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des Krieges tatsächlich ernst nimmt, den Krieg als abenteuerliche Alternative zum alltäglichen Einerlei eines bescheidenen, oft bedrückenden Lebens in den engen, zu engen Grenzen des eigenen Standes ansieht und den Kriegsdienst als raschen Weg zu Reichtum, Ruhm und Freiheit wähnt. Gegen diesen lebensgefährlichen „Närrischen Wundsch“ setzt Grimmelshausen die Schilderung der erfahrenen verheerenden Folgen des Krieges.

      Daß der Krieg den Unerfahrenen als erstrebenswert erscheint, hatten vor ihm bereits Erasmus von Rotterdam (1515) und, diesen auszugsweise referierend, Sebastian Franck (1539), die beiden christlichen Pazifisten des 16. Jahrhunderts, eindringlich dargelegt. Grimmelshausen entnimmt die Argumente für den „Gegensatz“ seines Kriegsdiskurses dem Erasmus-Traktat „Dulce bellum inexpertis“in der deutschen Übersetzung Ulrich Varnbülers (Basel 1519)126. Da es sich um einen verdächtigen, indizierten Autor handelt, dessen biblisch begründete Kriegskritik noch in Zedlers Lexikonartikel Krieg (1737) wie die des Origenes und der Wiedertäufer als unorthodox zurückgewiesen wird, besteht für Grimmelshausen erst recht kein Anlaß, ihn als Autorität zu nennen. Die Textparallelen, bisher nicht erkannt, sind aber offensichtlich; sie zu verfolgen, beleuchtet zugleich Grimmelshausens Art der Quellenumformung, die sich auf Kernstellen beschränkt, diese teils strafft, teils drastisch erweitert, umgruppiert und zuspitzt und seinem arguten und, wie sich noch zeigen wird, satirisch-dialektischen Stilwillen anverwandelt127.

      Zwei Textstellen fallen aus dem Rahmen der erasmianischen Argumentation. Einmal die Berufung auf die Erfahrung der eigenen euphorisch-heroischen Affizierung im Nahkampf einer Schlacht. Diese eigene Erfahrung hat indes keinen Eigenwert, sondern wird dem Argument des Erasmus gegenübergestellt und exemplarisch als Narrheit abqualifiziert: „Wann einer aber von fernem das erbärmliche Spectacul einer Schlacht mit gesunder Vernunfft ansiehet/so wird er bekennen muessen/daß nichts unsinnigers uff der Welt sey/als eben dieses klaegliche SchauspieI […].“ Zum anderen die traditionelle moraltheologische Rechtfertigung des Krieges als „die groeste Hauptstraffe Gottes“, der die anderen Hauptstrafen, Hunger und Pest, „uff dem Fuß“ folgen. Dieses Argument, das der frühneuzeitlichen Diskussion und Darstellung des Krieges stets den letzten Halt gegeben hat (ausgenommen Erasmus, der den Krieg als selbstverschuldetes Übel verurteilt128 und sich dagegen verwahrt, mit irgendwelchen Gründen „disse vnser vnsinnikeit [zu] beschoenen“129, wird von Grimmelshausen hier in einer verqueren Denkbewegung zur Resümierung der schlimmen Folgen des Krieges verwendet und dadurch ironisch entwertet. Das theologische Problem, wie Gott in seiner Liebe und Güte Kriege zulassen kann, das Theodizeeproblem also, ist damit in keiner Weise bewältigt. Der Autor will es offenbar nicht abstrakt diskutieren, behält es den konkreten simplicianischen Lebensgeschichten vor und bindet es an die Perspektive des gläubigen Individuums, das wie Simplicius die Kriegsübel, die den eigenen Lebenslauf prägen, als Exempel der „Güte des Allerhöchsten“ deuten lernt130.

      Der Kriegsdiskurs im Satyrischen Pilgram entzieht sich am Ende, das wundert nicht, ganz dem dialektischen Schema. Im „Nachklang“ gibt es nichts abzuwägen oder zu beschönigen; der Krieg ist, wie ebenfalls schon bei Erasmus zu lesen ist131, ein „erschreckliches und grausames Monstrum“. Zur Bekräftigung dessen verweist Grimmelshausen auf sein damals im Entstehen begriffenes Hauptwerk, den Simplicissimus, der mit den Mitteln des roman comique „viel Particularitaeten“ des Krieges bringen werde. Auch der Schluß des Diskurses folgt den Argumenten des Erasmus: es sei „ uns Christen nichts ohnanstaendiger als der Krieg/den wir wieder einander führen“, des einen Sieg sei des anderen Verderben; es sei zu wünschen, daß die „Martialischen Gemuether“ unter den europäischen Christen, wenn sie schon nicht zu befrieden sind, mit vereinten Kräften gegen die „Feinde des Christlichen Namens“ kämpfen, „nicht zweiffelnd/es wuerden alsdenn glueckliche Success und reiche Beuten folgen/und zu erholen sein“132.

