Wie die Zeit vergeht. Georg Markus

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Название Wie die Zeit vergeht
Автор произведения Georg Markus
Жанр Документальная литература
Серия
Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783902998590



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herbeizuführen. Dabei hatte er mehrere Kinder, die die Voraussetzungen weitaus besser erfüllt hätten. Franz beharrte aber darauf, seinen erstgeborenen Sohn Ferdinand »von Gottes Gnaden« an die Spitze des Staates zu stellen.

      Als Kaiser Franz I. am 2. März 1835 starb, stand eine große Menschenmenge weinend am Burghof. Ein Beamter wurde zur Bevölkerung geschickt, um zu beruhigen. »Weint nicht«, sprach er, »es bleibt ja alles beim Alten.«

      Da rief einer aus der Menge: »Deswegen weinen wir ja!«

      Sein Sohn Ferdinand litt zeitlebens, als bedauernswertes Produkt der Verbindung doppelter Cousins ersten Grades, unter epileptischen Anfällen. Infolge seiner Erkrankung erhöhte sich die Allmacht des Fürsten Metternich beträchtlich. Das war wohl mit ein Grund, dass der Staatskanzler dafür sorgte, den schwachen Ferdinand so lang wie möglich auf dem Thron zu halten. Dadurch hatte Metternich die Möglichkeit, die Regierungsgeschäfte fast im Alleingang abzuwickeln. Immerhin blieb Ferdinand 13 Jahre an der Spitze des Staates, den man nun als »Monarchie ohne Kaiser« bezeichnete.

      Von Wohlmeinenden »Ferdinand der Gütige« genannt, gelangten infolge seiner eingeschränkten Fähigkeiten zahllose Anekdoten in Umlauf. So wurde erzählt, dass bei einem Hauskonzert in der Hofburg der berühmte Pianist Thalberg seine Meisterschaft zeigte. Kaiser Ferdinand war hingerissen und animierte den Künstler zu etlichen Draufgaben, bis dieser schwitzend und ermattet abbrechen musste. »Mein lieber Thalberg«, bedankte sich der Kaiser, »bei mir haben schon viele Künstler gespielt, aber so wie Sie …«

      »Majestät«, neigte der Meister in tiefer Dankbarkeit beschämt sein Haupt –

      »… aber so wie Sie«, setzte der Kaiser fort, »hat noch keiner geschwitzt.«

      Im März 1848 brach in Wien die Revolution aus. Das Elend der Massen war so groß, dass Studenten, Bürger und Arbeiter sich mit der kaiserlichen Armee heftige Straßengefechte lieferten. Noch gravierender wurde die zweite Revolution im Oktober, deren Kämpfe rund zweitausend Tote forderten und Kaiser Ferdinand I. und seinen Hofstaat zwangen, die Residenzstadt zu verlassen und in Olmütz Zuflucht zu suchen. Als »Entgegenkommen« sicherte die Regierung den Aufständischen die Aufhebung der Zensur, uneingeschränkte Pressefreiheit und eine neue Verfassung zu. Das Ende der Grundherrschaft und des Zunftzwanges und die Einführung der Gewerbefreiheit führten zu dem Schlagwort, in Österreich sei das Mittelalter erst im 19. Jahrhundert zu Ende gegangen.

      Am 2. Dezember 1848 verzichtete Kaiser Ferdinand schließlich zugunsten seines Neffen Franz Joseph auf den Thron – ein Coup, den dessen Mutter Sophie eingefädelt hatte.

      Die Übergabe der Regierungsgewalt in Olmütz wurde nach den strengen Vorschriften des Zeremoniells vollzogen. Zu ihnen gehört, dass der zurücktretende Kaiser die Abdankungsformel spricht. Die aber hatte Ferdinand vergessen, weshalb er zu seinem vor ihm knienden Neffen nur sagte: »Sei brav, es is gern g’schehn.«

      Allerdings werden Ferdinands Fähigkeiten oft geringer dargestellt, als sie gewesen sind. Immerhin verstand er es, nach der Abdankung sein gewaltiges Vermögen durch geschickte Investition in gewinnbringende Unternehmungen erheblich zu steigern – auch wenn an diesen Transaktionen natürlich Berater beteiligt waren. Jedenfalls erwarb der Ex-Kaiser in der Zeit, als Europas Eisenbahnnetz immer dichter wurde, große Anteile an drei Eisenbahnlinien. Solange Ferdinand lebte, war der nunmehr regierende Kaiser relativ »arm«. Seinen Reichtum erlangte Franz Joseph erst, als sein Onkel und Vorgänger – der ihn zu seinem Universalerben bestimmt hatte – 1875 in seinem Exil am Prager Hradschin starb.

      Ein neuer Kaiser. Franz Josephs legendäres Pflichtgefühl, seine Pedanterie und Regelmäßigkeit waren ihm schon als Kleinkind aufgezwungen worden – und diese Eigenschaften bestimmten seine Zukunft und die des Reiches. Kaum hatte der 18-Jährige den Thron bestiegen, wurde schon darüber diskutiert, ob er überhaupt imstande sein würde, die Last der Krone zu tragen. Als man dem eben zurückgetretenen Staatskanzler Metternich die Frage stellte, weshalb ein Mann seiner Meinung nach früher regierungsfähig als heiratsfähig sein könne, antwortete er: »Weil es leichter ist, ein Volk zu regieren als eine Frau!«

      Die Wiener waren davon anfangs nicht ganz so überzeugt, sie tauschten ein »n« gegen ein »t« aus und nannten ihren neuen Kaiser in seinen ersten Regierungsjahren »Fratz Joseph«.

