Vom Wind Verwehte: Aussteiger unter Segeln. Udo Hinnerkopf

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Название Vom Wind Verwehte: Aussteiger unter Segeln
Автор произведения Udo Hinnerkopf
Жанр Контркультура
Серия
Издательство Контркультура
Год выпуска 0
isbn 9783898019040



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freiem Sternenhimmel und den vielen, seltsamen Vogelarten die sie gehört und manchmal auch gesehen hatten.

      Außer Sieglinde, die malte, Gudrun, die schrieb, Tina, die lustige Kinderlieder komponierte, Ann, die Mineralien sammelte, Harvey, der Buddelschiffe baute, gehörten noch viele andere dazu, für die Segeln nur eine wichtige Dimension ihres losgelösten Lebens war. Daneben gab es Interessen, Neigungen und Leidenschaften, die entdeckt, ausgegraben und gefördert, dem Leben auf dem Boot einen schöneren, manchmal auch tieferen Sinn verliehen.

      Wer sich geringschätzig über die »Hängengeblieben« und »Bummelanten« des Mittelmeeres auslässt, der kennt sie nicht, diese Nicht-nur-Segler, für die Segeln kein Selbstzweck ist und auch kein Langstrecken-Marathon zu irgendwelchen fragwürdigen Zielen, sondern etwas sehr Privates und Persönliches. Begegnungen mit diesen schöpferischen Spinnern sind niemals langweilig. Oft sitzt man nächtelang zusammen und spürt, wie spannend es sein kann, wenn sich ein Mensch auf das Abenteuer einlässt, sich selbst zu entdecken.

      Susi von der Wayway lachte und sagte: »Warum sind eigentlich die Hauptfiguren in den Abenteuergeschichten immer nur Männer? Billy Jenkins und Tom Mix, Old Shatterhand und Winnetou, Oliver Twist und Michael Kohlhaas, Dorian Gray und die Brüder Karamasow, Don Quichotte und Robinson Crusoe, und so weiter und so fort. Nicht zu vergessen Jerry Cotton und Batman. Wenn ich könnte, würde ich Bücher mit Abenteuerinnen schreiben. Das würde uns Frauen helfen, selbstbewusster zu sein und gleichberechtigter. Das Quotengequassel ist von gestern. Wir sind genauso stark und halten auch was aus, wenn es draußen kachelt!«

      Wenn man allgemein an starke Frauen denkt, fallen einem zuerst die Amazonen ein, jene Frauen aus den griechischen Mythen und Sagen, die männergleich in den Kampf zogen und vor allem als wagemutige Reiterinnen mit Doppelaxt und freier Brust, Angst und Schrecken unter Männerkohorten verbreiteten.

      Denkt man »starke Frauen« heute, sind die Assoziationen oftmals kritisch. Starke Frauen gelten oft als dominant, die versuchen, sich überall einzumischen und den Ton anzugeben. Mit so »einer« gemeinsam das Wagnis eines längeren Bootsabenteuers auf dem Meer zu wagen? Da hält es mancher offenbar für einfacher, als Einhandsegler solo über die Meere zu ziehen und seine Ruhe zu haben.

      Ich persönlich war immer für gemischte Crews. Waren Frauen an Bord, ging es »despektierlicher« zu. Dann wurden nicht so viel Witze gerissen und es hieß meist: »Bitte kannst du mir mal die Butter geben?«, statt: »Gib mich mal die Butter!«

      Eine mit ganzem Herzen mitmachende Frau zeichnet sich nicht unbedingt durch Kraft in den Armen aus, sondern durch weitaus wichtigere Eigenschaften: Ein gesundes Selbstwertgefühl und starkes Selbstvertrauen, auch um gegen den Strom der Vorurteile anzuschwimmen und so die Hürden des Lebens auf dem Meer und einem Boot zu überwinden.

      05. Fallhöhe

      Die Biskaya ist eine holprige Chaussee. Wer je versucht hat, mit einer kleinen Yacht, egal zu welcher Jahreszeit, den stürmischen Golf zu überqueren, kann ein Lied davon singen. Nur wenigen wird es ergehen wie jenem Segler, der ums Kap Horn herum motoren musste. Ich kenne niemanden, der die Biskaya bei Flaute allein mit tuckerndem Motor hinter sich gebracht hat.

      Zum Wachwechsel trafen wir uns im Cockpit. Freund Claus, der mich auf meiner ersten Etappe in das Abenteuer Freiheit unter Segeln begleitete und der Erfahrenere von uns beiden war. Und ich, der Autor dieser Geschichten, die sich im Lauf von 40 Jahren in meinem Logbuch angesammelt haben.

      Es gab heißen Tee, manchmal Schokolade und eine Zigarette. Dazu erzählte Claus seine Beobachtungen aus der Nacht und las auch mal Zeilen vor, die er beim Schein einer Taschenlampe aufgeschrieben hatte. Danach verschwand er unter Deck und ich übernahm die Wache – warm in Helly Hansen eingepackt, mit dickem Pullover und Ölzeug oben drüber. Die Nächte waren kalt, die Sterne funkelten abweisend, die See kam schwarz daher, hob und senkte das Boot, lief schlürfend darunter durch und verschwand gurgelnd im Kielwasser. Ab und an schimmerte das Licht eines Frachters oder Containerschiffes auf Gegenkurs durch die Nacht.

