Название | Grimmelshausen |
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Автор произведения | Dieter Breuer |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783534402779 |
Diese grundsätzliche Skepsis hat Grimmelshausen auch in seiner späten Histori Proximus und Lympida nicht aufgegeben; jedoch gelangt er hier, wiederum in Auseinandersetzung mit der absolutistischen Staatsauffassung, zu einer anderen, von der frühabsolutistischen Staatslehre abweichenden Lösung. Auch hier wird (in einer „Vorrede“) zunächst ein düsteres, endzeitlich-chaotisches Panorama des Krieges aller gegen alle entworfen, wiederum in der christlichen Heilsgewißheit,101
daß dannoch der Allmächtige Gott die seinige/die ihn lieben/förchten/ehren und ihm dienen/[…] wunderbarlicher weiß erhalte/durchbringe/beschütze/beschirme/und endlich nach ihrer Beständigkeit/gleichsamb wie durch das Fewr probiert und geläutert/durch die Wellen des ungestümmen Meers dieser Welt/zu dem verlangten sicheren Gestad der ewigen Seeligkeit glücklich anlande. (16)
Die folgende Histori zeigt dann auch exemplarisch, am Beispiel des letztlich unaufhaltsamen Aufstiegs des verarmten, aber tugendhaften Adeligen Proximus in den Stand eines regierenden Fürsten, die Wirksamkeit der providentia Dei, der „gütigen Vorsehung des allmächtigen“ (127) auch im politischen Bereich.102 Das entspricht der antimachiavellistischen Argumentation der Joseph-Histori. Jedoch ist hier die Möglichkeit, gemäß der theologisch fundierten frühabsolutistischen Staatsauffassung als Politiker moralisch handeln zu können, nicht mehr so optimistisch beurteilt wie in der Joseph-Histori von 1666; andererseits gibt sich Grimmelshausen auch nicht mehr mit der bloßen Aporie des zugleich moralischen und politischen Handelns zufrieden, die er im Musai dargestellt hatte. Hinzu kommt, daß er auch die im Simplicissimus erwogene Alternative der Einsiedelei mitreflektiert und ausdrücklich ausscheidet; Proximus wird von seinem Vater zu einem dem Evangelium gemäßen Leben in der Welt gemahnt:
Du wirst und sollest zwar kein Monachus oder Einsidler werden/wie ich etwan auch selbst einmal zuthun gesinnet/sintemahl du auch mitten in der unruhigen gottlosen Welt ein stilles Gott wolgefälliges Leben führen kanst […]. (83f.)
Damit hat Grimmelshausen seine Argumentationsmöglichkeiten weiter eingeschränkt und die Frage nach der Moralität der absolutistischen Ordnungsform menschlichen Zusammenlebens verschärft. Die Alternative, die er in diesem Spätwerk anbietet, geht denn auch über die bisherigen Lösungsversuche hinaus: er stellt der absolutistischen Ordnungsform die republikanische gegenüber.
Als der fromme Fürst Proximus erkennt, daß er, um sich und seine Herrschaft zu erhalten, d.h. seiner ratio status gemäß zu handeln, in Konflikt mit seinem kaiserlichen Lehnsherrn und dessen konfessionell verbrämter Machtpolitik gerät, weicht er den machtpolitischen Konsequenzen seines Regentenamtes aus und resigniert; er tritt sein Fürstentum dem kaiserlichen Kronprinzen „gegen Darlegung eines grossen Stück bares Geltes“ (141) ab, „versilbert“ auch das Erbteil seiner Gemahlin Lympida und begibt sich mit seiner Familie und seinem Vermögen in die Republik Venedig, wo er „leütseelig“ aufgenommen wird, „weil er sich mit so ansehnlichen bey sich habenden Mittlen zu ihnen einzukauffen mehr als genugsamb versehen befande“ (141). Er stellt sein Vermögen ganz in den Dienst der ratio status der Republik: er legt das „Fundament“ zum „annoch vorhandenen allgemeinen“ Staatsschatz, er stiftet „zur Beförderung des Gottes Diensts“ Kirchen und steuert aus seinen Mitteln bereitwillig bei, „was etwan des gemeinen Wessens Erhaltung hie/da unnd dort zu seiner Beschütz: vnd Auffnemmung bedes durch Waffen unnd in andere Weg erforderte“ (141). Diese vorbehaltlose Orientierung am Gemeinwohl bewirkt, daß „er: der erst ankommene Frembtling/bey derselben Republic denen alten Geschlechtern/als der aller-getrewste Patriot/wo nicht vorgezogen/doch ihnen gleich geschätzt“ wird. Daß auch sein nichtadeliger Gefährte Modestus „in die Zahl der alten edlen Geschlechter“ aufgenommen wird, ist in der Histori eine weitere Konsequenz aus dem in diesem Staate geltenden Gleichheitsprinzip, das nicht auf dem Geburtsadel beruht, sondern auf dem rechtmäßig, durch göttliche Vorsehung und persönliche Tugend erworbenen, dem Gemeinwohl verpflichteten (Geld)Vermögen.
