De Temps en Temps. Jacqueline Hoffmann

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Название De Temps en Temps
Автор произведения Jacqueline Hoffmann
Жанр Контркультура
Серия
Издательство Контркультура
Год выпуска 0
isbn 9783962298654



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hingezogen fühlte. Schon als kleines Kind verspürte sie Heimweh nach Frankreich, dabei war sie noch nie dort gewesen. Bis sie mit Anfang 20 das erste Mal arbeitsbedingt dort war. Sofort fühlte sie sich angekommen und zuhause. Ihr kam alles so vertraut und bekannt vor. Sie wollte am liebsten nie wieder zurück nach Deutschland. Doch das konnte sie nicht tun. Zum einen sprach sie kein Wort Französisch und zum anderen würde sie ihre Eltern und am meisten Anna schrecklich vermissen. Das Gefühl des Heimwehs nach Frankreich und dieser Sehnsuchtsschmerz nach Finn Martinez, veranlasste sie, sich dann mit dem Unmöglichen auseinanderzusetzen: Reinkarnation, Wiedergeburt, Seelenwanderung. Es gab so viele Bezeichnung, für das, an was Aurelie nicht glauben wollte. Und was auch weit über ihrer Vorstellungskraft lag.

      Doch wie waren all die Gefühle und Gedanken sonst zu erklären? Dazu kam immer dieser Traum. Der Traum, in dem sie Nacht für Nacht starb. Die Träume begannen, kurz nachdem sie Finn das erste Mal im Radio gehört hatte. Seitdem kamen sie fast jede Nacht und ließen ihr keine Ruhe mehr. Wie also sollte all dies, was in ihrem Leben in den letzten Jahren passierte, sonst zu erklären sein? Auch wenn sie es nicht wahrhaben wollte, aber sie musste sich mit dem Unmöglichen auseinandersetzen. Und es sollte ihr Leben für immer verändern …

      1

      Heute ist Aurelie 30 Jahre alt, gelernte Restaurantfachfrau, Wein-Sommelière und sie darf ein kleines Café ihr Eigen nennen. Ihr langes dunkelbraunes Haar trägt sie am liebsten zu einem einfachen Zopf zusammengebunden. In ihrer normalen weiblichen Figur fühlt sich oft wohl, außer wenn sie ihre zwei Jahre jüngere Schwester Anna in tollen Outfits sieht. Diese würden Aurelie vermeintlich nie so gut stehen wie Anna. In diesen Momenten ist sie dann doch manchmal etwas eifersüchtig auf die Figur ihrer Schwester. Aurelie lebt mit Anna zusammen in einer kleinen 3-Zimmer-Wohnung und hat eine dicke Glückskatze namens Maja.

      Alles wäre perfekt, wenn da nur nicht immer diese Sehnsucht wäre, die sie sich nicht erklären konnte … Die Sonne schien Aurelie ins Gesicht und weckte sie. Da sprang auch Maja zu ihr ins Bett. „Guten Morgen Maja. Scheinbar hat wenigstens eine von uns die Nacht gut geschlafen.“ Sie setzte sich im Bett auf und begann, Maja zu streicheln. „Ich hatte wieder diesen Traum, Maja. Ich weiß immer noch nicht, was er bedeuten soll. Es ist, als ob mich jemand ruft. Nur verstehe ich nicht, warum ich am Ende immer sterbe. Wenn ich nur mit jemandem darüber reden könnte.“ Aurelie wurde nachdenklich.

      Sie knuddelte ihre Katze noch einmal und stand dann auf. „Guten Morgen, Anna“, begrüßte sie ihre Schwester, als sie in die Küche kam. Die Küche war nicht besonders groß, eher schlauchförmig. Sodass gerade eine Küchenzeile auf die linke Seite des Raumes passte und gegenüber noch ein kleiner Tisch mit zwei Stühlen Platz fand. Ihre Schwester sah um diese Uhrzeit schon wieder viel zu gut aus. Sie hatte die langen blonden Haare zu einer tollen Frisur nach oben gesteckt, wodurch ihre blauen Augen noch mehr zur Geltung kamen, und sie trug eine Skinny Jeans und ihr schwarzes Kellner-T-Shirt aus Aurelies Café. Es stand ihr. Anna sah so unverschämt gut in den Sachen aus. Aurelie dagegen hatte sich eine bequeme Jeans und ihre Café-T-Shirt angezogen. Ihre Haare trug sie zu einem einfachen Knoten zusammengebunden. Gedankenversunken schenkte sich Aurelie den ersten, so wichtigen Kaffee des Tages ein. „Alles okay bei dir?“, fragte Anna, die bemerkt hatte, dass ihre Schwester etwas belastete. „Alles gut. Ich hatte nur wieder einen schlechten Traum.“

      „Die hast du aber in letzter Zeit ziemlich häufig. Vielleicht solltest du mal mit einem Arzt reden.“

      „Willst du mir jetzt sagen, ich soll zum Psychologen? Ich bin gesund. Es ist alles okay. Es sind nur Träume, Anna“, antwortete Aurelie ihr etwas gereizt. „Ja, aber Träume, die dich schon eine Weile quälen. Dein Unterbewusstsein will dir etwas sagen und du musst es zulassen. Ich glaube dir auch nicht, dass du die Träume erst seit ein paar Monaten hast, wie du mir versuchst weiszumachen. Ich bin nicht blind, Aurelie. Du bist seit Jahren so komisch am Morgen und willst mir erzählen, dass es erst seit einigen Monaten so ist?“ Aurelie schüttete ihren Kaffee in den Abguss und stellte die blaue Tasse in die Spüle. „Es ist gut, Anna. Ich bin nicht verrückt und es ist nur ein Traum. Er will mir nichts sagen und bedeutet auch nichts.“ Sie machte eine Pause und versuchte, wieder etwas freundlicher zu klingen.

