Der Landdoktor Staffel 1 – Arztroman. Christine von Bergen

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Название Der Landdoktor Staffel 1 – Arztroman
Автор произведения Christine von Bergen
Жанр Языкознание
Серия Der Landdoktor Staffel
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783959796675



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auch«, erwiderte Torsten. »Hundert Kilometer. Bei dieser Entfernung können wir uns jedes Wochenende sehen.« Er zwinkerte ihr zu. »Obwohl ich mich schon jetzt darauf freue, mit dir ins Ausland zu gehen. Im Januar kommenden Jahres könnte für mich ein Projekt in Brasilien anstehen.«

      »Brasilien?« Amelie strahlte ihn an. »Dort wollte ich immer schon einmal hin.«

      Bis dahin würde sich Jonas’´ Situation geklärt haben, und sie konnte Torsten, ohne schlechtes Gewissen ihrem Vetter und den Zwillingen gegenüber, begleiten. Aber zuerst einmal, bevor er an der Schweizer Grenze arbeiten musste, hatte sich Torsten zwei Wochen Urlaub genommen, die er in Ruhweiler verbringen wollte. In der Pension, in der er zurzeit wohnte.

      Mit tiefer Zufriedenheit lehnte sie sich an den geliebten Mann, der sie sogleich fest in seine Arme zog. Leise schlug das Wasser ans Ufer, es war wie ein vielversprechendes Flüstern. Die Luft zwischen ihnen begann zu knistern, wie immer, wenn sie Haut an Haut, Herz an Herz zusammensaßen. Torsten sah sie an, mit all seiner Liebe in den dunklen Augen. Und als sich sein Mund dem ihren näherte, hielt die Natur den Atem an. Sie küssten sich, liebevoll, sanft, voller Zärtlichkeit. Immer und immer wieder. Ihre Küsse sagten mehr als alle Worte. Amelie hätte am liebsten die Zeit angehalten, für immer diese erregende und zugleich vertraute Nähe gespürt, den Halt, den Torsten ihr gab, die Geborgenheit, die seine Arme ihr schenkten –, in dem Wissen darum, dass so alles gut und richtig war.

      Als die beiden aus dem bereits dunklen Zauberwald heraustraten, senkte sich die Dämmerung übers Land. Westwärts lief ein Feuer über die Bergketten. In der Ferne zackten die schwarzen Tannen in das Rot des Himmels.

      Amelie und Torsten blieben stehen und sahen dem Schauspiel zu. Noch war es hell genug, um die Umgebung erkennen zu können. Rechts von ihnen auf dem Hügel lag die Praxis von Dr. Brunner, unten im Tal Ruhweiler. Sie atmeten die würzige Abendluft tief ein. Ein traumhafter Tag ging zu Ende. Ein Tag von der Art dieser besonderen Tage, von denen man sich wünscht, sie würden nie zu Ende gehen.

      Die Verliebten waren an diesem Abend nicht allein unterwegs, auch wenn sie das dachten.

      Etwa zur gleichen Zeit machten Dr. Brunner und seine Frau mit Lump einen Spaziergang. Auch sie wanderten Hand in Hand in harmonischem Schweigen nebeneinanderher, während der Deutsche Drahthaar an der Laufleine seine Nase auf den Boden gerichtet hielt. Er musste eine interessante Spur entdeckt haben, denn hin und wieder warf er seinem Herrchen einen vorwurfsvollen Blick zu.

      »Heute Abend wird nicht gejagt«, sagte Matthias zu ihm.

      Lump schnaubte einmal bekümmert durch die Nase und ergab sich in sein Schicksal. Mit hoch gestellter Rute dackelte er weiter vor Herrchen und Frauchen her, die ihm folgten –, solange er auf dem Spazierweg blieb.

      »Wollen wir uns einen Augenblick setzen?«, schlug Ulrike vor, als sie an einer der Bänke ankamen, die den Weg begleiteten. Sie stand neben frisch geschlagenen Stämmen, die einen herrlichen Duft verströmten. Dieser Platz bot einen Ausblick auf den brennenden Horizont.

      »Schau mal dort unten«, sagte die Arztfrau plötzlich in die Abendstille hinein. »Ist das nicht Amelie?«

      Matthias setzte das Fernglas vor die Augen, das ihn auf allen Spaziergängen durch die Natur begleitete.

      »Ja. Du hast recht. Das ist Amelie.«

      Ulrike beugte sich vor.

      »Wer ist denn der Mann an ihrer Seite?« Ihre Stimme klang erstaunt.

      »Mein Patient Torsten Richter.«

      »Der Brückenbauingenieur?«, fragte seine Frau ungläubig.

      Matthias nickte, genauso verblüfft wie sie.

      »Du hast mir doch erzählt, dass er nur noch drei Wochen hier sein wird.«

      »Die Brücke über die Trollenschlucht ist bald fertig«, bestätigte Matthias ihr. »Danach macht er noch Urlaub hier.«

      Mit großen Augen sah Ulrike ihren Mann von der Seite an.