Die Frage nach einer Ordnungsform der menschlichen Sozietät, die zu ihrer „Selbsterhaltung“ nicht in Konflikt mit vorrangigen moralischen Prinzipien gerät, wird demnach von Grimmelshausen in dieser Histori im Unterschied zum Simplicissimus positiv entschieden. Der Staat, der Moralität ermöglicht, ist die Republik der gleichberechtigten, strikt am Gemeinwohl orientierten Patrioten. Allerdings übersieht der Autor nicht, daß dieses gleiche Recht nur eine Funktion des (Geld) Vermögens sein kann. Ist diese Bedingung erfüllt, dann ist, wie er resümierend feststellt, ein herrschaftsfreies Zusammenleben möglich:
Haben also der edel Proximus und seine vnvergleichliche Lympida an disem Ordt eine ihrem Sinn vnd Humor nach/allerbequembste Statt gefunden/allwo sie geruewiglich beydes Gott vnd den Menschen: den Armen privat Persohnen vnd dem gemeinen Wessen dienen konden/wo sie weder mit Regierung über andere sich bemühen dörffen noch mit vnderthänigen Diensten einem tyranischen Gewalt zugehorsammen gezwungen waren […]. (142)
Daß Grimmelshausen hier keine Staatsutopie skizzieren will, sondern in den realen politischen Verhältnissen der Republik Venedig eine Alternative zur absolutistischen Staatsform erblickt, geht auch daraus hervor, daß er abschließend das Venedig seiner Histori in das Venedig der zeitgenössischen staatstheoretischen Diskussion überführt. Er belegt seine Auffassung mit einem Zitat aus dem Venedig-Kapitel in Georg Hornius’ Orbis politicus (1669). Für den Staatsrechtler Hornius aber ist die Republik Venedig103
ein vollkommenes Muster einer allervollkommenesten Republique/und könnte von Menschlichem Verstande nichts ersonnen werden/was Solche nicht allbereit beobachtet und ihr zu Nutze gemacht hätte: Je näher nun eine jede Republique der Venetianischen kommet/ie vollkommener sie zuhalten ist.
Hornius steht mit dieser Auffassung nicht allein. Abgesehen davon, daß der Venezianer Garzoni als ein Gegner der absoluten Erbmonarchie bei all seiner Ausgewogenheit in der Darstellung politischer Sachverhalte die „Venedische Republica“ als vorbildlich rühmt,104 kann sogar Contzen, der rigorose Verfechter der absoluten Monarchie, die Vorzüge dieser Republik nicht in Abrede stellen und muß die Republik Venedig zumindest als Ausnahme gelten lassen.105
Ein Vergleich mit diesen und anderen staatstheoretischen Quellen macht deutlich, daß Grimmelshausen auch in den Einzelheiten seiner Venedigdarstellung sehr genau informiert ist, so etwa hinsichtlich der patriotischen ratio status, des Staatsschatzes, der Nobilitierung aufgrund des Vermögens, der ungestörten Religionsausübung bei grundsätzlich römisch-katholischer Staatsreligion, der im damaligen Europa als vorbildlich geltenden sozialen Einrichtungen. Noch im frühen 18. Jahrhundert gilt aus ebendiesen Gründen die Republik Venedig „als ein Wunderwerck und rechtes Muster von einer wohlbestellten Policey“, als „herrlichste und berühmteste“ Republik in Europa.106
Dennoch wird man Grimmelshausen in dieser Frage noch nicht als Vertreter des frühaufklärerischen Staatsdenkens bewerten dürfen. Er bleibt bei der älteren theologisch fundierten Staatsauffassung. Es hat seine Entscheidung für die republikanische Alternative zur absolutistischen Staatsform sicherlich erleichtert, daß er auch diese Alternative theologisch begründen kann. Wie aus den Schlußsätzen der Histori hervorgeht, verweist ihn die Republik Venedig auf die christliche Utopie des „Himmlischen Jerusalem“, dessen „Bürger vnd ewige Inwohner“ ebenfalls keiner Herrschaft mehr unterworfen sind. Seine sarkastische Kritik am Absolutismus französischer Provenienz am Schluß des Rathstübel Plutonis107 versteht sich von diesen Ergebnissen seines politischen Nachdenkens her fast von selbst.
2. Krieg und Frieden im Simplicissimus Teutsch
I
Mit Verwunderung nimmt der Literarhistoriker wahr, daß kaum eine Darstellung des Dreißigjährigen Krieges sich nicht auf Grimmelshausens Kriegsschilderungen im Simplicissimus Teutsch beruft108. Die Plünderung des Spessarter Bauernhofs durch marodierende Soldaten, das wüste Leben in der