Das Torhaus. Helga Dreher

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Название Das Torhaus
Автор произведения Helga Dreher
Жанр Контркультура
Серия
Издательство Контркультура
Год выпуска 0
isbn 9783749722150



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in ein geräumiges Wohnzimmer gebeten, in dessen halbrundem Erker ein großer Tisch stand. Dort war die Kaffeetafel bereits gedeckt, mit feinem Geschirr aus Bone China auf einer alten Leinentischdecke, die einige sorgfältig geflickte Stellen hatte, was Alma überraschte und für die Hausherrin einnahm.

      Ihr wurde ein Platz am Tisch mit Blick zu den großen Erkerfenstern angeboten, der Anwalt entschuldigte sich und verschwand ebenfalls in Richtung Küche. Die Sonne schien inzwischen wieder zaghaft zwischen den Wolken hindurch, aber die Strahlen trafen schräg in eine Ecke des Erkers und störten nicht. Aus den Fenstern konnte sie in einen kleinen, etwas verwildert wirkenden Garten sehen.

      Sie schaute sich im Zimmer um. Es war sparsam möbliert, mit Schränken, die aussahen wie aus den fünfziger Jahren, einem eckigen Sofa mit passendem Sessel, davor ein Couchtisch mit spitz zulaufenden Füßen, auch ein wenig wie aus den Fünfzigern, auf einem Teppich in warmen Rottönen, der alt und teuer wirkte. In eine Wand war ein Kamin eingebaut, und daneben stand ein Sessel – dunkelgrünes Leder in braunen Holzschalen über einem Drehgestell aus Metall. Ein Designerstück, wusste Alma, und sie sah zum ersten Mal den berühmten Lounge Chair von Charles und Ray Eames nicht nur auf Fotos, sondern als wirkliches Möbelstück vor sich.

      Frau Rottloff – Alma hätte gern gewusst, ob die Dame des Hauses auch einen Titel vor ihrem Namen hatte – brachte den Kuchen zum Tisch und der Anwalt trug den Kaffee in einer Thermoskanne hinter ihr herein.

      Beim Kaffeetrinken wurde Alma über ihre ersten Eindrücke von Weimar befragt, der verletzte Arm wurde begutachtet und über überstandene Knochenbrüche in der Rottloffschen Familie berichtet. Frau Rottloff erzählte ein wenig vom Weimarer Alltag – die Theater- und Musikszene, Verkehrsprobleme, die Stadtverwaltung … Aber man lebe doch wunderbar in Weimar, so viel Geschichte und Kultur in solch kleiner Stadt, sie wären sehr stolz, obwohl sie eigentlich keine gebürtigen Weimarer seien, er aus Kahla, sie aus Steinach, hinter dem Wald, wie man in Thüringen sagt.

      Der Kuchen war gelungen und Alma aß mit Appetit. Frau Rottloff goss Kaffee nach und verabschiedete sich dann freundlich, da wären noch Einkäufe zu erledigen und Briefe wegzubringen.

      Dr. Rottloff schob seinen Kuchenteller zur Seite und schaute Alma an. „Sie möchten also etwas mehr über das Testament Ihres Onkels erfahren. Sie sind seine Großnichte, nicht wahr?

      „Ja, er war der Bruder meiner Oma, also der Onkel meiner Mutter. Aber für mich war er eben auch Onkel Ewald, wenigstens in meiner Kindheit. Später, nach dem Tod der Großeltern, bin ich ihm nicht mehr begegnet. Ich vermute aber, dass er meine Mutter später noch getroffen hat.“

      „Und Sie können sie nicht mehr fragen, ich weiß.“ Er lehnte sich zurück und schaute vor sich hin, so als suchte er etwas in seiner Erinnerung.

      „Ewald kam Anfang der neunziger Jahre zu mir, 1991, um korrekt zu sein. Er hatte meine Kanzlei nicht ohne Grund gewählt – er kannte mich.“ Der Anwalt lächelte ein wenig und fuhr fort, „Ewald Arnheim und ich sind nämlich gemeinsam zur Schule gegangen, sogar in die gleiche Klasse, von der Ersten bis zur Achten in die Volksschule in Kahla. Wir waren nicht direkt befreundet, wohnten aber nur eine Straße voneinander entfernt und trafen uns fast täglich auf dem Schulweg.“

      „Aber“, Alma schaute sich um, „Sie sind doch sicher aus wohlhabendem Elternhaus. Und das war mein Onkel nicht, soweit ich mich an Omas Erzählungen erinnere.“

      „Nein, und das war ich auch nicht. Unsere Väter haben beide in der Porzellanfabrik gearbeitet. Wir haben 1944 die Volksschule abgeschlossen. Mein Vater kam dann im Frühjahr fünfundvierzig verwundet aus dem Krieg zurück, Ewalds Vater, soweit ich mich erinnere, war in Stalingrad, ist entweder dort gefallen oder in der Gefangenschaft gestorben.“ Dr. Rottloff holte ein Fotoalbum, das in einem Regal lag.

