AEIOU. Sigrid-Maria Größing

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Название AEIOU
Автор произведения Sigrid-Maria Größing
Жанр Документальная литература
Серия
Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783902998736



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IV., mehr oder weniger gezwungen, seine Frau zu werden. Dabei spielten weder Zuneigung noch Liebe eine Rolle – der junge Ottokar hätte gut und gerne der Sohn seiner Gemahlin sein können –, sondern einzig und allein ihre Länder übten einen Reiz auf den besitzgierigen Böhmenkönig aus. Denn Margarete war nach dem frühen Tod ihres Bruders, Friedrichs des Streitbaren, der in der Schlacht an der Leitha im Kampf gegen die Ungarn gefallen war, zu einer reichen Erbin geworden. Diese Situation war für die Babenbergerin nicht vorhersehbar gewesen. Nach dem frühen Tod ihres Mannes Konrad und ihrer Kinder hatte sie vor Jahren, entmutigt wie sie war, den Schleier genommen und ein Gelübde abgelegt, dass sie den Rest ihres Lebens in stillem Gebete hinter Klostermauern verbringen wollte. Niemals wieder, so hatte Margarete geschworen, wollte sie einem Manne angehören.

      Margarete hatte für sich zwar eine Entscheidung getroffen, doch geriet sie als Erbin der weiten österreichischen Gebiete, die noch dazu unmittelbar an die böhmischen Länder angrenzten, ins Blickfeld von Přemysl Ottokar, der seine Fühler nach allen Seiten hin ausgestreckt hatte, um seinen Machtbereich zu erweitern. Deshalb warb er mit der ganzen Dynamik seiner Jugend um die vergrämte Witwe, schlug all ihre Argumente, warum sie ihn nicht erhören konnte, in den Wind und schließlich war es Margarete nicht mehr möglich, die Werbungen des Böhmen abzuschlagen, wollte sie eine gewaltsame Übernahme ihrer Länder durch Ottokar verhindern.

      Dass diese Ehe nur eine Farce war, das ahnten alle. Der junge Böhmenkönig holte sich auch bei der ersten sich bietenden Gelegenheit eine ganz andere Frau ins Bett. Ottokar hatte aus seinem Herzen noch nie eine Mördergrube gemacht und so gab er auch schon bald seine eigentlichen Absichten allgemein bekannt, da er sich in seiner Position sehr sicher fühlte. Doch hatte er nicht mit den moralischen Bedenken gerechnet, die plötzlich die anderen Kurfürsten ihm gegenüber geltend machten. Wahrscheinlich hätte man Kunigunde von Halicz, eine glutvolle, rassige Ungarin, als Geliebte Ottokars sogar noch in Kauf genommen, hätte er nicht begonnen, sich in aller Öffentlichkeit abfällig über seine alte, welke Gemahlin zu äußern, die nicht mehr in der Lage war, ihm einen Erben zu schenken. Vieles verzieh man in dieser Zeit redseligen, vom Wein berauschten Männern, nur schmähliche Worte über die Damen waren tabu. Zu sehr war man noch von den ritterlichen Idealen beeinflusst und geprägt, wo die »hohe« Frau eine besondere Stellung in der Gesellschaft eingenommen hatte, ja, sie war beinahe anbetungswürdig für den »minniglichen« Sänger und Ritter.

      Es erwies sich für Ottokar in seiner Spontaneität und Unachtsamkeit als gewaltiger Fehler, sich über diese Tradition hinwegzusetzen. Er war nie ein Kind von Traurigkeit gewesen und seine Gastmähler und Zechgelage waren in ganz Böhmen berühmt, aber auch berüchtigt durch die lockeren Reden, derer man sich zu vorgerückter Stunde befleißigte. Der schwere Wein, der in Strömen floss, löste Ottokar die Zunge und er begann im Kreise seiner Zechkumpanen sich über die körperlichen Schwächen seiner Gemahlin Margarete lustig zu machen. Er wähnte sich in einer Runde von Freunden, vergaß dabei ganz, dass auch die besten Zechkumpanen diese lästerlichen Geschichten mit Genuss weiterverbreiteten. So nahm es einen nicht wunder, dass die abfällige Einstellung des Böhmenkönigs Margarete gegenüber schon bald die Runde im Reich machte, wobei etwas geschah, was sich Ottokar kaum hatte vorstellen können: Plötzlich nahm man innerlich Anteil am Schicksal seiner alten Gemahlin, man bedauerte die verhärmte Frau, die vom Leben so hart geschlagen war, und so mancher nahm sich vor, ihr Schutz zu gewähren, wenn sie seinen benötigen sollte.