      Die Abwehr der osmanischen Bedrohung der christlichen Welt ist, wie K. v. Raumer gezeigt hat, in der frühen Neuzeit stets der wichtigste Antrieb der europäischen Friedensbewegung gewesen133. Erasmus argumentiert in diesem Punkt jedoch sehr zurückhaltend. Einerseits beklagt er die selbstzerstörerischen Folgen der Kriege zwischen Christen: „Es ist bißhaer gnuog christenpluots vergossen/wir haben den feindten des christlichen namens nuon mehr gnuog wollusts bewießen“134. Andererseits läßt er die religiöse Verbrämung fürstlicher Kriegs- und Beutelüsternheit nicht gelten135:

       Welche nuon des gemuets sein [i. e. Krieg zu führen]/glaubstu auch das sy nit leichtlich ein yglich vrsach (so jenen angepotten) zuom krieg annemen würden?Darnach vndersteen wir vnser kranckheit mit erbarn vrsachen zuo bedecken. Ich beger oder gyenen nach der Türcken reichtumb/vnd wend vrsach für/als beschirmung des glaubens. Ich gib meinem haß statt/vnd nym mich an/der kirchen gerechtigkeit zuo uertaedingen.

      Im übrigen sei der Krieg gegen die Türken ein untaugliches Mittel, diese zum Glauben zu bringen136:

       Warlich mich bedunckt nit hoch zuo riemen sein/dz wir offter mals wider die Türcken krieg fürnemen. Fürwar es steet vbel im christen glauben/so des bestendigkeit vnd erhaltung an solchem behelff hanget/es ist auch nit vermuotlich mit solchen anfengen guot christen zuo machen/dann was man mit dem schwert erlangt/dz würdet mit dem schwert widerumb verlorn.

      Vor diesem Hintergrund erhält Grimmelshausens Anspielung auf die Beutegier der „Martialischen Gemuether“, d.h. der europäischen Fürsten, ironisch-satirische Bedeutung. Grimmelshausen folgt inhaltlich Erasmus, er kritisiert die Verkehrtheit auch der Machthaber, aber er tut dies indirekt mit den Mitteln der Satire.

      III

      Der Simplicissimus bringt ein Jahr später die Fortsetzung des Kriegsdiskurses mit erzählerischen Mitteln. Maßstab zur Beurteilung der scheinchristlichen Gesellschaft, die sich im Kriege eingerichtet hat und sich dabei selbst zerstört, ist ausdrücklich „das Gesetz vnd Evangelium/sampt den getreuen Warnungen Christi“137, näherhin das Gebot der Feindesliebe aus der Bergpredigt, auf die sich auch Erasmus berufen hatte138:

       Christus spricht/lieber eure Feinde/segnet die euch fluchen/thut wol denen die euch hassen/bittet vor die so euch beleydigen und verfolgen/auff daß ihr Kinder seyt euers Vatters im Himmel […]. Aber ich fande nicht allein niemand/der diesem Befelch Christi nachzukommen begehrte/sondern jedermann thät gerad das Widerspil […].

      Dieser Maßstab wird durch ein naiv beobachtendes, noch unverbildetes Kind an die verkehrte Welt des „Teutschen Krieges“ herangetragen. Auch dieses Modell konnte Grimmelshausen bei Erasmus finden, der zur Veranschaulichung des Widerspruchs von menschlicher Bestimmung und Kriegspraxis einen solchen „newen gast“ einführt139:

       Nuon thuo eins vnd erdenck ettwan ein newen gast/auß den stetten in Moene gelegen/da Empedocles jnne wonet/oder sunst auß einer welt […] in vnser welt komenn sei/der da beger zuo wissen was man hie thuo. So er nuon aller ding bericht hoeren würde […]. Darnach als er das gantz leben Christi/vnd auch sein gebott erlernt/begere von einer hochen warte zuo sehen/alles das er gehoert hett/[…] solt der nitt ein yedes thier dauon ergehoert hett/ehe ein menschen sein achten/dann eben den menschen? Demnach so er von einem Zeiger bericht welchs der mensch were/hin vnd wider sehen würde/wo die schar der Christen were/die des hymelschen lerers fürnemen nachuolgten/[…] ob er nit die christen sunst an einem yeden andern ort zuo wonen gedencken solt/dann in den gegenten/darinn er solch reichtumb/vberfluß, fleischlich begir/hochmuot/tyranney/vnmessig eer geitzigkeit/betrug/haß/zorn/vneinigkeit/zanck/streit/krieg/auffruor/vnd mit der kürtz aller ding die Christus hasset/[…] [sieht]?

      Simplicius kann sich in diese verkehrte Welt „nicht schicken“140. Um zu überleben, kann er jedoch, wegen solch fundamentaler Kritik zum Narren zugerichtet und ins Kalbsfell gesteckt, auch für sich selbst die urchristlichen Prinzipien nicht lange durchhalten; schon bald zum Kriegsdienst gezwungen, ist er ständig in Gefahr, seinen Glauben an die Güte Gottes und die Verbesserbarkeit der Welt im Sinne der Bergpredigt durch das eigene Verhalten zu widerlegen. Sein Durchgang durch die Schrecken und Laster des Krieges veranschaulicht und bestätigt im ersten und zweiten Buch in allen „Particularitäten“ die Zustandsbeschreibung des Erasmus. Der Gesang der Nachtigall, im Lied des Einsiedels gedeutet als Lob der Natur auf ihren Schöpfer,