Great again?. Julia Kastein

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Название Great again?
Автор произведения Julia Kastein
Жанр Книги о Путешествиях
Серия
Издательство Книги о Путешествиях
Год выпуска 0
isbn 9783963114908



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gegen Trump auf den Weg bringt. In demonstrativer Geringschätzung seiner Ankläger verbringt der Präsident den Abend lieber dort, wo man ihn feiert und wo man bedingungslos zu ihm steht: auf einer »Rally«, einer seiner berüchtigten Wahlkampfveranstaltungen. Dieses Mal in einer Kleinstadt im Bundesstaat Michigan, deren Name passender nicht sein könnte für diesen historischen Abend: Battle Creek. Trump redet sich in Rage, teilt aus, zieht alle Register seiner Reality-TV-geschulten Entertainer-Kunst. Die Menge johlt. Trump ist in seinem Element. Alles ist so, wie er es mag. Hier kann er genüsslich austeilen gegen die »Enemies of the people«; Feinde des Volkes, so nennt dieser Präsident die Medien. Die Lügenpresse, die ihm nicht ausreichend huldigt. Immer wieder im Verlauf seiner Ansprache hetzt Trump gegen die anwesenden Journalisten, die am hinteren Ende der Halle in einem abgesperrten Bereich hinter Metallzäunen eingepfercht sind. Jedes Mal, wenn Trump zur Medienschelte ausholt, drehen sich 5 000 Menschen um, blicken feindselig zum Medienpferch, schreien: »Buh!«, »Fuck off!«, und drohen mit dem Stinkefinger.

      Es ist kalt auf den Straßen von Battle Creek, Michigan, bitter kalt. Es ist kurz vor Weihnachten und man sollte meinen, dass sich die Einwohner der 50 000-Einwohner-Stadt in einer Dezembernacht wie dieser zu Hause einmummeln. Doch 20 000 Menschen haben sich aus nah und fern auf den Weg gemacht zur »Kellogg Arena«, der größten Veranstaltungshalle weit und breit. Alles ist Kellogg in Battle Creek. Der Cornflakes-Hersteller ist der größte Arbeitgeber weit und breit. Und Kultursponsor. In der »Kellogg Arena« treten sonst Def Leppard, Fleetwood Mac oder Kiss auf. Und hier finden Basketball- und Eishockeyspiele statt. Die heutige Attraktion toppt alle anderen: »Ist ein Trump-Wahlkampfauftritt nicht der großartigste Ort, auf dem man auf Erden sein kann?«, fragt der Präsident die Teilnehmer von Battle Creek. Tausende Neugierige sind an diesem Dezemberabend gekommen, um die Trump-Show zu sehen. Die Allermeisten sind trotz stundenlangen Anstehens nicht in die Halle gekommen. Erstaunlich viele bleiben trotz der Eiseskälte. Der Auftritt wird vor den Arena-Toren auf Großbildleinwände übertragen.

      Obwohl ich zu den »very, very dishonest people« (Trump über Berichterstatter, die kein Dauerloblied auf ihn singen) gehöre, genieße ich das Privileg eines separaten Presseeingangs, was mir das Bibbern in der Adventsnacht erspart. In der Halle, kurz bevor Trump unter tosendem Beifall den Saal betritt, stehle ich mich aus dem Pressepferch hinaus und mische mich unter die Teilnehmer. Tippelschritt für Tippelschritt arbeite ich mich vor in Richtung Rednerpult. Um mir die volle Dröhnung der Trump-Performance abzuholen. Um mich zwischen die Hardcore-Fans zu mogeln, die es zu Füßen ihres Idols geschafft haben. Mit ihnen, die den New Yorker Immobilienhai ins Weiße Haus gebracht haben, möchte ich ins Gespräch kommen.

      Doch kaum habe ich mein Mikrofon gezückt, da taucht wie aus dem Nichts ein Secret-Service-Mann auf. »Sir, Sie müssen hier weg«, sagt er, »Sie dürfen den Pressebereich nicht verlassen!« Ich protestiere, halte dem Mann entgegen, dass ich nur hier, wo die Fans sind, meinen Job machen kann. Doch er bleibt unerbittlich. »Sir, es ist zu Ihrem eigenen Wohl!« Zunächst bin ich sauer. Was fällt ihm ein, mich bei der Recherche zu behindern? Es reizt mich, ihm einen Vortrag über Pressefreiheit und Demokratie zu halten. Doch das verkneife ich mir dann. Kurze Zeit später ereilt mich dann der Gedanke, dass der Sicherheitsmann vielleicht recht haben könnte. Dann nämlich, als der Präsident seinem Wutausbruch gegen meinen Berufsstand freien Lauf lässt. Ich hatte diese Tiraden vorher schon im Fernsehen gesehen. Und Trumps Formulierungen, seine Stanzen sind ja immer dieselben. Aber unmittelbar dabei zu sein, die ganze Wucht der Aggression frontal abzukriegen, das ist ein ganz anderer Schnack. Über 5 000 Augenpaare, die dich hasserfüllt anstarren. Der ohrenbetäubende Lärm der Buhrufe. Der Hass, den dieser Präsident schürt, ist auch ohne direkten Körperkontakt physisch spürbar. Auf einmal bin ich dankbar für den hüfthohen Aluminiumzaun, der mich von der wütenden Menge trennt. Der erinnert mich an Haikäfige, die Taucher schützen vor tödlichen Raubfischattacken. Womöglich sind die Personenschützer Trumps, die unzählige Mal dabei waren, wenn der Präsident die Massen gegen anwesende Journalisten aufhetzte, tatsächlich ernsthaft besorgt, dass es irgendwann nicht bei Beschimpfungen bleiben könnte. Sondern dass sich Trump-Anhänger bemüßigt fühlen, das Unrecht, das ihrem Idol durch feindselige Berichterstattung widerfährt, auf handgreifliche Weise zu sühnen.

