faujas heruntergekommen ist, um einen Eimer Schmutzwasser in den Rinnstein zu entleeren. Anstatt sofort wieder hinaufzugehen, ohne den Kopf zu wenden, wie sie es gewöhnlich tut,ist sie einen Augenblick dageblieben, um mich anzuschauen. Da habe ich zu verstehen geglaubt, sie wolle sich mit mir unterhalten; ich habe ihr gesagt, daß es tagsüber schön gewesen sei, daß der Wein gut sein würde . . . Sie antwortete, ohne sich zu beeilen: ,Ja, ja‘, mit der gleichgültigen Stimme einer Frau, die kein Land besitzt und die solche Sachen überhaupt nicht interessieren. Aber sie hatte ihren Eimer hingestellt, sie