Al Capone Staffel 1 – Kriminalroman. Al Cann

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Название Al Capone Staffel 1 – Kriminalroman
Автор произведения Al Cann
Жанр Языкознание
Серия Al Capone Staffel
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783863775209



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der da auf sie zukam?

      Aber dann verwarf sie den Gedanken wieder. Es war ja Unsinn. Er konnte gar nichts davon ahnen oder wissen. Denn das Los hatte der Verkäufer aus der großen Trommel herausgeholt und ihr zugeschoben. Es hätte irgendein x-beliebiges anderes sein können, eines der vielen zusammengefalteten Briefchen. Aber es war das gewesen, was sie jetzt in der Tasche trug; und sie hatte es erst drüben unter der Laterne geöffnet. Er konnte gar nicht wissen, was darauf stand.

      »Seien Sie nicht böse«, hörte sie da wieder die weiche, wohlklingende Stimme des Mannes, »wenn Sie nichts gewonnen haben.« Seinen Worten folgte ein kleines Lachen, das aber jäh abbrach. »Da gewinnt man doch nie etwas. Aber ich fand es trotzdem nett, daß Sie ein Los genommen haben. Menschen, die hoffen, sind gute Menschen. So steht es in irgendeinem Drama von Shakespeare.« Wieder das kleine Lachen.

      Er las Dramen von Shakespeare und beobachtete die Menschen.

      Er war ihr sogar bis hinunter in die 77th Street gefolgt; bis zum Chekman-House, wo er den Pförtner nach ihr gefragt hatte.

      Und schon seit dem Ende des Sommers beobachtete er sie. Ja, sie erinnerte sich, damals in den letzten Septemberwochen hatte sie das Grüne mit den weißen Punkten zuweilen getragen. Es waren die letzten warmen Tage gewesen.

      Es war das Kleid, das sie sich gekauft hatte, als sie mit Rodger hinüber nach Milwaukee gefahren war.

      »Ich arbeite bei der Parker Line«, sagte der Mann da unvermittelt neben ihr.

      Fünfundzwanzigtausend Dollar! Ich habe ein Vermögen in meiner Tasche. Wenn Mutter das noch hätte erleben können! Und was würde Vater für Augen machen! Auf dem schnellsten Wege würde sie jetzt nach New York fahren. Am besten morgen schon. Oder weshalb nicht noch heute?

      »Parker Line? Ist das nicht eine Fluggesellschaft?« fragte sie.

      »Doch, doch«, nickte der Mann, »eine große Fluggesellschaft. Natürlich nicht eine der größten. Aber es sind gute Maschinen. Der Präsident hat neulich auch eine davon benutzt.«

      »Hat der Präsident nicht eine eigene Maschine?« fragte sie, ohne darüber nachgedacht zu haben, was sie sagte.

      »Ja, natürlich schon; aber es kann auch einmal vorkommen, daß er ein Flugzeug der öffentlichen Linien benutzen muß. Wissen Sie, die Parker Line ist…«

      Ireen Moreland hörte nicht, was der Mann weiter erzählte. Sie preßte die kleine Handtasche, in der das Los war, gegen ihre Brust und hielt sie mit beiden Händen fest. Langsam war sie neben dem Mann bis zum Rand des Bürgersteiges hergegangen. Da blieben sie stehen. Die Autos zischten so dicht vorüber, daß der Luftdruck sie berührte.

      Immer noch sprach der Mann neben ihr. Plötzlich, als sie ihm das Gesicht zuwandte, zog er wieder den Hut.

      »Mein Name ist übrigens Coster, Philip Coster. Meine Freunde nennen mich Phil.«

      Wie alt mochte er sein? Ende der Dreißig? Vielleicht auch schon über vierzig? Aber selbst, wenn er fünfundvierzig wäre, was spielte das für eine Rolle? Er war ein Mensch, der mit ihr sprach, der Interesse an ihr hatte, der sie seit dem September beobachtete und ihr schon bis in die 77. Straße gefolgt war.

      Fünfundzwanzigtausend Dollar! Ja, sie würde noch heute eine Maschine nehmen. Weshalb nicht eine von der Parker Line? Aber er würde ja doch nichts davon haben.

      »Entschuldigen Sie«, sagte sie plötzlich und wandte sich ab.

      »Miß Moreland!«

      Nach drei Schritten blieb Ireen stehen, blickte sich über die Schulter um und sah seine großen traurigen Augen in den Brillengläsern schwimmen.

      »Entschuldigen Sie, bitte«, sagte sie, »vielleicht ein andermal.«

      Dann hielt sie auf den Park zu, durch dessen Bäume die Nebelschwaden über die breite Straße zogen. Es hatte an der Ecke hinter der Universität zwei Wege für Ireen Moreland gegeben: den über den Fahrdamm hinüber zu dem kleinen deutschen Café – von dessen Hochparterre man einen Blick auf die Straße hatte – und den Weg zum Park hinüber, in dessem Dunkel der Tod lauerte.

