Vom Wind Verwehte: Aussteiger unter Segeln. Udo Hinnerkopf

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Название Vom Wind Verwehte: Aussteiger unter Segeln
Автор произведения Udo Hinnerkopf
Жанр Контркультура
Серия
Издательство Контркультура
Год выпуска 0
isbn 9783898019040



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einzusteigen und auf dem Schiff zu leben. »Charter«, sagte er, »da wachsen die Bäume noch in den Himmel.« Mit von der Partie war Bryan, ein Schotte aus Aberdeen. Gemeinsam fingen die Freunde an, alles rauszureißen – ein Fischkutter stinkt nun mal nach Fisch – und von innen nach außen neu auf- und umzubauen. Nur Rumpf, Deck und Maschine blieben. Heinz war da unerbittlich. Was er anpackte, machte er gründlich. Er hatte auch die größere Erfahrung und den größeren Ehrgeiz. Er war schon um die halbe Welt gesegelt. Fast siebzigtausend D-Mark steckten sie in den Bau. Nicht auf einmal, drei Jahre dauerte das, die Eigenarbeit nicht mit eingerechnet. Im Herbst des dritten Jahres waren sie fertig.

      Eine schöne Ketsch lag an der Pier, von dem groben Fischerkutter war nicht mehr viel zu sehen und zu riechen. Weiß wie ein Schwan, mit einem blauen Band um den Rumpf, langem Bugspriet, kräftigem Rigg und komfortabler Einrichtung. Die beiden Freunde hatten auf vieles verzichtet und auch die Freundschaft hatte einiges aushalten müssen. Aber das fertige Schiff entschädigte sie – zunächst. Im Oktober segelten sie durch die Biskaya nach Gibraltar.

      Dort scheiterte das Unternehmen. Nicht an Klippen und Riffen. Sondern an den menschlichen Schwächen der beiden Unternehmer. Eine kleine Meinungsverschiedenheit ließ den Funken überspringen. Das Pulverfass stand dicht dabei, bis obenhin vollgestopft mit Versäumnissen, Ärgernissen, Sticheleien und Herabsetzungen. Die hatten sie lange ausgehalten und runtergeschluckt, dem gemeinsamen Traum zuliebe. Doch nun explodierte das Fass. Bryan, jähzornig und nicht gerade zimperlich, griff sich die größte Pfanne aus der Pantry und haute sie Heinz auf den Kopf. Dann rannte er in die »Waffenkammer«, packte die Schrotflinte und schrie: »I kill the bastard!«

      Heinz floh mit einer dicken Beule am Kopf, erwischte draußen einen Bobby, ließ sich in Schutzhaft nehmen – und überlebte. Am nächsten Tag kam Bryan mit einer weißen Fahne an. Sie konnten sich arrangieren. Doch die Freundschaft war dahin. Drei Jahre gemeinsame Arbeit, gemeinsamer Traum … und dann solch ein Ende.

      Ein trauriger Winter begann. Sie lebten weiterhin zusammen auf dem Schiff, einer im Bug, der andere achtern. Und gingen sich aus dem Weg.

      Anzeigen wurden aufgegeben, Schiffsmakler kamen, die Columbus lag zum Verkauf an der Pier. Mitte Juli tauchte ein Holländer auf, den Sack voller Geld. Der träumte von einem besseren Leben in der Karibik und kaufte die Columbus. Heinz und Bryan teilten fifty-fifty und trennten sich.

      Mitseglerin Ursula und ich erlebten den Eignerwechsel aus nächster Nähe. Schwarz-rot-gold sank (das Schiff war auf Heinz’ Namen zugelassen) und die neue Flagge Blau-weiß-rot-Karo mit zwei Sternchen (Panama) stieg empor. Steuerparadies – na bitte!

      Zur Zeit der Übergabe kannten wir Heinz noch nicht, lernten ihn aber kurz darauf als einen hilfsbereiten Menschen kennen. Auf der Suche nach seinem nächsten Schiff trafen wir ihn und Gitta, seine blonde Freundin, im Hafen von Estepona, dem ersten spanischen Port of Entry nach Gibraltar. Sie waren mit einem umgebauten englischen Krankenauto als Wohnmobil unterwegs und kutschierten damit durch Südspanien – auf der Suche nach einem neuen, alten Schiff. Mit sich selbst war Heinz im Reinen »Es ist besser so«, sagte er und schmunzelte. »Partnerschaft und Schiff, das geht nur mit Gitta gut, und mit sonst niemand.«

      Heinz und Gitta auf der Suche nach einem neuen Schiff

      Gitta saß lächelnd neben ihm. Sie gefiel uns nicht nur als sein blonder Engel, sondern auch als seine Stimme der Vernunft. »Wir werden wieder ein Schiff haben«, sagte sie mit fester Stimme, »ein großes natürlich, mit Partner, ja – mit mir!«, sie lachte laut auf. »Heinz hat schon ein Schmuckstück im Visier, eine alte englische Kutteryacht, über 20 Meter lang – mit Badewanne und Klavier …«

      Heinz grinste: »Man kommt schließlich in die Jahre, wo Komfort und Muse wichtig werden.«

      08. Estepona

       Aufgeschrieben von Ursula. Hier erzählt sie, wie wir beide Heinz und Gitta von der Columbus kennengelernt haben.