      „Schauen Sie, das ist ein Klassenfoto, es muss etwa in der siebten oder achten Klasse gewesen sein. Hier ist Ihr Onkel, da oben bin ich – ich war immer der Größte. Langer Lulatsch hieß das damals, man war ja auch noch spindeldürr … Nicht zu vergleichen mit den Jungen heute, die sich schon mit vierzehn Muskelpakete antrainieren.“

      „Ein hübscher Junge, Onkel Ewald.“ Alma schaute lange auf das pfiffige Jungengesicht und die leicht herausfordernde Haltung, mit der Ewald in der ersten Reihe hockte.

      „Und nicht nur das. Ewald wusste immer, wo Barthel den Most holt, sozusagen. Heute würde man ihn clever nennen, oder, mit gutem Willen, smart. Weit genug ist er ja damit auch gekommen.“

      „Was war er eigentlich genau zu DDR-Zeiten? Irgendwie habe ich das nie richtig mitbekommen. Mein Opa hat immer über ihn geschimpft – alles Verbrecher, war sein ständiger Spruch – und Oma meinte, er wäre ein ‚hohes Tier‘. Meine Mutter wusste bestimmt mehr, aber, wie gesagt …“

      „So genau war mir das auch nicht bekannt. Ich wohnte damals in Weimar, und ein ‚hohes Tier‘ war Ewald ja in einem anderen Bezirk. Bezirksleitung der Partei, das war nicht wenig damals. Sein Arbeitsgebiet, so glaube ich mich zu erinnern, waren Kultur- und Kirchenfragen, beides zur gleichen Zeit oder nacheinander. Irgendwer hat mir einmal erzählt, der Arnheim könne reden wie ein Pfarrer.“

      „Und wie ist er dann zu Ihnen gekommen?“

      „Wie gesagt, es war nach der Wende, kurz nach der Wiedervereinigung. Ich hatte meine Anwaltskanzlei in Weimar unmittelbar vorher eröffnet, als selbstständiger Anwalt und Notar. Vorher arbeitete ich als Justitiar in einem großen Weimarer Betrieb. Nach dem Krieg konnte ich ja als Arbeiterkind die Oberschule besuchen und später Jura studieren. Kurzum, eines Tages stand mein Schulkamerad Ewald Arnheim in der Kanzlei. Er brauche meinen Rat. Und ein Testament wolle er machen. Ein Haus und Geldvermögen seien die Erbmasse. Seine Frau sei vor Kurzem verstorben – es war übrigens zu diesem Zeitpunkt bereits zwei Jahre her – und er wolle nun einen Erben bestimmen.

      „Und wer war das?“

      „Eine Erbin. Im Testament wurde Marlene Winter, wohnhaft in Neustadt, als Alleinerbin benannt.“

      Alma schluckte, schwieg aber.

      „Jahre später sprach er erneut vor. Das Testament müsse geändert werden. Nunmehr wurde Ihr Name eingetragen, der Text sollte im Wesentlichen unverändert bleiben.“

      „Ich habe davon nichts gewusst. Zu diesem Zeitpunkt war ich in Göttingen zum Studium.“

      Dr. Rottloff nickte. „Das ist als solches nichts Ungewöhnliches bei einem notariell hinterlegten Testament.“ Er räusperte sich und schaute sie nachdenklich an.

      „Aber?“

      „Nun …“, der Anwalt zögerte, fuhr dann aber fort, „nein, das ist an sich nicht ungewöhnlich.“

      Alma lehnte sich nach vorn und sah den Anwalt gespannt an. Als er schwieg, fragte sie: „Dr. Rottloff, wenn Sie sich erinnern: Erschien Ihnen damals die Angelegenheit als eine ganz gewöhnliche? Ein alter Schulkamerad, der zu einem ganz normalen Termin vorbeikommt, um ein ganz normales Testament zu machen?“ Sie besann sich, als sie bemerkte, dass ihre Frage einen eindringlichen, beinahe fordernden Tonfall angenommen hatte.

      „Bitte missverstehen Sie mich nicht, Dr. Rottloff. Ich bin überzeugt davon, dass – was das Testament betrifft – alles absolut korrekt in Ihrer Kanzlei abgewickelt worden ist. Ich zerbreche mir nur den Kopf …“, Alma suchte nach Worten, „… ich meine, es scheint sehr, sehr viel Geld zu sein, um das es hier geht. Und ein Haus, das eigentlich ein Denkmal ist und als Privatbesitz gar nicht so leicht vorstellbar … Also, ich verstehe davon nicht viel, aber …“ Alma hielt inne. Sie fand sich außerstande, ihre Unsicherheit und den nagenden Zweifel in die richtigen Worte zu fassen.

      Im Gesicht des Anwalts erschien jetzt ein vages Lächeln. „Frau Winter, ich kann mir sehr wohl vorstellen, was Sie umtreibt. Allerdings endet hier meine Möglichkeit, Ihnen behilflich zu sein.“ Er räusperte sich erneut. „Lassen Sie es mich so sagen: Das Haus war zum Zeitpunkt der Hinterlegung des Testaments definitiv im Besitz Ihres Großonkels. Alle Papiere, Grundbucheintragungen und Steuerunterlagen sind juristisch einwandfrei. Punkt.“

      Dr. Rottloff griff nach der Thermoskanne, warf Alma