      Der Augenblick kam früher, als man allgemein gedacht hatte: Als man nun daran ging, einen neuen König zu küren, stand den Kurfürsten das Verhalten Ottokars Margarete gegenüber mit einem Mal klar vor Augen. Und man kam zu dem Schluss, dass dieser Mensch, der seine eigene Frau nicht achtete, sicherlich nicht der richtige Mann auf dem deutschen Thron sein würde. Außerdem tauchten allenthalben noch andere Vorwürfe gegen den Böhmenkönig auf. Eine Abordnung der steirischen Landstände war vorstellig geworden und hatte sich über verschiedene Übergriffe von Seiten Ottokars und seiner Leute bitter beklagt, wobei natürlich die Abneigung der Steirer gegen alles Böhmische im Vordergrund stand. Denn nach anfänglichem freundlichem Verhalten des Adels in den österreichischen Ländern hatten verschiedene tief greifende, soziale Maßnahmen, die Ottokar in den babenbergischen Ländern größtenteils zum Wohle der Bevölkerung durchgeführt hatte, die Stimmung von einem Tag auf den anderen ins Gegenteil umschlagen lassen. Man verstand die großen Konzepte nicht, die Ottokar durchführen wollte. Nach einer Bergwerkskatastrophe im steirischen Oberzeiring hatte der Böhmenkönig nicht nur den Auftrag gegeben, die mittellosen Witwen und Waisen der Bergleute zu versorgen, sondern auch eine Art Sozialversicherung eingeführt, die die Bevölkerung vor Armut und Not bewahren sollte. Natürlich mussten dabei die Wohlhabenden etwas von ihrem Reichtum zugunsten der Mittellosen abgeben, was den Zorn der Adelsschicht hervorrief. Es konnte nicht ausbleiben, dass die Mundpropaganda, die durchs ganze Land ging, nichts unterließ, was den Böhmenkönig schlecht machen konnte. Und schon bald war man der einhelligen Meinung: Was hatte ein Fremder, ein Böhme, in den babenbergischen Ländern eigentlich verloren?

      Warum sich die anderen sechs Kurfürsten dem Vorschlag des Erzbischofs von Mainz und des Burggrafen von Nürnberg anschlossen und sich für die Wahl des Grafen Rudolf von Habsburg entschieden, der in den Augen des reichen Böhmenkönigs mit dem Nimbus eines Bettelgrafen versehen war, hatte vielfältige Gründe und Hintergründe. Kaum war die Wahl bekannt gegeben worden, ließ Přemysl Ottokar nichts unversucht, um den neu ernannten König in jeder nur möglichen Hinsicht zu schmähen.

      Aber die Wahl war entschieden und am 29. September 1273 hatte man endlich einen neuen König: Rudolf von Habsburg.

      Auch Papst Gregor X. war mit der Wahl des Aargauer Grafen einverstanden, nicht nur weil diesem der Ruf der Gottesfürchtigkeit, der Redlichkeit und der Welterfahrenheit vorauseilte. Entscheidend war für den Papst die Tatsache, dass Rudolf über keine allzu große Macht verfügte und deswegen immer wieder auf die Hilfe und das Wohlwollen anderer angewiesen sein würde. Dies würde dem Heiligen Vater eine Fülle von Möglichkeiten bieten, sich in die politischen Angelegenheiten des Reiches einmischen zu können.

      Dass Rudolf von Habsburg, nachdem er die Wahl angenommen hatte, in dem jungen Böhmenkönig von vornherein ein unversöhnlicher Feind entstanden war, darüber war er sich von Anfang an im Klaren. Denn Ottokar war alles andere als gewillt, den Anordnungen und Aufforderungen des neuen deutschen Königs nachzukommen. Er ignorierte die Einladung zum Nürnberger Gerichtstag, wo er aus der Hand König Rudolfs seine Lehen in Empfang nehmen sollte. Als alle Großen des Reiches ihre Plätze eingenommen hatten, blieb der Stuhl König Ottokars leer. Rudolf überlegte nicht lange und tat, was er tun musste: Er verhängte über den Böhmenkönig die Reichsacht und ein Jahr später die Aberacht, allerdings ohne Ottokar besonders zu beeindrucken. Jeder andere wäre vor der Strafe der Reichsacht zurückgeschreckt, denn dies bedeutete nichts anderes, als dass der Betroffene für vogelfrei erklärt wurde. Aber keiner wagte es, irgendwelche Schritte gegen Ottokar zu unternehmen, denn er hätte sich die fatalen Folgen eines solchen Tuns genau ausrechnen können. Denn die harten Maßnahmen, mit denen Ottokar seine Feinde bekämpfte, steigerten sich von Jahr zu Jahr. Er duldete in seinen Ländern, und als solche bezeichnete er auch die österreichischen und steirischen, keinen wie immer gearteten Widerstand. Was konnte ihm der »kleine Graf« mit seiner lächerlichen Hausmacht, der plötzlich König geworden war, denn schon wirklich anhaben? Nie und nimmer würde Rudolf gegen ihn, den Herrn im Osten, wirkliche Chancen haben, dessen war er sich absolut sicher. Sollte es wider Erwarten doch zu einem bewaffneten Konflikt kommen, so würde er Rudolf schon zeigen, wie die wahren Machtverhältnisse verteilt waren.

      Natürlich war auch Rudolf von Habsburg Realist genug um zu wissen, dass er allein gegen den mächtigen Böhmen nichts ausrichten konnte. Er war auf die Unterstützung der Großen im Reich angewiesen. Nur mit ihrer Hilfe würde er Schritte gegen den aufmüpfigen Böhmen unternehmen können. In langen Unterredungen unterbreitete er jedem Einzelnen seinen ausgeklügelten Plan, wie er Ottokar zur Vernunft bringen wollte. Dabei trat ein, was Rudolf gar nicht zu hoffen wagte: Immer mehr Angehörige des Adels und der hohen Geistlichkeit stellten sich auf seine Seite und bestärkten ihn in seinem Unterfangen. Außerdem schloss Rudolf ein Bündnis mit den Ungarn, die dem Böhmen schon lange nicht sehr freundschaftlich gesonnen waren. Die Lage für Ottokar wurde allmählich prekär, da er erkennen musste, dass er langsam, aber sicher eingekreist wurde.

      Přemysl