Das Fußvolk der "Endlösung". Thomas Sandkühler

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Название Das Fußvolk der "Endlösung"
Автор произведения Thomas Sandkühler
Жанр Историческая литература
Серия
Издательство Историческая литература
Год выпуска 0
isbn 9783534746217



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jüdischen Arbeitseinsatzes

       7.3Die »große Aktion« vom August 1942

       7.4Eine »ganz normale« Organisation?

       8.Deutsche und »Trawniki-Männer« im Vernichtungslager Bełżec

       8.1Stammpersonal

       8.2Die Wachmänner der Jahre 1941 – 1943

       8.3Transporte nach Bełżec, Zahl der Ermordeten

       8.4Tod im Giftgas

       8.5Verwertung der Beute

       8.6»Enterdung«

       8.7Öffentliches Geheimnis: Verbreitung von Nachrichten

       8.8Verhaltensweisen und Behandlung der »Trawniki-Männer«

       8.9Rückzug

       8.10Keine »ganz normale« Organisation

       Zusammenfassung: »Fremdvölkische« Täter und die Täterforschung

       Danksagung

       Literaturverzeichnis

       Abkürzungsverzeichnis

       Verzeichnis der Tabellen im Text

       Abbildungsnachweis

       Anmerkungen

      Einleitung:

       Die europäische Dimension

       des Holocaust: Nichtdeutsche Täter

       in deutschen Diensten

      Der Beginn des Zweiten Weltkriegs am 1. September 1939 war eine entscheidende Zäsur in der Gewaltgeschichte des NS-Staates. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte die Verfolgung angenommener und tatsächlicher politischer Gegner sowie die Drangsalierung der jüdischen Minderheit vergleichsweise wenige Todesopfer gefordert.1 Der Krieg änderte alles. Massenhafte Gewalt, die in der Struktur von Hitlers Herrschaft von vornherein angelegt war, wurde nun zum bestimmenden Merkmal der Politik, allerdings ganz überwiegend außerhalb der deutschen Grenzen.2

      Während beispielsweise die stalinistische Sowjetunion ihre eigenen Bürger unter Generalverdacht stellte und millionenfach umbrachte, richtete sich der nationalsozialistische Furor gegen die Staatsangehörigen der von der Wehrmacht besetzten Länder. Demgegenüber war der Anteil Deutscher und Österreicher an der Gesamtzahl der Opfer nationalsozialistischer Gewaltverbrechen gering.3 Es bestand, mit anderen Worten, ein enger Zusammenhang zwischen Besatzungspolitik und Massenmord. Unter den rund 13 Millionen Opfern deutscher Tötungen außerhalb von Kampfhandlungen stellten die Juden mit rund 6 Millionen die mit Abstand größte Gruppe, gefolgt von sowjetischen Kriegsgefangenen mit rund 3 Millionen von der Wehrmacht getöteten Kombattanten.4

      Die nationalsozialistische Führung strebte die vollständige Auslöschung des jüdischen Volkes im Machtbereich des Deutschen Reiches an. Durchgeführt wurde dieser Völkermord mit Waffengewalt auf dem Territorium der UdSSR sowie in besonderen Lager auf dem Territorium Polens. Dies waren einerseits die Lager Chełmno im Warthegau und Auschwitz-Birkenau in Oberschlesien, beide juristisch deutsches Staatsgebiet. Diese waren zum anderen Bełżec, Sobibór und Treblinka, die in den Distrikten Lublin und Warschau des so genannten Generalgouvernements, also in Ostpolen, errichtet wurden.5

      Die drei letztgenannten Lager standen im Mittelpunkt der »Aktion Reinhardt«, eines Vernichtungs- und Raubprogramms größten Ausmaßes, dem in den Jahren 1942/43 deutlich mehr Juden zum Opfer fielen als Auschwitz-Birkenau.6 Im September 1942 erreichte der Holocaust seinen grässlichen Höhepunkt. Zu keinem Zeitpunkt vorher oder nachher wurden so viele jüdische Männer, Frauen und Kinder getötet wie im Spätsommer dieses Jahres.7 Die Massenverhaftungen, Deportationen, Erschießungen und Giftgasmorde der »Aktion Reinhardt« zeigen aufs Neue, dass der in der Geschichtsschreibung beider deutscher Staaten zunächst dominierende Topos vom »maschinellen«, gewissermaßen lautlos und menschenleer ablaufenden Genozid keine Entsprechung in der Realität hatte.8 Hier wurde von Angesicht zu Angesicht getötet und maximale Gewalt angewendet.

      Als die Rote Armee Polen befreite, waren über drei Millionen polnische Juden umgebracht worden. In diesem Land hatte die größte jüdische Gemeinde Europas gelebt. Polen musste auch den höchsten Blutzoll für die deutsche Besatzungsherrschaft entrichten. Die polnischen Juden wurden jedoch aus antisemitischen, rassistischen und ökonomischen Gründen ermordet. Daher halten wiederholte Versuche polnischer Nachkriegsregierungen, das jüdische Leid zum Opfer für die Nation umzubiegen, dem historischen Befund nicht stand.9

      1939 und 1942 waren Zäsuren, aber die Kontinuität des Mordens überwog. Inzwischen kann als gesicherte Tatsache gelten, dass Hitler nach der deutschen Kriegserklärung an die Vereinigten Staaten seine Untergebenen autorisierte, die europäischen Juden zu ermorden.10 Auch die Wannseekonferenz vom Januar 1942 spielte eine wichtige Rolle.11 Die Bedeutung solcher Ermächtigungen und ministerieller Abstimmungen wird jedoch durch die Todeszahlen relativiert: Bereits vor der Besprechung am Wannsee waren rund 900 000 Juden ermordet worden.12 Hitlers »Befehl« vom Dezember 1941, sofern man diesen Begriff verwenden möchte, setzte nicht den Holocaust in Gang, sondern bekräftigte den Fortgang eines beispiellosen Massenmordes, der viel früher begonnen hatte, selbstverständlich mit Wissen und Einverständnis des Diktators.13

      Der Auftakt zur Ermordung der europäischen Juden war die Besetzung Polens ab September 1939. Was sich dort bis zur Ausweitung des Krieges auf die Sowjetunion abspielte, war in mancher Hinsicht eine Blaupause für den Genozid.14 Die »Aktion Reinhardt« stellte das Bindeglied zwischen den Massenerschießungen sowjetischer und westukrainischer Juden seit Sommer 1941 und der europäischen »Endlösung der Judenfrage« dar.15 Die drei Vernichtungslager wurden nacheinander erbaut: Bełżec von November 1941 bis Februar 1942, Sobibór von März bis Mai 1942, Treblinka von Mai bis Juli 1942.16 In Bełżec wurden seit Mitte März 1942 fast ausschließlich Juden aus den Distrikten Lublin und Galizien ermordet, in Sobibór seit der zweiten Maiwoche 1942 Juden aus dem Distrikt Lublin, Frankreich, den Niederlanden, Weißrussland und dem Baltikum, in Treblinka seit Ende Juli 1942 Juden aus den Distrikten Warschau und Radom, dem Bezirk Białystok sowie aus Bulgarien und Griechenland.17 Hinzu kamen in allen Lagern, vorrangig aber wohl in Sobibór und Treblinka, Juden aus dem Deutschen Reich in den Grenzen von 1937, aus Österreich, den annektierten westpolnischen Gebieten, dem Protektorat Böhmen und Mähren sowie der Slowakei.18 Die »Aktion Reinhardt« war ein gesamteuropäisches Ereignis.

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