      Kurz vor der Hafeneinfahrt machte der Kapitän den Anker klar. Vor der Mole stand leichter Schwell, im Hafen selbst war das Wasser ruhig. Ein Blick in die Runde ließ uns rasch den geeigneten Anlegeplatz finden. Am äußersten Ende der Mole zwischen einem kleinen Fischerboot und einem robusten, bunt bemalten portugiesischen Flusssegler, auf dem, wie sich herausstellte, ein ebenso buntes Völkchen ein buntes Leben führte. Ich bekam noch ein paar kurze Anweisungen: Rückwärts, ganz langsam, in die Lücke!

      Inzwischen wusste ich, dass ich dabei die Pinne entgegengesetzt zur Vorwärtsfahrt halten musste. El Capitano stand am Bug, bereit zur letzten seemännischen Tat des Tages. Im rechten Moment klatschte der Stockanker ins Wasser, die Kette rasselte hinterher. Auf der Pier standen bereits zwei hilfreiche Hände – die gehörten Heinz von der Columbus aus Gibraltar. Er nahm die vom zurückgesprinteten Skipper hinübergeworfene Heckleine in Empfang und belegte sie an einem Eisenring.

      Ich hüpfte zum Bug, um die Ankerkette durchzuholen. Doch ich holte und holte, einen Meter nach dem anderen, der Anker fasste nicht! Das Boot trieb langsam, vom Wind gedrückt, auf die »Bunte« zu und bummste achtern an die Pier – hätten die zwei hilfreichen Hände nicht auch zwei hilfreiche Füße gehabt, die sich kräftig gegen die stabile Holzreling stemmten und den Rumms erfolgreich verhinderten.

      Inzwischen hatte sich eine stattliche Anzahl Zuschauer versammelt, unter ihnen der Polizei-Offizier mit seinem »Woher-wohin-wie-lang-wie-breit«-Papier. Auch auf der »Bunten« waren plötzlich Leute erschienen. Aber ich hatte schon abgefendert.

      Nun musste schnell gehandelt und das Manöver wiederholt werden. Sehr umsichtig, wie es zunächst schien, ließ der Skipper sein Schiff an der Heckleine befestigt, gab aber viel Lose, damit sie bis zum Ende auslaufen konnte. Ich stand wieder an der Pinne, er vorne am Anker. Langsam vorwärts! Er winschte die Kette ein, hatte den Anker halb oben, da – ein Ruck! – und das Boot drehte, achtern gestoppt durch die stramm ausgelaufene Heckleine, quer in die Lücke. Das Heck schob sich zwischen Pier und das kleine Fischerboot, unser Bugspriet ragte der »Bunten« über die Reling. Die gesamte Lücke war ausgefüllt, kein Zentimeter Platz mehr, weder vorne noch achtern. Der Wind hatte geholfen, aber mit der fixierten Leine hatte es angefangen. Hallo Capitano!

      Rufe, Warnungen, Aufforderungen flogen über Deck. Ich hüpfte wieder vor zum Anker, der Capitano hinten zur Pinne. Dann wieder ich zur Pinne und er zum Anker, der frei im Wasser hing. Von nun an wurde das Hin- und Her-Spiel mit großem Ernst betrieben, mal hinten, mal vorne, mal vorne, mal hinten – und das im fliegendem Wechsel. Wir begegneten uns immer wieder mit vielsagenden Mienen in der Mitte. Zwischenzeitlich stocherten wir beide, er mit dem Bootshaken achtern nach der abgetauchten Heckleine, die sich um die Schraube gewickelt hatte, so dass der Motor nicht mehr lief. Ich mit dem Besenstiel auf dem Bugspriet, um den Anker klar zum Fallen vorzubereiten. Endlich gelang es mit Heinz’ Hilfe von außen und Aufbietung artistischer Höchstleistungen aus der Querlage wieder in die richtige Position zu kommen. Die Menge an Land staunte tonlos. Erleichtert machten wir erstmal an der »Bunten« fest, verschnauften und holten den Anker kurzstag.

      Jetzt sollte der Zweitanker mit dem Dingi ausgebracht werden. Das Dingi wurde an Deck losgezurrt und flog mit einem Platsch ins Wasser. Der Capitano stieg ein. Ich hievte den Zweitanker und eine lange Trosse hinterher. Weit genug voraus gerudert ging der Anker auf Grund. Da jedoch Starkwind zu befürchten war, musste auch noch der Stockanker, als Hauptanker, ins Wasser.

      Schon hatte ihn der Capitano im Bootchen, um ihn so zur richtigen Position zu rudern und dort fallen zu lassen – da!, ich traute meinen Augen nicht, kippte das Bootchen, vom schweren Ankermann und vom ebenfalls schweren Anker beim Überbordwerfen einseitig belastet, um. Und riss Anker und Kapitän in die Hafenflut. Nur einer seiner schwimmenden Gummilatschen markierte die Stelle der Versenkung. Zwischen bauchoben schwimmenden toten Fischen, Bananenschalen und sonstigen Hafenbeimischungen tauchte er prustend auf – und ich glaube auch etwas wütend. Aber unverdrossen schwang er sich ins Bootchen, holte den verlorenen Stockanker hoch und begann von vorne. Von Land kamen mitleidige Blicke.

      Vorsichtig wurde der Anker wieder ins Bootchen gewuchtet. Vorsichtiger als zuvor wollte