Meine Real Life Story. Philipp Mickenbecker

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Название Meine Real Life Story
Автор произведения Philipp Mickenbecker
Жанр Афоризмы и цитаты
Серия
Издательство Афоризмы и цитаты
Год выпуска 0
isbn 9783863348328



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also vielleicht auch hoffen. Nicht darauf, dass ich doppelt so viele DVDs verkaufen würde, dass ich doppelt so schnell Fahrrad fahren könnte. Aber ich konnte darauf hoffen, dass Gott alles im Griff hat, dass alles bei ihm einen Sinn hat und dass er mich nicht allein lässt. Dass er mit mir diesen schweren Weg gehen würde. Dass er mich weiterhin ermutigen würde und dass er mir auch ein „gesegnetes Ende“ schenken würde.

      Ich kann euch gar nicht sagen, wie sehr mich diese Antwort erleichtert hat. Eigentlich war es einfach nur eine Textstelle in diesem alten Buch, die ich hier in meinem Bett gelesen hatte. Und doch war es die perfekte Textstelle; ich glaube, in der ganzen Bibel hätte es keine passendere Stelle gegeben.

      Ich hatte schon öfter von Christen gehört, dass Gott durch „sein Wort“ (sprich, durch die Bibel, die von ihm inspiriert ist) reden würde. Vielleicht hatte ich das gerade erlebt. Es fühlte sich auf jeden Fall so an. Einen tiefen Frieden konnte ich spüren, den ich nicht mal empfunden hätte, wenn mir ein Arzt einen 99-prozentigen Behandlungserfolg versprochen hätte.

      Das war schon ein krasses Erlebnis. Ich bin immer noch begeistert, wenn ich an diese Situation denke. Wenn ich daran denke, wie mir Gott auf mein verzweifeltes Gebet auf der Toilette geantwortet hat.

      DER KAMPF BEGINNT

      Ich habe also tatsächlich Krebs

      Und dann hat die ganze Behandlungsodyssee angefangen.

      Erstmal sollte eine Biopsie gemacht werden, bei der ein Stückchen des Tumors herausgeschnitten wurde, um zu überprüfen, ob er bösartig oder gutartig war. Dafür musste ich ins Krankenhaus in einer anderen Stadt. Genau dahin, wo meine alte Schule war, und das ist nicht bei uns um die Ecke, sondern vierzig Kilometer entfernt. War das ein Zufall?

      Ich war allein in meinem Zimmer und wollte mich ein wenig bewegen. Mir ging es nicht sehr gut, aber durch den Flur laufen, das bekam ich hin. Ich hab aus dem Fenster geschaut und den blauen Wasserturm gesehen, an dem wir jeden Morgen auf unserem Schulweg vorbeigelaufen sind. Etwas weiter dahinter war also dieser hässliche Kasten, der so lange unser Gefängnis gewesen war.

      Das war zwar keine sehr schöne Erinnerung, aber ich kam mir auf einmal nicht mehr so fremd vor. Hier kannte ich mich aus. Und in dem Moment musste ich nicht nur an die Zeit denken, als wir von der Schule geflogen sind, sondern auch an das Schöne, das wir hier erlebt hatten. An die Experimente, an die Explosionen, an die ganzen Streiche, die wir uns ausgedacht hatten.

      Irgendwie hab ich es vermisst. Besonders die Klassenkameraden, die ich schon lange nicht mehr gesehen hatte. Vor allem Nele, von der ich seitdem nichts mehr gehört hatte, außer ein paar Mails und einem Brief, den sie uns geschrieben hatte, nachdem wir von der Schule geflogen waren und eigentlich keinen Kontakt mehr zu unseren Klassenkameraden haben durften. Damals hatten wir noch keine Handys, da war es noch nicht so einfach, über so eine Distanz Kontakt zu halten.

      Irgendwie hat mir das bekannte Umfeld Mut gemacht. Ich werde das schaffen. Und Gott wird mir helfen, da war ich mir sicher.

      In der Hoffnung auf weitere Erfahrungen habe ich öfter die Bibel genommen, einfach irgendwo aufgeschlagen und gelesen. Und es hat so oft gepasst. Oft bin ich bei den Psalmen gelandet – das sind sozusagen Songtexte, in denen es um alle möglichen Fragen des Lebens geht. Um Schmerz, Angst, Glück, Liebe, Verzweiflung und Hoffnung. Und die finden sich genau in der Mitte der Bibel. Vielleicht gerade für so Menschen wie mich, die ein bisschen Ermutigung brauchen und die Bibel einfach so aufschlagen.

