Die Charismatische Bewegung 1. Michael Kotsch

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Название Die Charismatische Bewegung 1
Автор произведения Michael Kotsch
Жанр Религия: прочее
Серия
Издательство Религия: прочее
Год выпуска 0
isbn 9783869549583



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berufen ist, das Evangelium von der Vergebung der Sünden zu predigen. Diese Berufung beruht unter anderem auf göttlicher Prophetie. Dann ermutigt ihn Paulus, Älteste einzusetzen (1Tim 3,1-7), andere Christen zu lehren (1Tim 4, 6.13.16) und sich nicht aufgrund seines geringen Alters einschüchtern zu lassen (1Tim 4,11). Demnach ist das Charisma des Timotheus höchstwahrscheinlich seine Lehr- und Leitungsfunktion in der Gemeinde.

      16. 2Tim 1,6: „Um dieser Ursache willen erinnere ich dich, die Gnadengabe Gottes anzufachen, die in dir durch das Auflegen meiner Hände ist.” Aufgrund äußerer Angriffe und persönlichem Leid (2Tim 1,4; 15; 2,1-3) scheint Timotheus erneut an seiner Berufung als Lehrer und Leiter der Gemeinden zu zweifeln. Paulus erinnert ihn wiederum daran, dass diese Aufgabe nicht nur auf seine Berufswahl, sondern auf das Charisma Gottes zurückgeht (2Tim 1,6f; 9, 13f; 2,8f).

      17. 1Petr 4,10: „Wie jeder eine Gnadengabe empfangen hat, so dient damit einander als gute Verwalter der verschiedenartigen Gnade Gottes!” Im folgenden Vers (1Petr 4,11) zählt Petrus einige Charismata auf, mit denen die Christen sich gegenseitig helfen sollen: Predigt, Dienst, Diakonie. Auch in den Versen 7-9 beschreibt er das korrekte Verhalten gemäß der Gnadengaben Gottes: Gebet, Liebe, Gastfreundschaft.

      Zusammenfassend kann festgehalten werden, Charismata (Geistesgaben) im neutestamentlichen Sinn sind: Der Name Gottes, die himmlische Herrlichkeit, die Vergebung der Sünden, das ewige Leben, Geistlicher Austausch, die Erwählung, die Berufung, Prophetie/Weissagung, Dienst, Lehre, Ermahnung, Geben, Leitung, Barmherzigkeit üben, Liebe, Geduld, Treue, Reden der Weisheit, Reden der Erkenntnis, geistliches Reden, Seelsorge, Glauben, Heilen, Geister unterscheiden, Zungenrede/Sprachenrede, Auslegung der Sprachenrede, Wunder, verschiedene Ämter: Apostel, Propheten, Evangelisten, Hirten und Lehrer.

      Einige der hier aufgezählten Charismata werden andernorts auch als „Früchte des Geistes” bezeichnet (Gal 5,22f; Eph 5,9; Kol 3,12): Liebe, Freude, Friede, Langmut, Freundlichkeit, Güte, Treue, Sanftmut, Enthaltsamkeit, Gerechtigkeit, Wahrheit, Demut und Milde. Auch diese Eigenschaften gehen auf ein Wirken des heiligen Geistes und ein Geschenk Gottes zurück, sind in diesem Sinne also ebenfalls Charismata.

      Natürlich ist mit diesen Stellen nicht alles genannt, was Gott dem Menschen schenkt, denn letztlich kann in der Bibel fast alles als Gabe Gottes angesehen werden. Charismata werden im Neuen Testament auch „Gaben / Geschenke” (doma, Lk 11,13; Eph 4,8.11f / dosis, Jak 1,17f / dorea = unverdientes Geschenk, Apg 11,17; Röm 5,15.17)6, „geistliche Dinge” (pneumatica = vom Geist bewirktes Handeln im Gegensatz zu seelischen oder fleischlichen Verhaltensweisen, 1Kor 2,13ff; 3,1; 12,1; 14,1)7, „Zeichen / Manifestationen” (phaneroseis = Offenbarung bzw. Bekanntmachung des Heiligen Geistes, 1Kor 12,7; 2Kor 4,2)8, Wirkungen/Eingreifen (energemata = wirksame Kraft, Auswirkung des Heiligen Geistes, 1Kor 12,6.10)9 und Dienste (diakoniai = karitative Aufgabe oder Leitungsaufgabe in der Gemeinde, 1Kor 12,5; Kol 4,17; 1Tim 1,12; 1Petr 4,10)10 genannt. Selbst der Heilige Geist ist ein Geschenk Gottes für die Gläubigen (Apg 2,38; 10,45; 11,17). Gaben Gottes können auch materielle Segnungen oder ein langes Leben sein (Pred 2,24; 3,13; 5,18).

      Außerdem werden die einzelnen oben genannten Begabungen in anderen Bibeltexten noch näher erläutert. Trotz dieser Einschränkungen kann festgehalten werden, dass Charisma im Neuen Testament einerseits Gottes Geschenk der Sündenvergebung und Rettung bezeichnet, das jedem Christen gilt. Andererseits werden auch geistliche Einzelbegabungen und göttliche Berufungen in Gemeindeämter Charismata genannt. Keinesfalls jedoch kann Charismata auf einige wenige, als spektakulär empfundene Wundergaben beschränkt werden (Zungenrede, Prophetie, Heilung), zumal diese sowohl in Bezug auf Häufigkeit als auch in Bezug auf Bedeutung eher an zweiter Stelle zu stehen scheinen (1Kor 13).