      Am frühen Morgen legte der Wind zu, aber anders als vorausgesagt aus SW mit 4–5 von vorne. Wir kamen vom Kurs ab und steuerten hoch am Wind in den Atlantik hinaus. Das Boot stampfte sich mühsam durch das Berg- und Tallabyrinth. Beide fühlten wir uns blümerant. Kurz und bündig trug Claus ins Logbuch ein: »Heut’ schreib ich lieber nix, es dümpelt mir zu sehr – zifix!«

      »Wind auf West drehend«, röhrte es Stunden später aus dem Radio. Das war schon besser. Gegen 18 Uhr Wachübergabe, diesmal mit Linsensuppe und einem starken Kaffee. Nach dem langen Schlag in den Atlantik hinaus und der Wende zurück in die Biskaya, segelten wir innerhalb des Dampfertrecks. Wo genau wir uns befanden, sagte uns der unzuverlässig gekoppelte Ort. Der verdammte Funkpeiler machte keinen Mucks; so weit draußen gab es keine Signale. Der Peilrahmen im Masttop war eigentlich überflüssig. GPS war noch nicht erfunden, wir kannten nicht einmal das Wort dafür.

      Endlich raumer Wind aus NW – jetzt lief es richtig. Kurz darauf Erregung an Deck: »Wal, er bläst!« Als wir näher kamen, tauchte er ab. Lange majestätische Atlantikdünung blieb zurück, der Wal war verschwunden. Während seiner Wache schrieb Claus ins Logbuch:

       »In der Biskaya im Mai / schwamm ein gigantischer Wal vorbei. / Riesig. Wetter war diesig. / So um vier Glasen, / sahen wir ihn blasen. / Früher hätten wir ihn harpunieren gekonnt … / doch er schwamm über den Horizont. / Und das Meer war wieder grau und leer.«

      Freund Claus, Dichter und Planer*

      Am Nachmittag tauchte Pandarea weich ein, kam achtern hoch, schüttelte sich leicht und setzte sanft in die unter ihr durchlaufende Welle. Es rauschte und gurgelte achteraus. Kein einziges Mal wurde es nass an Deck. Dazu strahlender Sonnenschein, es wurde wärmer. Der Kurs lag an, La Coruña voraus. Südwärts ho!

      Plötzlich ein hässliches Knacken von oben, erschrockene Blicke zum Masttop hinauf. Der Peilrahmen auf der Spitze des Großmastes wippte im Rhythmus der Bootsbewegung hin und her. Verdammt! Wenn der sich los schaukelt und runter kommt …!

      »Du bist leichter, los hinauf!« Claus griff den Bootsmannstuhl aus der Backskiste und sprintete zum Mast, rollte Groß und Genua ein – ich startete den Motor und ließ den Autopiloten langsam gegen Wind und Wellen anfahren. Das bremste das Rollen und verminderte das Schlingern. Etwas.

      Den Lifebelt mit dem Reservefall gesichert und den Bootsmannstuhl mit dem zweiten Fall verknüpft … wie gut, dass wir zwei Reservefallen hatten! Claus kurbelte, die Winsch ächzte, schon schwebte ich drei Meter über dem unter mir schwankenden Deck, pendelte vom Mast weg frei über die Wellen und wieder zurück, stemmte mich mit beiden Füßen dagegen und versuchte, mich am klammen Mastholz festzuhalten.

      Oben knirschte der Peilrahmen bedenklich. Hoffentlich kam der nicht gerade jetzt herunter! Schon stand ich auf der ersten Saling, dann auf der zweiten, war kurz darauf oben und krallte mich krampfhaft fest. Claus fuchtelte mir Zeichen von unten zu, die ich nicht verstand.

      Im schwankenden Masttop pendelte ich mit der Schiffsbewegung hin und zurück – und jedesmal schwang das weiße Deck des zum Spielzeug geschrumpften Bootsrumpfs weit unter meinen Füßen im Rhythmus der Wellen und übertrug die rollende Bewegung zu mir herauf. Um das Schwingen zu stoppen, umklammerte ich den Mast mit beiden Beinen und zurrte mit den Händen den starren, aus zwei gekreuzten Rohren von gut einem halben Meter Durchmesser bestehenden Kreuzpeilrahmen, mit einem Tampen auf dem Masttop fest. Das Ding war sperrig und einige Kilos schwer. Mehrfach schlang ich den Tampen unter den Stag- und Wantenbeschlägen durch und verknotete alles dreimal. Sicher ist sicher.

      Danach ging der Blick über das grenzenlos leere Meer bis zum Horizont. Himmel und See verschmolzen im grauen Dunst – nur der kleine, schaukelnde Bootsrumpf unter mir war gesichertes Terrain. Wie hoch hing ich über dem schmalen Deck und dem Freund, der mit dem Fernglas zu mir heraufschaute? Masthöhe 14 Meter, Fallhöhe … Wahnsinn! Würde ich an Deck landen oder im Meer? Waren die Knoten an Bootsmannstuhl und Lifebelt sicher, die Fallen stabil? Mir schwindelte.

      Endlich war das Monster gesichert. »Runter!«, rief