      *

      Sie schritt rasch aus und hatte die Anlagen bald erreicht.

      Welch eine Stunde! In ihrem ersten Viertel war der Mann gekommen. Ein fremder Mensch aus dem gewaltigen Schmelztiegel Chicago. Er hatte plötzlich vor ihr gestanden und sie zu einer Tasse Kaffee einladen wollen. Im zweiten Viertel dieser Stunde war das Los gekommen. Für sie war es das große Los. Das dritte Viertel würde ein Rausch sein.

      Rasch schritt sie aus, und die Gedanken jagten nur so durch ihren Kopf. Ich werde kurz nach Hause gehen, um mir das dunkelblaue Kostüm anzuziehen, und dann – natürlich, ich kann gleich drüben bei Pierrot meine hochhackigen Schwarzen abholen. Ja, und dann, dann werde ich zum Flugplatz fahren.

      Zu welchem Flugplatz fuhr man da eigentlich? Das würde sich schon finden. Zunächst mußte sie ja ihren Koffer packen. Allzuviel würde sie nicht mitnehmen; wozu auch, das hatte sie ja nicht nötig. Wer Geld hatte, der brauchte keinen Koffer zu schleppen. Sicher hätte Mr. Coster dazu jetzt einen passenden Spruch von Shakespeare gewußt.

      Unter diesen Gedanken hatte sie die Nähe der Anlagen erreicht, verließ den breiten Gehsteig, der hier nicht sehr belebt war, und ging, wie sie es jeden Abend tat, auf den schmalen Weg hinter den ersten Büschen des großen Parks zu. Da war die Luft etwas reiner, und es gingen nicht so viele Leute hier.

      Aber der Nebel war da. In großen, schweren Wolken wälzte er sich unter den Bäumen entlang und preßte sich dem Boden entgegen.

      Vielleicht frage ich tatsächlich einmal nach der Parker Line, überlegte sie.

      Die letzte Viertelstunde war angebrochen – und sie wollte gleich in den ersten Minuten das Grauen bringen! Es tauchte plötzlich vor ihr auf: groß, drohend, schwarzgrau und blitzschnell.

      Ein Mann! Sie fand nicht mehr die Reaktion zu einer Gegenwehr. Wie angewachsen stand sie da, starrte ihm entgegen, sah, wie er plötzlich aus dem Dunkel hinter einem der Büsche hervorsprang und sie niederriß.

      Es waren die Büsche, die zwischen dem großen Gehsteig der Straße und dem kleinen Weg am Rande der Anlagen standen. Mit einem gewaltigen Anprall hatte der Mann sie niedergerissen. Hart schlug sie auf den Boden auf. Eine Ohnmacht sprang sie an, verschwand aber sofort wieder unter dem stechenden Schmerz, der durch ihren Kopf zog.

      Sie wollte schreien, gellend um Hilfe schreien… aber um ihre Kehle krallte sich ein würgendes Händepaar. Wehrlos fielen ihre Arme auf den nassen sandigen Boden. Da zerrte sie der keuchende Mann brutal am Hals vorwärts auf die gegenüberliegenden Büsche zu. Sie spürte nur noch im Unterbewußtsein, wie sie einen ihrer Schuhe an dem Zementrand des Rasens verlor und dann in die nassen Büsche geschleppt wurde.

      Der Nebel hatte die Anlagen hier vollkommen eingehüllt, und die Straße schien unendlich weit entfernt zu sein.

      Der Mann, der sie vom Weg weggeschleppt hatte, ließ plötzlich von ihr ab, ließ sie zu Boden fallen und lief zurück auf den Weg. – Er hatte Schritte gehört. Hastig entfernte er sich.

      Fast neun Minuten lag Ireen Moreland an der nassen Erde und starrte in den Nebel, der sie wie eine erstickende Wand umgab. Ein feuchter Zweig berührte ihre linke Gesichtshälfte. Sie war unfähig, sich zu bewegen. Der harte Aufprall auf den Boden hatte ihr eine schwere Kopfverletzung eingetragen, Blut rann aus ihrem rechten Mundwinkel. Die würgenden Hände des Mannes hatten sie an den Rand des Erstickungstodes gebracht. Aber es war ihr

      Herz, das nicht durchstand. Es war

      zu schwach zum Widerstand, viel schwächer, als Ireen Moreland jemals geglaubt hatte. Plötzlich setzte sein Schlag aus – nach neun qualvollen, grauenhaften Minuten – den letzten Minuten jener Stunde, von der die unglückliche junge Frau gedacht hatte, daß es die schönste ihres Lebens sei. Die Stunde, die ihr einen Mann gebracht hatte – und Geld, sehr viel Geld.

      Welch ein Irrsinn war es doch gewesen, daß sie geglaubt hatte, noch heute fliegen zu können. Womit