      Und wie ermutigend das war! Ich hatte oft den Eindruck, dass der Text persönlich zu mir redete. Zum Beispiel in der Situation in diesem Krankenhaus, in dem ich immer wieder mit ansehen musste, wie Kinder um mich herum den Kampf gegen den Tumor verloren haben. In denen Eltern an ihrem Schicksal fast verzweifelt sind. Das hat mich nicht unberührt gelassen. Eines Tages habe ich den Psalm 91 gelesen, der mir bis heute so viel bedeutet:

      „Wer unter dem Schirm des Höchsten wohnt, der kann bei ihm, dem Allmächtigen, Ruhe finden. Selbst wenn die Pest im Dunkeln zuschlägt und am hellen Tag das Fieber wütet, musst du dich doch nicht fürchten. Wenn tausend neben dir tot umfallen, ja, wenn zehntausend um dich herum sterben – dich selbst trifft es nicht! (…)

       Du aber darfst sagen: ‚Beim Herrn bin ich geborgen!‘ Ja, bei Gott, dem Höchsten, hast du Heimat gefunden. Darum wird dir nichts Böses zustoßen, kein Unglück wird dein Haus erreichen. Denn Gott wird dir seine Engel schicken, um dich zu beschützen, wohin du auch gehst. (…)

      Gott sagt: ‚Er liebt mich von ganzem Herzen, darum will ich ihn retten. Ich werde ihn schützen, weil er mich kennt und ehrt. Wenn er zu mir ruft, erhöre ich ihn. Wenn er keinen Ausweg mehr weiß, bin ich bei ihm. Ich will ihn befreien und zu Ehren bringen. Ich lasse ihn meine Rettung erfahren und gebe ihm ein langes und erfülltes Leben!‘“

      Ich hab mich auf unerklärbare Art sicher gefühlt, auch wenn das alles hart sein würde, was noch kommen würde. Das wusste ich.

      Dann bin ich nach der OP aufgewacht, in der ein kleiner Teil des Tumors als Probe herausgenommen wurde. Biopsie nennt man das. Allein, in diesem halbdunklen Aufwachraum. Etwas benebelt fühlte ich mich, und doch hatte ich so schlimme Schmerzen, wie ich sie vorher noch nie und auch nachher nie mehr hatte. In meine Brust führte so ein komischer dicker Schlauch, aus dem ist eine eklige Flüssigkeit tropfte. Das hatte mir vorher keiner gesagt.

      Ist da irgendwas schiefgelaufen? Ich hatte auf einmal wieder Angst. Und solche schrecklichen Schmerzen. Normalerweise bin ich echt kein Weichei und lasse mir nichts anmerken, wenn ich mich verletze, mit dem Fahrrad hinfalle und mir alles aufreiße.

      Aber diese undefinierbaren Schmerzen aus dem Inneren, bei denen man nicht weiß, was das ist und wo sie herkommen – damit konnte ich nicht umgehen. Ich konnte das einfach nicht aushalten. Das konnte doch nicht richtig sein? Später hat man mir gesagt, der Schlauch hätte falsch gelegen. Das haben die Ärzte aber erst ein paar Tage später gemerkt.

      Ich war auf jeden Fall ziemlich fertig, hatte überhaupt keine Kraft mehr und auch irgendwie etwas den Willen verloren, das alles mitzumachen. Und dabei war das ja noch nicht mal die Behandlung, vor der sich alle so fürchteten, das war ja nur die Voruntersuchung gewesen!

      Mitten in diese Situation kam Nele mit Marie und Alina zu Besuch. Die Mädchen aus meiner alten Klasse. Auch wenn wir komplett verschieden waren, hatte ich vor allem Nele vermisst. Ich hatte ihr geschrieben wo ich bin und jetzt war sie tatsächlich gekommen – zu einem der bösen Jungs, die von der Schule geflogen waren. Ich hab mich wirklich gefreut und ihr Besuch hat mir wieder Kraft gegeben. Wir sind rausgegangen und durch den Park gelaufen. Ganz langsam und mit ganz viel Schmerzmittel, aber immerhin konnte ich laufen!

      Als sie wieder weg waren, hab ich noch lange im Park gesessen. Meine Eltern und meine Geschwister waren auch ständig für mich da, und auch das war super tröstlich. Aber dass die Mädchen gekommen waren, das hatte mich nochmal besonders berührt. Und das war doch kein Zufall, dass ich ausgerechnet in diesem Krankenhaus gelandet war, wo ich die Gegend kannte und wo meine Klassenkameraden mich besuchen und ermutigen konnten.

      Hier lagen also beide Gefängnisse direkt beieinander. Die Schule und dieses Krankenhaus, in dem ich mich so unglaublich eingesperrt fühlte und noch viel weniger Freiheiten hatte als in dieser Schule. Auch wenn ich hier die Einschränkungen schon eher verstehen konnte, erinnerte es mich unangenehm an die Zeit im Schul-Gefängnis.

      An diesem Abend konnte ich vor Schmerzen nicht schlafen. Ich hatte schon die höchste Dosis an Schmerzmitteln bekommen und es war kein bisschen Besserung zu spüren. Da war ein junger Pfleger auf der Station, an ihn kann ich mich noch genau erinnern. Er ist den ganzen Abend dageblieben, ist immer wieder zu mir gekommen und hat alles versucht, um mir zu helfen. Es war Wochenende und gerade waren keine Ärzte im Haus, doch der Pfleger hat sich sehr bemüht, noch jemanden zu erreichen. Irgendwann hab ich ihn gefragt, ob er nicht