Die ganz Großen. Georg Markus

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Название Die ganz Großen
Автор произведения Georg Markus
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783902998507



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im Neuen Wiener Journal vom 10. August 1921 den Artikel »Die treulose Naive – Liebesdrama zwischen Schauspielern«. Wenn Paul Hörbiger sich etwas vorgenommen hatte, dann zog er es durch. Präzise und kompromisslos.

      Ähnlich aufregend ging’s dann weiter in seinem Leben – und auch in unserer Zusammenarbeit.

      Paul Hörbiger, das ist ein Spiegel der Zeit- und Kulturgeschichte des 20. Jahrhunderts, von der Monarchie über die Nazidiktatur bis zur Ära Kreisky. Vom Stummfilm- ins Fernsehzeitalter. Geboren 1894 in Budapest, weil sein Vater dort gerade mit der Planung einer U-Bahn für die ungarische Metropole beschäftigt war, wächst Paul als echte »Kaisermischung« in wohl behüteten, gutbürgerlichen Verhältnissen auf. Da sind drei Brüder: Hanns und Alfred, die beiden älteren, und Attila, der jüngere. Vater Hanns Hörbiger ist ein erfindungsreicher Ingenieur, der es versteht, seine Patente in klingende Münze umzusetzen. Die Konstruktion eines revolutionären Ventils bringt der Familie Wohlstand. Berühmt wird Hanns Hörbiger jedoch als Begründer der »Welteislehre«, einer damals Aufsehen erregenden Theorie zur Entwicklungsgeschichte des Planetensystems.

      Als Paul neun Jahre alt ist, übersiedelt er – ohne ein Wort Deutsch zu können – mit Eltern und Geschwistern nach Wien. Schon früh begeistert er sich, wie sein Bruder Attila, fürs Theater und den in den Kinderschuhen steckenden Stummfilm. Nach Ende des Ersten Weltkriegs, in dem er es zum Oberleutnant brachte, absolviert er ganze sieben Stunden einer Schauspielschule. »Einen geraden Satz sprechen zu können, erschien mir und meinen Klassenkollegen weniger bedeutsam als die Frage ›Was nimmst du für einen Künstlernamen?‹ Das war unser Hauptthema, darüber konnten wir stundenlang diskutieren.« Paul Hörbiger entscheidet sich für »Paul di Pauli«, bleibt später aber doch seinem wahren Namen treu.

      Nach dem ersten Engagement im böhmischen Reichenberg wird er vom Theaterdirektor Leopold Kramer nach Prag geholt, der ihm bald »das Fach der guten Rollen«, wie Hörbiger sagte, zuwies.

      Unter den vielen Schauspielern, die ich getroffen habe, gab’s keinen Zweiten, der auch nur annähernd so pointiert aus dem Vollen schöpfen konnte, wenn es darum ging, Theateranekdoten wiederzugeben. Und wie er sie erzählen konnte: »Als eine unserer nächsten Premieren am Deutschen Theater in Prag war Roda Rodas Feldherrnhügel angesetzt«, schilderte er einmal, »ich spielte den Korporal Koruga. Roda Roda kam persönlich ins Theater und meldete dem Portier: ›Ich möchte, bitte sehr, zu Herrn Direktor Kramer!‹

      ›Ich darf leider nicht stören, der Herr Direktor ist auf einer Probe von der Widerspenstigen Zähmung.‹

      ›Gehen Sie hin und sagen Sie ihm, der Autor ist da.‹

      ›Ah so, verzeihen Sie, Herr Shakespeare!‹ «

      In einer Prager Hamlet-Aufführung tritt die junge Schauspielerin Josepha Gettke als Ophelia auf. Hörbiger verliebt sich Hals über Kopf in ›Pippa‹, wie sie von allen genannt wurde, und will sie heiraten.

      Und dann das Attentat. »Pippa war in dem tschechischen Dorf Wisowitz auf Urlaub. Nach einem Gastspiel in Marienbad bin ich dort hingefahren, um sie zu besuchen. Wir saßen im Extrazimmer des Dorfgasthauses, als die Tür aufgerissen wurde. Ein Mann raste herein und zielte mit seiner Pistole auf uns.«

      Paul Hörbiger breitet seine Arme schützend vor seiner Verlobten aus und ruft: »Auf mich können Sie schießen, aber tun Sie der Pippa nichts!« Der eifersüchtige Verehrer lässt sich jedoch nicht beirren. Drei Schüsse fallen. Der erste trifft Paul, nur wenige Millimeter unterhalb des Herzens, der zweite verfehlt die junge Frau. Dann richtet der Amokläufer die Waffe gegen sich selbst, drückt ab und bricht – nur leicht verletzt, wie sich später herausstellen sollte – zusammen.

