Darf man sich`s urgut gehen lassen?. Herlmut A. Gansterer

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Название Darf man sich`s urgut gehen lassen?
Автор произведения Herlmut A. Gansterer
Жанр Изобразительное искусство, фотография
Серия
Издательство Изобразительное искусство, фотография
Год выпуска 0
isbn 9783711051080



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erzählen dauernd von der Belästigung durch Handyphonierer. Sie finden müde Bauarbeiter lächerlich, die in Bus und U-Bahn von ihrer Frau wissen wollen, welches Abendessen sie in dreißig Minuten erwartet. Sie hassen jeden, der sich auf der Straße oder im Restaurant per Handy ein wenig wichtig macht.

      Ich hingegen finde das großartig. Viele Paare, die einander nur noch angeschwiegen hatten, reden via Handy wieder miteinander wie beim ersten Rendezvous. Und die Möglichkeit, dass nun viele, die an kleinen Komplexen leiden, sich lautstark via Handy ein wenig größer machen als sie sind („Sie werden von meinen Anwälten hören!“), erspart Österreich zehn Nervenkliniken. Da reden wir noch gar nicht von den sachlichen Vorzügen. Dem Zeitgewinn etwa, dass wir nicht mehr öffentliche Telefonzellen suchen müssen, die von Vandalen versifft und zerstört wurden. Oder der neuen Sicherheit, die Bergwanderer und allein lebende Kranke verspüren, weil sie jederzeit Alarm schlagen können. Und weit entfernt wohnende Familienmitglieder haben wieder Kontakt. Das wäre zwar theoretisch auch übers Festnetz gegangen. In der Praxis geht es erst jetzt wieder dank der Handys, weil man damit Wartezeiten sinnvoll nützen kann.

      Das Handy zählt, so wie das Auto und die Zeitung, zu jenen Produkten, deren Wert man erst dann zu schätzen weiß, wenn es sie einen Tag lang nicht gibt. Für junge Karrieristen, die noch kein Geld für eine Sekretärin haben, ersetzt das zum Smartphone erweiterte Handy ein ganzes Büro. Es wurde zum Schweizermesser für berufliche Erfolge. Und was die neuen Tablets aller Betriebssysteme im Windschatten von Apples i-Pad betrifft, so steht man noch am Anfang einer ungeheuren Nützlichkeit.

      Kurz gesagt: Das Handy ist die größte soziale Errungenschaft seit der Sonntagsruhe für Arbeiter.

      JA UND JA.

      Allerdings sind dies zwei Fragen, die höchst unterschiedlich zu kommentieren sind.

      Die Führung von Tagebüchern gilt seit Jahrhunderten als normale Sache. Es gab in Europa allenfalls kurze, militärisch geprägte Epochen, in denen intime Aufzeichnungen als sentimental-weibisch galten. Oder wo man aufpassen musste, was man niederschrieb, wie im Überwachungsstaat des Biedermeier oder generell in Diktaturen.

      Alle berühmten Tagebuchschreiber sprachen von innerer Notwendigkeit. Als Möglichkeit, die Sorgen wegzuschreiben, sich über Gefühle klar zu werden oder das erlebte Schöne vor dem Vergessen zu bewahren. Für Gottfried Keller waren die Tagebücher „das einzige Asyl der Gedanken“. Selbst ein Tolstoi fand zuweilen, das Tagebuch sei sein eigentliches Leben.

      Wer sein Tagebuch ambitioniert schreiben will, findet im „Buch der Tagebücher“ (Piper, 2010) eine Fülle stilistischer Vorlagen. Rainer Wieland hatte die reizvolle Idee, zu jedem Tag des Jahres etliche Notate berühmter Diaristen des 17. bis 20. Jahrhunderts auszuwählen – oft lehrreich, immer interessant.

      So weit, so empfehlenswert. Tatsächlich spricht nichts gegen das eigene Tagebuch. Die Vorteile dürften die Nachteile des Zeitaufwands überwiegen. Und die Gefahr des Entdecktwerdens ist heute gering, da die meist per Notebook oder i-Phone/i-Pad geschriebenen Eintragungen in kennwortgeschützte Ordner gestellt werden können (gilt per Scanner auch für handschriftliche Notate).

      Eine andere Frage ist die Sache mit FACEBOOK und ähnlichen Sozial-Netzwerken. Hier ist Skepsis angebracht. Es muss zumindest gründlich nachgedacht werden, ehe man persönliche, gar intime Erlebnisse ins öffentliche Netz stellt.

      Viele tun eben dies mit größter Begeisterung, weil sie endlich erkannt (= geliebt in der Sprache der Ritter des 12. Jahrhunderts) werden wollen. Kein Grund, sich darüber lustig zu machen. Es mag manchen aus dem Gefühl der Bedeutungslosigkeit erlösen. Und immerhin ist auch denkbar, dass heutige Freundes-Rudel aus Schulzeiten dadurch inniger verbunden bleiben als frühere, wo sich jeder in sein eigenes Leben verlor.

      Speziell junge Leute sollten gleichwohl überlegen, welche Bekenntnisse und Erlebnisse sie FACEBOOK anvertrauen. Sie werden dadurch Teil ihres Lebenslaufs – und später vielleicht, auf Jobsuche, zum Rohrkrepierer.

      Es soll bereits Spezialisten der Personalvermittlungs-Branche geben, die Facebook-Notizen von Maturanten interessanter Schulen in Mega-Terrabyte-Speichern festhalten, zur späteren Durchleuchtung und Beurteilung. Wobei sich nicht nur die eigenen Bekenntnisse negativ auswirken könnten, sondern auch die oft geschmacklos-witzigen, teils schwachsinnigen Kommentare von Freunden und bösartigen, neidischen Fremden.

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