Das Torhaus. Helga Dreher

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Название Das Torhaus
Автор произведения Helga Dreher
Жанр Контркультура
Серия
Издательство Контркультура
Год выпуска 0
isbn 9783749722150



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und sie möge doch, in Anbetracht des strahlenden Frühlingstages, einen Spaziergang an der frischen Luft in Betracht ziehen, vielleicht in den Park an der Ilm?

      Alma musste an sich halten, um nicht laut herauszulachen. Sie versprach ihr Bestes zu tun, und Herr Vollmer könne sie auf ihrem Handy und vielleicht im Ilmpark erreichen.

      An diesem Morgen fühlte sie sich ausgeruht und voller Energie. Beim Frühstück war ihr eingefallen, dass Sieglinde, Moni und möglicherweise auch Holger von ihr ein Lebenszeichen erwarteten, schließlich war sie seit Donnerstagmittag entlassen, und morgen war Samstag. Sie beschloss, auf dem Weg zum Park am Busbahnhofskiosk vorbeizugehen.

      Es war nach zehn und mehrere Busse standen an den Haltestellen. Einige Busfahrer hatten sich rauchend an einem ihrer Busse versammelt und unterhielten sich. Ihre potenziellen Fahrgäste saßen auf Bänken oder standen an den Zaun gelehnt, Einkaufstaschen und prall gefüllte Plastikbeutel neben sich auf dem Boden. Es waren überwiegend ältere Frauen, fast alle mehr oder weniger rundlicher Statur, die zu zweit oder dritt an einer der Haltestellensäulen warteten und sich angeregt unterhielten. Alma ging langsam die Hoffmannvon-Fallersleben-Straße entlang und an ihnen vorbei.

      Sie stellte sich vor, wohin sie fuhren – zurück in ihr Dorf, dort wären es von der Bushaltestelle wenige Schritte bis nach Hause. Unterwegs, auf der Hauptstraße, würden noch ein paar Worte mit Nachbarn oder Bekannten gewechselt, im Dorf kannte ja jeder jeden. Man würde erzählen, wo man gewesen war, wieder einmal beim Arzt, der Rücken, wird einfach nicht besser, aber man muss es aushalten, immer noch besser als Magdas Schicksal, so plötzlich gestorben, kurz vor ihrem Siebzigsten, was ihr Alfred jetzt macht ohne Frau, da kann man nur gespannt sein, aber warum soll er einem leidtun, hatten es ja immer gut, die Männer, soll er nun zusehen …

      Gut so, ihr Frauen, dachte Alma, tragt euren Männern ab und zu Blumen ans Grab, aber denkt jetzt an euch. Trefft euch zum Kaffeekränzchen oder zum Handarbeitsnachmittag im Klub der Landfrauen. Fahrt in die Stadt zum Einkaufen. Bucht fleißig Busfahrten, in die schönen Städte im Westen, die hat man ja alle ein Leben lang nicht sehen können, oder ins Ausland, Gardasee, Tirol, Salzburg. Warum nicht zur Kur, ist selbst mit kleiner Rente erschwinglich, wenn man nach Franzensbad fährt oder nach Ungarn zu den Thermalquellen.

      Alma dachte daran, wie sich Katherine über die Thüringer Prachtfrauen freuen würde. Wie sie an ihren Lippen hinge, wenn der Dorfklatsch langsam auf Touren käme, bis alles berichtet, vermutet, behauptet, bezweifelt, richtiggestellt, bekräftigt, bedauert und belacht war. Katherine selbst hatte immer mit Leidenschaft am Dorfklatsch teilgenommen. Sie war mit ihr, Alma, extra zu Mrs. Fenner in die High Street einkaufen gefahren, mit dem Fahrrad mehrmals in der Woche, statt das Auto zu nehmen und im großen Supermarkt alles auf einmal und billiger zu bekommen. Auch beim Fleischer, in Mr. Singhs Gemüseladen und bei Mrs. McGregor, wo es außer Büchern, Zeitungen, Postkarten und Süßigkeiten das Neueste aus der gehobeneren Gesellschaft gab, dem Women’s Institute oder dem Kirchenvorstand, verweilte Katherine lange und mit offenem Ohr für alles, was als neu, unerhört, unglaublich oder unmöglich beklatscht wurde. Sehr bald hatte Alma herausgefunden, dass Männer ebenso gern klatschten wie Frauen, nur anders, irgendwie immer mit implizitem Anspruch auf die Wahrheit, worüber Katherine, obwohl aufmerksamste und oft beifällig nickende Zuhörerin, später daheim sardonisch giftete und Almas englischen Wortschatz nicht selten mit unfeinen Vokabeln bereicherte.

      Alma war am Busbahnhofskiosk angelangt, wo Moni gerade Teller mit Bockwurst aus der Schalteröffnung reichte. Alma winkte und Moni wedelte zwischen zwei Männerköpfen heftig und einladend mit den Armen. Alma sah, dass gerade Hochbetrieb war. Sie schaute sich für einen Moment unschlüssig um, stellte dann ihren Rucksack an die Hausmauer und räumte kurz entschlossen das benutzte Geschirr von den Tischen, reichte es Moni durch den Schalter und ließ sich einen Wischlappen geben.