      Niemand konnte damals ahnen, dass dieser Mann im Laufe einer langen Regentschaft zum Symbol der Donaumonarchie werden sollte. Sein Tagesablauf war genau eingeteilt und kannte kaum irgendwelche Abweichungen – egal, ob er in der Hofburg, in Schönbrunn oder während des Sommers in Bad Ischl residierte: Franz Joseph wurde um halb vier von seinem Kammerdiener Ketterl mit den Worten »Ich leg mich zu Füßen Eurer Majestät« geweckt. Nach dem Einseifen durch den »Badewaschel«, dem Ankleiden und der Morgenrasur setzte sich Franz Joseph an den Schreibtisch, um Akten zu erledigen. »Auf dem Schreibtisch des Kaisers«, hinterließ uns Eugen Ketterl, »musste hinter dem großen Stehkalender das kleine Bürstchen und der Abstaubwedel liegen, mit welchem er selbst während des Tages seinen Schreibtisch von Streusand und Asche reinigte.«

      Um fünf Uhr nahm er das erste Frühstück ein – bestehend aus Gebäck, Butter, Schinken und Kaffee – dann rauchte er eine Zigarre. Befand er sich in Schönbrunn, verließ er das Schloss um Punkt halb sieben zu einem Spaziergang durch den Park, um danach in der benachbarten Villa der mit ihm befreundeten Schauspielerin Katharina Schratt das zweite Frühstück einzunehmen. Nach seiner Rückkehr studierte er wieder die geliebten Akten. Um zwölf wurde das Mittagessen aufgetragen, das praktisch immer aus derselben Menüfolge bestand: Suppe, Rindfleisch oder Naturschnitzel, Mehlspeise. War Franz Joseph alleine, ließ er sich die Speisen auf den Schreibtisch stellen. Interessanterweise war das Essen selten warm, was daran lag, dass die Hofküche von den kaiserlichen Appartements so weit entfernt war, dass die Speisen auf dem Weg durch Hunderte Meter lange Gänge auskühlten, ehe sie serviert wurden. Erst in den letzten Jahren seines Lebens wurde in einem Vorraum der kaiserlichen Gemächer ein Rechaud aufgestellt, mit dem das Essen aufgewärmt werden konnte.

      Nachmittags beschäftigte sich der Kaiser wieder mit seinen Akten. Die unerledigten befanden sich auf der linken Seite des Schreibtischs, die erledigten auf der rechten. Um fünf nahm er eine leichte Jause zu sich, Abendessen gab’s fast nie. Kurz nach acht begab sich der Kaiser zu Bett – es sei denn, er musste ein offizielles Diner oder einen Hofball geben. Verständlich, dass dem notorischen Frühaufsteher solche Festivitäten ganz und gar nicht behagten. Eine Anekdote, die immer wieder erzählt wird, entbehrt allerdings jeglicher Grundlage: Die meisten Gäste, so heißt es, verließen die Hoftafel hungrig, um danach ins Sacher zu gehen, weil der Kaiser ein berüchtigter »Schnellesser« gewesen sei und die Tafel aufgehoben werden musste, sobald er fertig war. Das stimmt nicht, jeder Besucher konnte bei Hof satt werden, es hätte auch nicht Franz Josephs Stil entsprochen, seine Gäste hungrig zu verabschieden.

      Nur seine Gemahlin Elisabeth, der jegliche Etikette verhasst war, schaffte es einigermaßen, das jahrhundertealte höfische Zeremoniell zu umgehen. Als Papst Pius IX. am 7. Februar 1878 in Rom starb, war die Kaiserin – wie so oft – gesundheitlich angeschlagen, weshalb sie es eine Woche lang vermeiden musste, ihre geliebten Ausritte zu unternehmen. Verschmitzt schrieb sie dem Kaiser: »Da ich nun einige Tage nicht reite, werden die Leute sagen, es sei wegen des Papstes. Das macht sich sehr gut.«

      Letztlich konnte und wollte auch Franz Joseph als jener Regent, der das Habsburgerreich ins 20. Jahrhundert führte, die zum Teil mittelalterlichen Gesetzmäßigkeiten des Spanischen Hofzeremoniells nicht abschaffen. So war es selbst seinen Geschwistern und engsten Familienangehörigen nicht gestattet, das Wort an den Kaiser zu richten, nur ihm stand es zu, eine Frage zu stellen. Am meisten betroffen von den anachronistischen Bestimmungen des Zeremoniells war die Herzogin von Hohenberg, die »nicht ebenbürtige« Frau seines Thronfolgers Franz Ferdinand. Sie stand in ihrem Rang an letzter Stelle der Familienangehörigen – noch weit hinter der jüngsten Erzherzogin – und durfte bei Veranstaltungen niemals neben ihrem Mann auftreten. So wurde bei offiziellen Diners im Speisezimmer ihr Sessel möglichst weit weg von dem ihres Mannes aufgestellt. Wenn der Hof mit den Kutschen ausfuhr, musste die als »gewöhnliche Gräfin« geborene Sophie Chotek im letzten Wagen Platz nehmen. Sie durfte nicht einmal beim Fronleichnamsgottesdienst im Stephansdom neben Franz Ferdinand knien. Sämtliche