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      1 Vgl. Konkordanz zum Novum Testamentum Graece, hrsg. vom Institut für neutestamentliche Textforschung Münster, de Gruyter, Berlin 1987, Sp. 1902

      2 Vgl. K.Berger, Art. charizomai, in: Exegetisches Wörterbuch zum Neuen Testament, H. Balz / G. Schneider Hrsg., Bd.3, 2.Aufl., Kohlhammer, Stuttgart 1992, Sp. 1093-1095

      3 Vgl. K.Berger, Art. charis, in: Exegetisches Wörterbuch zum Neuen Testament, H. Balz / G. Schneider Hrsg., Bd.3, 2.Aufl., Kohlhammer, Stuttgart 1992, Sp. 1095-1102

      4 Vgl. K.Berger, Art. charisma, in: Exegetisches Wörterbuch zum Neuen Testament, H. Balz / G. Schneider Hrsg., Bd.3, 2.Aufl., Kohlhammer, Stuttgart 1992, Sp. 1102-1105

      5 Bibelstellen nach der revidierten Elberfelder Übersetzung

      6 Vgl. Art.: doma / dosis / dorea, in: Exegetisches Wörterbuch zum Neuen Testament, H. Balz / G. Schneider Hrsg., Bd.1, 2.Aufl., Kohlhammer, Stuttgart 1992, Sp. 832, 843f, 880ff

      7 Vgl. J.Kremer, Art.: pneumatikos, in: Exegetisches Wörterbuch zum Neuen Testament, H. Balz / G. Schneider Hrsg., Bd.3, 2.Aufl., Kohlhammer, Stuttgart 1992, Sp. 291ff

      8 Vgl. Art.: phanerosis, in: Exegetisches Wörterbuch zum Neuen Testament, H. Balz / G. Schneider Hrsg., Bd.3, 2.Aufl., Kohlhammer, Stuttgart 1992, Sp. 991

      9 Vgl. Art.: energema, in: Exegetisches Wörterbuch zum Neuen Testament, H. Balz / G. Schneider Hrsg., Bd.1, 2.Aufl., Kohlhammer, Stuttgart 1992, Sp. 1108

      10 Vgl. A.Weiser, Art.: diaoneo / diakonia, in: Exegetisches Wörterbuch zum Neuen Testament, H. Balz / G. Schneider Hrsg., Bd.3, 2.Aufl., Kohlhammer, Stuttgart 1992, Sp. 726-732

      2. Das Ende biblischer Gnadengaben?

      Argumente für das Ende der „charismatischen Geistesgaben” heute ergeben sich zum einen aus einigen Aussagen des Neuen Testaments, zum anderen aus Entwicklungen der Kirchengeschichte und darüber hinaus aus Beobachtungen charismatischer Praxis.

      1. Im Zentrum der Auseinandersetzungen um das mögliche Ende jener Zeichengaben aus 1Kor 12 + 14 steht die Ankündigung, dass Prophetie, Zungenrede und Erkenntnis aufhören werden, wenn „das Vollkommene” gekommen ist (1Kor 13,8-10). Uneinigkeit besteht unter den Exegeten darüber, wann das der Fall sein wird und was konkret unter dem „Vollkommenen” zu verstehen ist. Einige sehen darin den abgeschlossenen und deshalb „vollkommenen” Kanon des Neuen Testaments, was jedoch dadurch unwahrscheinlich erscheint, da Paulus in diesem Zusammenhang nicht vom schriftlich fixierten Wort Gottes spricht. Auch sonst wird das Wort Gottes zwar als vollkommen beschrieben (Ps 19,8; Jak 1,25), nie aber „das Vollkommene” genannt. Andererseits ist die Auslegung des „Vollkommenen” als Zustand in der Ewigkeit Gottes nicht ganz zufriedenstellend. Zwar entspräche diese Interpretation der Aussage des Paulus, „… dann aber werde ich erkennen, wie ich erkannt worden bin” (1Kor 13,12), andererseits soll auch dann noch das geistliche Leben von Hoffnung und Glauben gekennzeichnet sein (V. 13). Doch scheint dieses auf eine noch ungewisse Zukunft ausgerichtete Verhalten kaum zum Leben in der Gegenwart Gottes zu passen, in der es nichts mehr zu hoffen und zu glauben gibt, da doch alles erreicht und gewiss ist. Es wurde auch vorgeschlagen, „wenn das Vollkommene (teleios) da ist” als „wenn die vollkommene Reife erreicht ist” oder „wenn ihr erwachsen im Glauben geworden seid” zu übersetzen, was sprachlich durchaus möglich ist.11 Demnach wären neutestamentliche Prophetie und Zungenrede lediglich Gaben für die erste, noch unreife Zeit der Gemeinde. Nach deren lehrmäßiger und organisatorischer Festigung im 1. und 2. Jahrhundert hätten diese Gaben ihren Zweck erfüllt und könnten zurücktreten (vgl. Eph 4,13ff), zumal Paulus im Zusammenhang mit der Glossolalie von Unreife der Gemeinde spricht, die überwunden werden solle (1Kor 14,20). Diese Übersetzungsmöglichkeit spricht allerdings nicht für ein generelles Aufhören der Glossolalie, sondern lediglich für deren eingeschränkte Nutzung bei noch „unreifen”, geistlich „nicht erwachsenen” Christen.

      In diesem Zusammenhang wird zurecht darauf hingewiesen, dass Paulus für das Aufhören von Prophetie und Erkenntnis ein anderes Verb benutzt als für das Ende des Zungenredens. Betont das erste (katargeo) eine aktive Handlung, hebt das zweite (pauo, im Medium) das eher selbstständige zur Ruhe kommen der Sprachenrede hervor (1Kor 13,8).12 Dieser Unterschied kann dahingehend ausgelegt werden, dass Gott Prophetie und Erkenntnis am Ende der Zeiten in einem autoritativen