Dunkle Träume. Inka Loreen Minden

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Название Dunkle Träume
Автор произведения Inka Loreen Minden
Жанр Языкознание
Серия Wächterschwingen
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783963700408



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rausgefallen. Und obwohl er sonst kaum ein Wort herausbringt, wollte er plötzlich alles über dich wissen.«

      »Wirklich?« Jenna war skeptisch, vielleicht wollte Noir nur kuppeln.

      »Wäre Kyr kein Typ für dich?«

      Sie zuckte mit den Schultern. Im Moment wollte sie an keine Männer denken.

      »Stört es dich, dass er ein halber Gargoyle ist?« Noirs Gesicht bekam einen weichen Ausdruck. »Man gewöhnt sich schnell daran. Dann willst du nur noch wilde, animalische Kerle. Miau.«

      Sie lachten so laut, dass Jenna Angst hatte, Kyrian zu wecken. Bevor er aufwachte, musste sie dringend noch etwas erledigen. »Er ist süß, keine Frage. Aber ich hab erst mal genug von den Männern.«

      Noir hob die Brauen.

      »Es ist wegen Ben«, sagte sie schließlich. Ihre Freundin würde ohnehin keine Ruhe geben, bis sie alles wusste.

      »Ich dachte, es ist aus zwischen euch.«

      »Von meiner Seite schon, aber er und mein Vater …« Sie seufzte. »Dad hat immer geglaubt, wir würden bald heiraten.«

      »Er weiß es also noch nicht.«

      »Ich habe Ben gebeten, ihm erst mal nichts zu sagen.«

      »Und genau darum macht Ben sich Hoffnungen.« Jetzt rollte Noir mit den Augen. »Ein Grund mehr, sich den sexy Goyle von nebenan zu schnappen und allen zu zeigen, dass du nicht mehr zu haben bist.«

      »Ich muss erst wissen, was ich wirklich will.«

      »Das wäre?«

      Jenna zögerte. Wie viel sollte sie ihrer Freundin erzählen? »Ich muss wissen, wer ich wirklich bin. Wie du weißt, redet mein Vater nie über meine Mutter, wer sie war, woher sie kam, wie sie starb … ob sie überhaupt starb.« Auch wenn er das stets behauptete. »Irgendwas verheimlicht er mir. Daher habe ich beschlossen, einen Monat Urlaub zu nehmen, um zu recherchieren.«

      »Jetzt?« Noir riss die Augen auf. »Ich bin bald im achten Monat! Was, wenn ich dich brauche?«

      »Nicht jetzt. Ich habe noch einige Operationen, die ich nicht verschieben kann. Ich fahre erst in drei Wochen.« Jenna lächelte, als Noirs Augen vor Entsetzen noch größer wurden. »Ich werde dich wissen lassen, wo ich bin. Jamie oder Nick können mich jederzeit holen.« Die beiden konnten schließlich Dämonenportale erzeugen. »Außerdem sind Dad und Ben ja auch noch da.«

      Noir stieß die Luft aus. »Du hast echt Nerven.«

      »Süße, mit deinem Baby ist alles in Ordnung.«

      »Mach das Vince mal klar. Er denkt immer noch, ich werde bei der Geburt sterben, genau wie seine Mutter. Er hat mich mit seiner Panik schon angesteckt.«

      Wer hätte gedacht, dass es etwas gab, das einer so mächtigen Hexe Angst einjagte? Jenna konnte sie allerdings verstehen. Niemals würde sie zulassen, dass ihrer Freundin oder dem Baby etwas passierte.

      Als sich Jenna von Noir verabschiedet hatte, schlüpfte sie in den Nebenraum und blieb bei der Liege stehen, auf der Kyrian schlummerte. Hätte sie nicht gewusst, dass er zur Hälfte ein Gargoyle war, würde sie ihn für einen gewöhnlichen Menschen halten. Er war nicht so groß wie die anderen Goyles und hatte keine sichtbaren Auffälligkeiten. Außer seinen kurzen Fangzähnen. Da er nicht viel sprach, blieben sie weitgehend unentdeckt und sahen eher wie besonders spitze Eckzähne aus. Jenna vermutete, dass sie sich erst verlängerten, wenn er aufgeregt war.

      Unter dem MRT hatte sich allerdings offenbart, dass Kyrian kein normaler Mann war. An den Schulterblättern befanden sich winzige Auswüchse, die äußerlich nicht zu erkennen waren. Dort saßen bei einem Gargoyle die Schwingen. Die hatten sich bei Kyrian nicht entwickelt.

      Jenna hatte Vincent studiert, der sich als der einzige Gargoyle-Hybride, den sie kannte, entweder in einen Menschen oder einen richtigen Gargoyle verwandeln konnte. Auch partiell. Kyrian und die anderen Goyles besaßen diese Eigenschaft nicht. Nicolas und Kyrian versteinerten genau wie Vincent am Tag ebenfalls nicht, nur das Weibchen Akilah und der Gargoyle Dominic, beides reinrassige Wesen. Daher sah man sie tagsüber nie.