      »Ich hätte Amelie gar nicht zugetraut, dass sie sich auf eine flüchtige Affäre einlassen würde.«

      »Das sieht mir nicht wie eine Affäre aus«, widersprach Matthias seiner Frau. »Die beiden wirken auf mich wie ein Liebespaar.«

      »Ja, stimmt«, murmelte Ulrike, während ihr Blick Amelie und Torsten folgte, deren Schatten miteinander verschmolzen. »Trotzdem. Herr Richter befindet sich doch sozusagen nur auf der Durchreise«, fügte sie mit skeptischem Unterton hinzu.

      Matthias lachte leise. »Die Liebe fragt nicht vorher nach der Heimatadresse.« Er legte den Arm um ihre Schultern und schmiegte seine Wange an ihre. »Schon vergessen, dass du aus dem hohen Norden stammst?«

      »Als wir uns kennen lernten, habe ich an der Freiburger Uniklinik gearbeitet und bin dann zu dir gezogen«, wandte sie ein.

      »Warum sollte Torsten Richter nicht auch irgendwann hierherziehen, wenn er Amelie liebt? Er erzählte mir bei seiner letzten Untersuchung, dass er sich in zwei Jahren selbstständig machen will. Das kann er genauso gut hier in der Gegend wie in Frankfurt am Main.«

      »In zwei Jahren kann noch so viel passieren«, murmelte seine Frau mit besorgtem Blick in die Richtung, in der die beiden Verliebten inzwischen entschwunden waren.

      Nachdem Dr. Brunner seinen Patienten geröntgt hatte, konnte er Jonas Wiesler eine gute und eine schlechte Nachricht überbringen.

      »Und?« Jonas sah ihn eindringlich an. Dabei spiegelte sich in seinen grauen Augen die Furcht wider, die ihn beherrschte.

      Matthias verschränkte die Finger ineinander und lehnte sich zurück.

      »Du hast eine Krankheit, die sich Sarkoidose nennt. Die Bestimmung des Angiotensin umwandelnden Enzyms in deinem Blut, dein erhöhter Immunglobulin- und Kalziumspiegel sowie die Lymphknotenvergrößerungen in deiner Brust haben meinen Verdacht bestätigt. Deine Lunge, das von dieser Krankheit am stärksten betroffene Organ, ist zum Glück noch nicht befallen. Stattdessen deine Gelenke.« Er räusperte sich bedeutsam, bevor er fortfuhr: »Diese Krankheit ist nicht tödlich. Das erst einmal zur Entwarnung für dich vorausgeschickt. Ihre Heilung gestaltet sich jedoch sehr langwierig. Denn die Ursachen der Sarkoidose sind bis heute nicht erforscht.«

      »Was heißt das nun alles?«, fragte der junge Hotelier, wie es jeder Patient getan hätte, der sich in medizinischen Fachbegriffen und deren Bedeutung nicht auskannte.

      Dr. Brunner wusste um diese Situation. Den wenigsten Kranken diente es, Medizinerdeutsch zu hören. Sie interessierten sich vielmehr dafür, wie sie mit der Krankheit umgehen und welche Heilungsmaßnahmen sie ergreifen mussten.

      »Wie sieht die Heilung aus? Was muss ich tun?« Jonas durchbohrte ihn mit seinem Blick.

      »Du kannst ganz normal weiterleben. Das heißt, in der letzten Zeit hast du ja selbst bemerkt, dass du nicht mehr so belastbar bist. Dem solltest du zukünftig Rechnung tragen. Um die Krankheit zu bekämpfen, müssen wir das Immunsystem stärken. Zusätzlich werde ich dir Kortison verordnen, um die Atemnot, das Fieber und die Gelenkschmerzen zu unterdrücken.«

      Jonas´ Augen weiteten sich ungläubig. »Und das muss ich mein ganzes Leben lang nehmen?«

      »Wer wie du nur vergrößerte Lymphknoten in der Brust und Entzündungen in den Gelenken hat, aber keinerlei Anzeichen auf einen Lungenbefall, hat sehr gute Heilungschancen. Mehr als drei Viertel der Patienten sind spätestens nach fünf Jahren wieder gesund. Manchmal verschwinden vergrößerte Lymphknoten in der Brust sogar schon nach ein paar Monaten wieder. Allerdings – und das will ich dir nicht verschweigen – kann die Hälfte der betroffenen Menschen danach auch wieder einen Rückfall erleiden. Aber zunächst geht es ja um deine Heilung.«

      »Natürlich«, erwiderte Jonas sofort. »Ich will so schnell wie möglich wieder gesund werden. Kim und Tim, das Hotel …« Er ließ den Kopf in beide Hände sinken, verweilte in dieser Stellung ein paar Augenblicke lang und sah Matthias dann wieder an. »Ich werde umdenken, alles neu organisieren müssen.«