      Inzwischen hatten neue Gäste an den sauberen Tischen Platz genommen und gaben bei Alma ihre Bestellung auf. Alma, obwohl überrascht, versuchte sich dennoch zu merken, was an jeden der zwei besetzten Tische sollte, und gab es an Moni weiter. Die stellte inzwischen weitere Teller auf den Schalter. „Bockwurst Mayo für Jochen! Mirko! Pott Kaffee und Soljanka für dich. Was ist, Manni, hast du dich entschieden oder sollen wir dir eine Speisekarte drucken?“ Sie lachte Alma zu und zeigte mit einer Handbewegung, dass sie ihre Bestellung für die Tische verstanden hatte. „Kaffee und Cola kommen sofort. Sag Bescheid, dass die Würstchen ein paar Minuten brauchen.“

      Alma ging zurück zu den Tischen, jetzt gelassener und mit dem, was sie für eine professionelle Kellnerinnenhaltung hielt, und übermittelte die Nachricht. Nach wenigen Minuten hatte sie Getränke und Essen mit ihrem gesunden Arm vom Schalter an die Tische getragen und den Gästen einen guten Appetit gewünscht.

      Als sie zurück zum Schalter kam, stand dort kein Kunde mehr und Moni schaute lachend heraus. „Na, Mädel, gut gemacht, die Leute durften sich kurzzeitig wie im Restaurant fühlen! Es ist zu komisch hier, den einen Moment überschlägt sich alles und dann ist plötzlich Ruhe, oft aber wieder die Ruhe vor dem Sturm.“ Sie rief nach hinten, „Holger, einen Cappuccino für Alma, und gib mal Laut, was das Spezi von heute ist!“ Moni machte eine Kopfbewegung zum dritten Tisch, an dem ein grauhaariger Herr in sandfarbener knittriger Leinenjacke und dunkelroter Fliege Platz genommen hatte. „Bleib hier, ich bring das mal auf den Weg.“ Sie sprach kurz mit Holger und kam nach draußen. Dann ging sie zu dem Gast, den Alma insgeheim schon „Professor“ betitelt hatte, und unterhielt sich angeregt mit ihm.

      Holger kam zum Schalter und begrüßte Alma herzlich. „Ein bisschen blass um die Nase sehen Sie noch aus, aber zum Glück ist ja alles gut gegangen.“ Alma wollte gerade protestieren, da rief Moni von hinten: „Jetzt siezt euch nicht noch! Holger, wo du doch Alma beinahe Mund zu Mund beatmet hättest, wenn dich Bernd gelassen hätte.“

      Der Koch wurde ein wenig rot und Alma lächelte. „Also, ich bin Alma. Danke, Holger, dass ihr meine Lebensretter wart. Ist denn besagter Bernd auch irgendwann zu sprechen?“

      Holger schüttelte den Kopf. „Also, so ganz genau kennen Moni und ich ja den Dienstplan der Busgesellschaften nicht. Aber wie Moni sagt, bist du ja jetzt öfter hier, dann triffst du Bernd auf jeden Fall früher oder später.“ Er machte eine Bewegung mit dem Daumen zum Torhaus auf der anderen Straßenseite. „Die zerbrochene Fensterscheibe ist gleich am Dienstagnachmittag noch repariert worden. Der BMW-Fahrer war hier und hat die Handwerker hineingelassen.“

      Dann sah er Moni fragend an. „Das Spezi?“ „Ja, und ein Glas Roten dazu, da haben wir mal wieder einen Genießer zu Gast.“

      Alma beobachtete durch die Schalteröffnung, wie Holger verschiedene Salatblätter auf einem Teller anordnete und nebenbei Öl in einer Pfanne erhitzte. Er nahm etwas aus dem Kühlschrank und legte mehrere Teile in das brutzelnde Öl. Nach wenigen Augenblicken verbreitete sich ein köstlicher Duft.

      Auf Almas fragenden Blick sagte Holger: „Rosa gebratene Entenbrust mit Orangensoße an buntem Salat. Die Soße muss noch ein wenig erwärmt werden, das schmeckt einfach intensiver. Überhaupt finde ich, dass etwas Warmes immer gut zu Salat passt, verträgt der Magen auch besser.“ Er stellte den fertigen Teller auf den Schalter. „Ich mach dir das dann auch, Alma, aber trink erst mal deinen Kaffee, ist ja noch früh am Tag.“

      In Almas Rucksack neben ihren Füßen klingelte das Handy. Sie kramte es heraus, drückte die Empfangstaste und hörte einen Moment zu. „Heute Nachmittag schon? Das ist ja wunderbar! Drei Uhr passt, natürlich. Wie war die Anschrift? Freiherrvon-Stein-Allee. Nummer 46. Ich denke, das finde ich, eine Allee kann ja nicht so versteckt sein. Doch? Gut, ich besorge mir einen Stadtplan, den brauche ich ohnehin, ich möchte mich ja orientieren können. Bitte sagen Sie Dr. Rottloff meinen herzlichen Dank! Und ein schönes Wochenende. Ja, danke, das werde ich.“

      „Freiherrvon-Stein-Allee 46, Freiherrvon-Stein-Allee 46 …“ Alma kramte in ihrem Rucksack, sah aber, dass ihr Moni ihren kleinen Schreibblock und einen Stift reichte. „Mach das mit dem Stadtplan, Weimar ist zwar nicht groß, aber insgesamt ein bisschen unübersichtlich. Und dann die vielen klassischen Straßennamen, da verwechselt man schon mal was. Erst wenn du dich hier eingelebt hast, merkst du, dass es nicht so schwer ist. Da gibt es zum Beispiel das Musikerviertel, das Dichterviertel – kriegst du schon alles