      Ein Arzt legt Paul Hörbiger auf eine Bahre und ruft den Schaulustigen zu: »Gehen Sie auf die Seite, damit er ruhig sterben kann!«

      Tagelang schwebt er zwischen Leben und Tod. Hörbiger wird in das Wiener Sanatorium Hera gebracht, mehrmals operiert, ohne dass sich sein Zustand bessert. Der junge Schauspieler hat noch einen letzten Wunsch: Er will Pippa heiraten. Ein Priester kommt ins Spital. »Zuerst hat er mir die letzte Ölung gegeben, dann hat er uns getraut. Der Attila hat schwarze Lackschuhe mitgebracht, die ich anziehen sollte, aber ich hab ja gar nicht aufstehen können.«

      Paul Hörbigers »Rossnatur« siegt. Fünf Monate nach dem Attentat kehrt er zurück nach Prag und feiert als Liliom einen Sensationserfolg. Bald werden die Direktoren anderer Bühnen auf den Star des Deutschen Theaters aufmerksam. Ein Agent unterbreitet ihm das Angebot, nach Frankfurt am Main zu wechseln, doch Hörbiger lehnt selbstbewusst ab: »Wenn ich jemals aus Prag weggehen sollte, dann gibt’s nur zwei Möglichkeiten. Entweder ans Burgtheater nach Wien oder zu Max Reinhardt nach Berlin. Was anderes kommt für mich nicht in Frage.«

      »Ob du es glaubst oder nicht«, fuhr er fort, als er mir aus seinem Leben erzählte, »zwei Wochen später meldeten sich bei mir fast gleichzeitig die Direktion des Burgtheaters und das Büro von Max Reinhardt.«

      Hörbiger entscheidet sich für Berlin, Europas damalige Unterhaltungsmetropole – und Bruder Attila tritt in Prag seine Nachfolge an. Paul wird in den »wilden« zwanziger Jahren schnell ein Liebling des Publikums und die Berliner nennen den unübertroffenen Interpreten des »Fiakerliedes« liebevoll »Fiaker-Paule«. Max Reinhardt ist es schließlich, der Paul einen entscheidenden Rat erteilt, den er sein Leben lang beherzigen sollte: »Herr Hörbiger, bemühen Sie sich nicht allzu sehr, hochdeutsch zu reden. Bleiben Sie beim Wiener Dialekt, das haben die Berliner gern.«

      In Berlin kommen die ersten Stummfilmrollen auf das Naturtalent Paul Hörbiger zu, 1928 dreht er Spione unter der Regie von Fritz Lang. »So schwer wir es hatten, uns alles zu erarbeiten«, sagte Paula Wessely einmal zu mir – »dem Paul ist’s einfach zugeflogen.«

      »Um besser extemporieren zu können, habe ich das Textbuch meistens nur schnell überflogen«, bestätigte er diese Aussage seiner Schwägerin. »Und kurz vor Drehbeginn habe ich mir die jeweilige Stelle im Buch schnell noch angeschaut, damit ich weiß, worum es geht. So passierte es, dass ich mitten unter den Dreharbeiten des Edgar-Wallace-Films Der Zinker den Regisseur Carl Lamac fragte: ›Entschuldige, wer ist in diesem Film eigentlich der Mörder?‹

      Seine Antwort kam prompt: ›Na du, natürlich, du Depp!‹ «

      Dreihundert Filme – und damit mehr als jeder andere deutschsprachige Schauspieler – hat er gedreht. Aber jetzt, als Paul Hörbiger im hohen Alter zurückblickte auf ein reiches Leben, da wollte er in erster Linie über seine Zeit als Soldat im Ersten Weltkrieg berichten und nicht so sehr von den Filmen und den schönen Partnerinnen, die mit ihm spielten. Fragte ich ihn über Marlene Dietrich oder Zarah Leander, dann winkte er schnell ab und kam einmal mehr auf die Schützengräben zu sprechen, in denen er liegen musste. »Millionen Männer waren im Krieg«, unterbrach ich ihn, wenn er wieder allzu ausführlich vom Kasernenleben in Möllersdorf berichtete, »aber eine Filmkarriere wie du hat sonst niemand gemacht. Darüber wollen die Menschen etwas erfahren.« Er indes kam neuerlich auf die Brussilow-Offensive oder die Schlachten am Isonzo zu sprechen und ich hatte rechte Mühe, ihn über Dreharbeiten mit Willi Forst, Hans Albers und Heinz Rühmann erzählen zu lassen. Er fand das alles nicht so bedeutsam wie den Zusammenbruch der alten Donaumonarchie, der geradewegs in die Katastrophe führte. Das war wohl auch das große Trauma seiner Generation, und deshalb ließ ihn das Thema nicht los. Irgendwie ist es uns dann aber doch gelungen, seinen Anteil an der Filmgeschichte aufzuarbeiten.

      Die Nationalsozialisten kommen an die Macht, und Hörbiger empfindet die Situation in Berlin zunehmend als unerträglich. Er fällt mehrmals »unangenehm« auf, schützt seinen jüdischen Sekretär, verhilft ihm dann zur Flucht. Obwohl Hitler ihm bei einem Empfang mitteilte, er sei einer seiner Lieblingsschauspieler, wird Hörbiger zeitweise mit einem Drehverbot belegt. Als er 1940 auf Anweisung von Goebbels eine Rolle im Deutschen Theater nicht übernehmen darf, zieht er die Konsequenzen. Inzwischen geschieden, geht er mit seinen drei Kindern nach Wien und wird Mitglied des Burgtheaters.

      Auch hier hat er immer wieder Probleme mit den Behörden. Schon nach seiner ersten Premiere – er spielt die Titelrolle in Der Franzl von Hermann Bahr – erteilt ihm der »Reichstheaterdramaturg« die Anweisung,