Das Torhaus. Helga Dreher

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Название Das Torhaus
Автор произведения Helga Dreher
Жанр Контркультура
Серия
Издательство Контркультура
Год выпуска 0
isbn 9783749722150



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      „Sie dürfen“, antwortete Alma fröhlich.

      Ihre Beklemmung von vorhin schien wie weggezaubert, sie fühlte sich leicht und zuversichtlich. Sie aß den Salat und wischte mit Brot einen Rest Dressing vom Teller. Als die zweite Karaffe mit Wein kam, befiel sie für einen Augenblick die Einsicht, dass sie sich gerade kräftig betrank. Aber sie hatte doch eine gute Grundlage, sogar mit Vorsuppe und viel Brot, da konnte wohl nichts passieren.

      Wie war doch gleich der Stand ihrer Planung? Ah ja, sie war im Erdgeschoss. Im Raum gegenüber der Küche würde sie eine Art Wohn- und Arbeitszimmer einrichten, am liebsten mit einigen Designermöbelstücken, schließlich war sie der Wiege des Bauhauses jetzt nahe, verpflichtete das nicht? Ein Bad müsste noch irgendwo untergebracht werden, vielleicht im Anbau, da schien reichlich Platz zu sein.

      Ach, und der Garten! Das würde der allerschönste Teil des Projekts Wohnen im Torhaus werden, da war sie sich sicher. Eine Terrasse müsste gebaut werden, oder sollte sie nur einen gepflegten Rasen anlegen lassen, mit einigen Sträuchern, die nacheinander im Lauf des Sommers in leuchtenden Farben blühten?

      Das zweite Viertel vom Rotwein war fast geschafft und sie beschloss, ihrer inneren Stimme der Vernunft zu folgen. Sie bestellte noch einen Espresso, trank ihn in zwei Zügen aus, zahlte und zog ihren Mantel über. Der muss unbedingt in die Reinigung, nahm sie sich vor. Als sie durch das Restaurant zur Tür ging, bemerkte sie mit Erstaunen, dass sich der große Gastraum fast gefüllt hatte und der Geräuschpegel erheblich war. Irgendwie freute sie sich für den Wirt.

      Während sie die wenigen Schritte zum Hotel Liszt zu Fuß ging, verflog die eben noch durchlebte und durchträumte Vorfreude auf das Kommende. Du musst völlig verrückt sein, Alma, dich in ein solches Abenteuer zu stürzen, dachte sie und fühlte, wie ihr Kopf klarer wurde. Konnte sie ihr bisheriges Leben einfach so ändern? Wollte sie es?

       „Ja?“

       „Er ist gestorben.“

       „Und wann?“

       „Vor einem halben Jahr.“

      …

       „Hallo? Bist du noch dran?“

       „Wieso erfahren wir das erst jetzt?“

       „Du weißt genau, dass wir niemanden in der Stadt haben, den man da ansetzen konnte.“

       „Und du? Weshalb hast du dich nicht gekümmert?“

       „Ich war ein paar Mal unten. Kam nie zu was. Der war schlau.“

       „Sieh zu, dass du ab jetzt schlauer bist. Vielleicht ist noch was zu machen. Auftrag verstanden?“

       „Positiv. Das geht aber erst in ein paar Wochen, hatte eine OP an der Hüfte.“

       „Dann mach, dass du wieder auf die Beine kommst!“

       „Ich nehme einen aus der Zwo-Null-Vier mit.“

       „Das überlasse ich dir. Aber liefere Ergebnisse.“

      KAPITEL 4

      Der Sirenenton war jetzt noch durchdringender als die anderen Male. Irgendwie hört das nicht mehr auf, dachte Alma irritiert. Gleichzeitig fühlte sie, dass sich ihr Bett in gleichmäßigem Rhythmus bewegte.

      „Hallo, bleiben Sie wach, wir sind gleich …“, hörte sie eine Stimme, weit entfernt und schwächer werdend. Das wird sich alles geben, ein böser Traum dachte sie noch, beim nächsten Aufwachen ist er vergessen. Sie fühlte sich schläfrig und schloss die Augen wieder. Alles würde sich klären …

      „Frau Winter! Können Sie mich hören, Frau Winter?“ Alma öffnete ihre Augen und diesmal konnte sie die Lider ganz heben. Zwei fremde Gesichter erschienen links und rechts in ihrem Blickfeld, und nach einem kurzen Augenblick konnte sie auch die dazugehörigen Körper sehen, weiß bekittelt verdeckten sie helles Licht unter einer hohen Zimmerdecke.