      Feindseligkeit gegenüber Journalisten war mir auch vor Battle Creek begegnet. Dafür muss man dieser Tage nicht mehr über antidemokratische Regime schreiben oder sich mit Diktatoren anlegen. In den Jahren vor der Rückkehr in die USA hatte ich mich als Reporter mit dem Themenkomplex Rechtspopulismus, AfD, Pegida und auch Rechtsterrorismus beschäftigt. Mein Berufsstand ist nicht gerade populär bei den Neuen Rechten. »Lügenpresse, Lügenpresse« – das Geschrei kenne ich von ostdeutschen Marktplätzen und vor allem von Dresdener Demonstranten. Bei einem Pegida-Aufmarsch auf der Dresdener »Cockerwiese« musste ich erleben, was Sportreportern gelegentlich von ultragewalttätigen Hooligans widerfährt: Das sogenannte Ü-Wagen-Schütteln. Der verharmlosende Begriff meint tätliche Angriffe auf Übertragungswagen. Das Demolieren der Fahrzeuge, aber auch physische Angriffe auf Tontechniker und Reporter. An jenem Abend in Dresden hatten uns äußerst aggressive Pegidisten umzingelt. Hatten versucht, unser Fahrzeug umzuwerfen. Hatten uns Prügel angedroht. In den USA habe ich Handgreiflichkeiten zwischen Trump-Anhängern und Journalisten nie erlebt. Auch nicht davon gehört. Aber es sagt viel aus über eine Gesellschaft, wenn nicht ein Freizeitagitator wie Lutz Bachmann in Dresden seine Anhänger gegen Reporter aufhetzt, sondern der Präsident der Vereinigten Staaten das tut. Wie in Battle Creek. Fühlt sich nicht gut an.

      Auf der Trump-Rally in Battle Creek habe ich es nur kurz im sicheren Journalistengehege ausgehalten. Schließlich war ich hierhergereist, um mit Anhängern des polarisierenden Präsidenten ins Gespräch zu kommen. Ging nicht in der Halle, geht vielleicht außerhalb, in den Gängen mit den Bierständen und den Souvenirbuden. Das ist einen Versuch wert: Hier müssen die Menschen Schlange stehen, hier müssen sie Zeit totschlagen und hier würden sie vielleicht erfreut sein über eine kleine Abwechslung. Ich stelle mich also bei den Wartenden als Reporter aus Deutschland vor. »Ach, von so weit sind Sie gekommen?« – »Nein, nein, ich bin ja als USA-Korrespondent in DC stationiert.« – »Ach so …«

      Zunächst komme ich mit Christin ins Gespräch. Die Mittvierzigerin ist extra aus dem Nachbarstaat Indiana angereist. »Ich liebe ihn!«, sagt Christin über Trump, »weil er den Sumpf trockenlegt. Nicht nur zum Wohle Amerikas, sondern für die ganze Welt!« Den Sumpf trockenlegen: »Drain the Swamp!« Das hört man immer wieder, wenn außerhalb von Washington DC die Rede auf Politik kommt. »The Swamp«, der Sumpf, das ist das faulige, modrige Politmilieu. Der »Deep State«: eine Verschwörung aus korrupten Bürokraten, die sich seit Jahr und Tag auf Kosten des übrigen Amerikas bereichern. Die nicht das Allgemeinwohl im Sinne haben, sondern ausschließlich ihre eigenes und das ihrer Subkultur. Elitär sind die, und Globalisten, keine Patrioten. »Globalist elitists« – das ist unter Trump-Anhängern das vernichtendste Schimpfwort. Sogar noch vor Fake News. Den »globalistischen Eliten« hat Trump, der politische Quereinsteiger, den Kampf angesagt: »Drain the Swamp!« Und wie recht er damit hat, zeige sich am erbitterten Widerstand des »Deep State«, findet Christin. Die Demokraten seien die Partei der elitären Globalisten. Elitär, weil sie auf Leute wie Christin herunterblicken. Globalisten, weil sie an der Globalisierung verdienen, während Leute wie Christin ihre Jobs verlieren. Trump hole die Jobs zurück nach Amerika. Deshalb wollten die Globalisten ihn vernichten. »Was mich am meisten stört, was mich mehr als alles andere wütend macht«, sagt Christin, »ist, dass die unseren Präsidenten als russischen Spion anklagen wollten, wegen Hochverrats!« Gemeint ist die Untersuchung wegen angeblicher russischer Wahlmanipulation zugunsten Trumps. »How dare they?«, fragt Christin an die Adresse von Trumps Widersachern, »how dare they?« Eine bewusste Anspielung auf die berühmte Greta-Thunberg-Phrase. »Wir sind wütender denn je!«, sagt sie. Wie Greta.

      Ein älterer Herr, ein paar Schritte weiter, hat weniger Schaum vor dem Mund als Christin. »Gegen Erfolg lässt sich schlecht argumentieren«, sagt er mir. Gemeint ist Trumps Wirtschaftsbilanz. Das Jobwunder, das Amerika unter diesem Präsidenten erlebt hat. Die Corona-Krise ist zu diesem Zeitpunkt noch lange nicht abzusehen. Weiter hinten in der Schlange steht ein jüngerer Mann. »Das ist der am härtesten arbeitende Präsident aller Zeiten«, schwärmt er. »Eine ehrliche Haut!« Ehrlich? Wirklich? Ausgerechnet Trump, der sich die Realität so gerne zu seinen Gunsten zurechtbiegt? »Der macht aus seinem