      Vorsichtig strich sie Kyrs rabenschwarzes Haar zur Seite. Seine Ohrmuschel war etwas spitzer geformt, und auf den Aufnahmen hatte sie Hörner gesehen. Zögerlich fuhr sie tiefer in sein weiches Haar, bis ihre Fingerspitzen an einen Hörnerstummel stießen. Er war kleiner als der von Vincent. Warm fühlte er sich an und leicht rau. Als sie darüberstrich, knurrte Kyrian leise, drehte den Kopf in die andere Richtung und murmelte etwas Unverständliches.

      Schnell zog sie die Hand zurück. Was hatte sie nur geritten? Sie wusste von Noir, dass die Hörner eines Gargoyles erogene Stellen waren. Hoffentlich hatte Kyrian nichts mitbekommen.

      Nach einer Vollnarkose waren die meisten Patienten relativ schnell wieder ansprechbar, zumindest auf einer Halbschlafbasis. Aber mehr als Ja sagen und seinen Namen nennen war kaum möglich, wirklich bei Bewusstsein war man erst deutlich später. Kyrian schien noch einmal eingeschlafen zu sein. Seine Atmung ging langsam und gleichmäßig. Jenna musste sich beeilen, bevor er richtig wach wurde.

      Vorsichtig zog sie die Decke nach unten. Kyrian war nackt und trug nur einen am Rücken offenen Kittel. Breite Schultern kamen zum Vorschein, ein schöner Männerrücken, auf dessen Haut einige alte, verblasste Narben zu erkennen waren, und ein Hintern, der trotz Kompresse so knackig aussah, dass sie am liebsten hineinbeißen wollte.

      Ben, ihr Dad und sie hatten in einer zweistündigen Operation seinen Schwanzstummel entfernt. Jenna hatte den Goyle nicht gefragt, wieso sein Schwanz verstümmelt war. Sie konnte es sich denken. Wurde ein Gargoyle von seiner Bruderschaft verstoßen, zeichnete man ihn, indem ihm ein Horn oder der Schwanz abgeschnitten wurden. Wie schmerzhaft musste das gewesen sein, als sie ihm Nervenstränge, Muskeln und Blutgefäße durchtrennt hatten. Ihr Herz zog sich zusammen.

      Wieso empfand sie bei diesem Patienten so viel? Sie benahm sich unprofessionell.

      Die Operation war anspruchsvoll gewesen und hatte eine Vollnarkose erfordert. Aber es war alles gut gegangen. Unter der Kompresse befand sich die Naht. Außer einer zarten Narbe würde bald nichts mehr zu sehen sein. Das Steißbein würde jedoch länger wehtun. Die Nerven waren beleidigt, Phantomschmerzen könnten ihn quälen. Weil Jenna wollte, dass Kyrian so schnell wie möglich wieder einsatzfähig war, tat sie etwas, das ihr Dad streng verboten hatte: ihre besondere Gabe anwenden. Sie legte ihre Hand auf den Verband und stellte sich vor, wie in den tieferen Gewebeschichten alles verheilte. Die Haut sollte auf natürlichem Weg zusammenwachsen, damit niemandem auffiel, was sie getan hatte.

      Ihre Hand erwärmte sich, Energie strömte von ihrem zu Kyrians Körper. Vor ihrem geistigen Auge sah sie, wie die Wunden verheilten. Plötzlich zuckte Kyrian und hob den Kopf. Über eine nackte Schulter schaute er sie schlaftrunken an.

      Himmel, diese Augen! Sie leuchteten beinahe so blau wie ihre.

      Hastig warf sie das Laken über ihn. »Wie geht es Ihnen?«, fragte sie.

      »Schwindelig«, murmelte er und versuchte, sich aufzusetzen.

      Sie drückte ihn an den Schultern zurück. »Bitte bleiben Sie noch liegen, bis sich Ihr Kreislauf stabilisiert hat.«

      Er gehorchte, verfolgte sie jedoch mit Blicken, als sie durch den Raum tigerte und so tat, als würde sie seine Krankenakte durchsehen. Tatsächlich brauchte sie einen Moment, um ihre glühenden Wangen abzukühlen. Was nicht einfach war, denn er ließ sie nie aus den Augen, musterte sie wie ein Tier, das auf der Lauer liegt. Das ging ihr durch und durch. Räuspernd drehte sie ihm den Rücken zu und blickte aus dem Fenster. Sie tat, als gäbe es etwas Interessantes auf der gegenüberliegenden Seite der Themse zu sehen, doch nichts Spannendes passierte vor dem Uhrenturm Big Ben, Westminster Abbey oder dem House of Lords.

      Wie peinlich! Was hatte Kyrian mitbekommen? Konnte er irgendwie spüren, dass sie ihn attraktiv fand? Jenna wusste von Vincent, dass er Gemütsverfassungen riechen konnte.

      Das Schweigen zwischen ihnen war erdrückend, daher drehte sie sich wieder um. »Was machen