      „Und jetzt komm bitte, ich möchte das Café heute pünktlich öffnen.“ Dann verließ sie die Küche.

      Sie wollte weg von Anna. Sie wollte nicht mit ihr darüber sprechen und erst recht nicht mit einem Psychologen. Sie ist doch nicht verrückt. Und ein Traum ruft nicht nach einem und er will dir auch nichts sagen. Träume sind nichts weiter als nächtliche Streiche des Gehirns. Dinge, die man sich vielleicht wünscht, aber niemals etwas Unerklärliches. Aber wie sollte sie sich dann nur all die Gefühle der letzten Jahre erklären? Egal. Nicht daran denken. Es gab Wichtigeres, als irgendwelchen Hirngespinsten hinterherzulaufen. Und was wusste Anna schon von ihren Träumen oder Gefühlen. Nichts wusste sie. Gar nichts.

      Da Aurelie sie seit Jahren aussperrte, sie nicht an ihren Gedanken oder an ihren Leiden teilhaben ließ. Warum auch, sie war ja schließlich die große Schwester. Sie musste für Anna da sein und sie beschützen, nicht umgekehrt. Wenige Minuten später parkte Aurelie ihren kleinen blauen Wagen vor dem Café und begann, die Sachen, die sie im Großmarkt geholt hatte, auszuräumen. Da wird sie von einer älteren Dame angesprochen. „Guten Tag Aurelie. Ich habe dich ja schon lange nicht mehr gesehen.“

      „Oh, Guten Tag Frau Meier.“ Die Dame hatte graues, gelocktes Haar und grüne Augen. Sie trug eine beigefarbene Bluse mit Rosenblütenaufdruck und eine blaue Stoffhose. Und ihr wichtigstes Accessoire, ein sehr liebenswertes, freundliches und warmes Lächeln. Aurelies Blick wanderte zu dem kleinen weißbraunen Jack Russel auf dem Arm der Damen. „Was hat denn ihr kleiner Max? Geht es ihm nicht gut?“ Mit trauriger Stimme antwortete ihr Frau Meier: „Nein, leider geht es ihm gar nicht gut. Er frisst nicht mehr und hat Schmerzen. Ich bin wieder auf dem Weg zur Tierärztin, aber ich denke, sie wird ihm nicht mehr helfen können.“ Dann bricht Frau Meier die Stimme weg. Aurelie reicht ihr ein Taschentuch. „Danke, Kindchen. Ich will dich gar nicht länger aufhalten. Manchmal tut es aber einfach nur gut zu reden. Dann fühlt sich der Schmerz oft nicht mehr so schlimm an und er wird leichter und verkraftbarer.“

      Sie verabschiedete sich und ging. Aurelie aber schaute ihr noch eine Weile lang nach und war in Gedanken versunken, als Anna sie vom Türrahmen aus ansprach. „Kommst du jetzt rein oder willst du da Wurzeln schlagen? Die Kaffeemaschine spinnt auch schon wieder.“

      „Ja, ich komme. Hilfst du mir noch beim Reintragen?“ Den ganzen Tag über kreisten nun Aurelies Gedanken um die Worte der alten Damen. Wie sollte sie Anna von ihrem Traum erzählen und davon, was sie für eine schreckliche Sehnsucht nach einem Toten hatte? Das klang doch krank! Anna würde sie bestimmt gleich einweisen lassen. Und wie sollte sie es ihr überhaupt sagen? Hallo Anna, ich glaube, ein Toter versucht, mich zu rufen oder mir etwas zu sagen? Allein bei dem Gedanken, es ihr zu sagen, wurde ihr schlecht. Egal, für was sie sich entschied, am Ende stand eines fest, wenn sie nicht bald eine Lösung finden würde, würde sie durchdrehen.

      Am Abend schloss sie das Café ab und setzte sich in ihr Auto. Aurelie atmete tief durch und startete dann den Wagen. Sofort sprang auch die CD an, welche sich im Radio befand. Da erklang sie wieder, seine Stimme. Sofort war wieder dieses Gefühl von Sehnsucht und Heimweh in ihrer Brust zu spüren. Sie atmete noch einmal tief durch, machte den Rückwärtsgang rein und fuhr nach Hause.

      2

      Zuhause wurde sie von Maja begrüßt, die sich ihrem Frauchen um die Beine schmiegte und dabei laut schnurrte. „Na du, hast du mich vermisst?“ Sie zog die dünne graue Jacke aus, legte die Tasche und Autoschlüssel ab und ging in die Küche, um Maja ihr Futter zu geben. Da hörte sie Anna laut fluchen, die auch kurz darauf wutentbrannt in die Küche kam. „Kannst du mir sagen, wo unsere Heißklebepistole ist? Ich geh doch morgen Abend zu einem Geburtstag und beim Geschenkeinpacken ist es mir gerade runtergefallen. Und natürlich ist ein Stück abgebrochen.“

      „Die müsste in der Stube sein. In dem kleinen Schrank unterm Fenster.“

      „Danke.“