      „Sie sind im Krankenhaus, Frau Winter. Sie hatten einen Unfall“, sprach eines der Gesichter langsam und eindringlich auf sie ein. Es war eine Männerstimme, die ruhig und unaufgeregt klang. „Wir haben Sie untersucht und versorgt. Halten Sie vor allem Kopf und Hals still, und auch den linken Arm sollten Sie im Moment möglichst wenig bewegen. Bleiben Sie ganz ruhig, Frau Winter. Schwester Silke kümmert sich um Sie.“

      Gut, dachte Alma, nicht so schlimm. Ich kann sehen und hören. Ich kann – sie machte unter der Decke einige vorsichtige Bewegungen – Hände und Füße spüren. Allerdings machte ihre linke Hand eine Ausnahme, fühlte sich eher etwas taub an. Aber nicht sehr taub, nur ein wenig.

      Das Bett, in dem sie lag, wurde bewegt, einen Korridor entlang geschoben und durch eine geöffnete Tür in ein Zimmer gefahren. Alma lag sehr flach und konnte nicht viel sehen. Kopf und Hals waren in eine Polsterung eingebettet und angenehm gestützt. Ihr rechter Arm lag auf der Bettdecke und fühlte sich normal an, bis auf eine Kanüle, die aus dem Arm ragte und von der ein durchsichtiger Schlauch nach oben zu einem Gefäß führte. Kochsalzlösung, dachte Alma, die vor zwei Jahren operiert worden war und sich jetzt wieder an Umstände wie diese erinnerte. Oder vielleicht ein Schmerzmittel, fiel ihr ein. Sie suchte mit den Augen ihren linken Arm und sah, dass der Unterarm in einem dicken, unbeweglichen Verband steckte. Ermüdet schloss sie die Augen. Und begann sich zu erinnern: Sie war im Haus gewesen … war hinauf in das „Schlafzimmer“ gestiegen … wollte wieder nach unten, die Treppe hinunter, die Treppe … die Treppe …

      „Guten Tag, Frau Winter! Ich bin Dr. Behringer. Sie sind im Klinikum in Weimar, auf der chirurgischen Station. Sie hatten einen Unfall, sind offensichtlich aus einer größeren Höhe gefallen und haben sich verletzt. Zeitweise waren Sie bewusstlos, deshalb haben wir Sie zunächst sehr gründlich untersucht. Um Sie gleich zu beruhigen – Sie haben Glück gehabt. Wir haben keine Kopfverletzung diagnostiziert, Schädeldecke und Wirbelsäule sind ohne Befund. Am Rücken haben Sie ein paar Prellungen, ein HWS-Syndrom und ich gehe von einer Gehirnerschütterung aus. Deshalb haben wir Kopf und Hals erst einmal ruhiggestellt.“

      „Und was ist mit meinem Arm?“ Alma versuchte, ihren linken Arm zu heben und hinzuzeigen, ließ ihn aber mit einem Schmerzenslaut wieder auf das Bett sinken.

      „Ja, Ihr linker Arm ist gebrochen. Glatter Bruch, ist versorgt, kein Problem. Heilt in acht Wochen. Frau Winter, wissen Sie, was passiert ist?“

      „Es ist mir eben wieder eingefallen. Ich muss die Treppe hinuntergefallen sein. Oder eher glaube ich, dass die Treppe eingebrochen ist, so etwas in der Art. Ich wollte mich festhalten, aber irgendwie war kein Halt zu finden. Daran erinnere ich mich. Und an die Sirene, sehr laut und nah …“

      „Das hört sich doch sehr gut an, also keine relevante Gedächtnislücke, Frau Winter. Nun lassen Sie Kopf und Hals ein paar Tage Ruhe, das geht am besten bei uns hier. Na, und den Bruch können Sie dann samt Verband mit nach Hause nehmen. Wir sehen uns heute Abend noch einmal.“

      „Ja, aber wie …“ Alma wollte noch etwas Wichtiges fragen, doch der Arzt war schon hinausgeeilt und hatte die Tür des Krankenzimmers fest hinter sich geschlossen.

      Nach Hause …? Zu Hause war sie in Berlin. Oder besser, sie wohnte dort. Hier war sie aber doch in Weimar. Plötzlich fiel ihr ein, was sie den Arzt fragen wollte. Wie in aller Welt war sie in den Krankenwagen gekommen?

      Sie war allein ins Torhaus gegangen, das wusste sie noch, hatte mit dem Schlüssel geöffnet, den ihr Benjamin Lenk im Anwaltsbüro zusammen mit einigen Papieren gegeben hatte. Sie könne ja am darauffolgenden Tag vor ihrer Abfahrt noch einmal ins Haus gehen und sich alles ganz genau und in Ruhe ansehen. Das hatte sie nach einem Frühstück am erfreulich reichhaltigen Büfett des Liszt-Hotels getan. Vorher hatte sie, rotweingestützt, gut im Hotelbett geschlafen und sich am Morgen frisch und unternehmungslustig gefühlt.

      Ihren Koffer hatte sie nach dem Auschecken im Hotel gelassen und war die wenigen Schritte