Homöopathie. Michael Kotsch

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Название Homöopathie
Автор произведения Michael Kotsch
Жанр Эзотерика
Серия
Издательство Эзотерика
Год выпуска 0
isbn 9783869549552



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      Die medizinischen Untersuchungsmethoden waren in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts im Vergleich zu heute sehr eingeschränkt. Urin wurde lediglich nach Geruch und Aussehen beurteilt. Das Stethoskop war zwar erfunden, aber noch nicht weit verbreitet. Gelegentlich griff man auf Körperbeklopfung (Perkussion) zurück. Fieber wurde durch die Messung des Pulsschlages gemessen. Von großer Bedeutung für den Arzt jener Zeit war die Krankengeschichte des Patienten.

      An Arzneimitteln herrschte kein Mangel. Deren Herkunft und Wirksamkeit jedoch war oftmals mehr als zweifelhaft. Überlieferte Hausmittel standen neben alchemistischen Rezepten, angepriesenen Wundermitteln und immer wieder wechselnden Modemedikamenten. Hin und wieder fanden durchaus auch wirksame Präparate Anwendung. Zur Standardtherapie der meisten Ärzte gehörte der Aderlass (zeitweilige Öffnung der Adern mit dem Messer oder durch Blutegel), Klistiere (Darmeinläufe) und diverse Brech- bzw. Abführmittel. All diese Therapien zielten darauf, die schädliche Krankheit mit Blut, Urin und Kot aus dem Körper zu treiben. Haben erst große Teile der schädigenden Krankheitssubstanz den Menschen verlassen, könne der Körper sich weitgehend selber heilen.

      Schmerzen wurden von den meisten Ärzten als unumgängliche Begleiterscheinung von Krankheit betrachtet und nicht behandelt. Nur selten wurde Opium oder Weingeist zur Schmerzbekämpfung eingesetzt.

      Zu den populären Alternativbehandlungen am Beginn des 19. Jahrhunderts zählten religiös magische Heilverfahren (Wallfahrten, Besprechen, Gesundbeten, Geistheilung usw.), Wasserkuren, die Akupunktur und magnetische Anwendungen nach Franz Anton Mesmer (1734-1815).

      Darüber hinaus war die Zeit Hahnemanns gekennzeichnet durch eine zunehmende staatliche Regulierung des Gesundheitswesens und eine deutliche Professionalisierung. Um medizinischem Missbrauch Einhalt zu gebieten, wurden Außenseiter immer stärker behindert und bekämpft.1

      Spekulationen über die notwendige Ähnlichkeit zwischen Krankheit und anzuwendendem Heilmittel gehen weit in der Geschichte zurück. Im Alten Ägypten beispielsweise wurden Schädelwunden mit Öl eingerieben, in dem sich der Panzer einer Schildkröte und Falkenkrallen befanden. Die Härte des Schädels sollte durch die Härte des Schildkrötenpanzers wiederhergestellt werden. Gichtkranken wurde ein Amulett von Hirschhaut an den Fuß gebunden, in der Hoffnung, ihnen frühere Leichtfüßigkeit wiederzugeben. Im Schamanismus ist der Gedanke der Ähnlichkeitsmagie weit verbreitet: Das Essen oder Tragen eines Gegenstandes kann dessen Eigenschaften auf den betreffenden Menschen übertragen. Indianer tragen die Federn eines Adlers oder die Krallen eines Bären, um sich dessen Kraft zueigen zu machen. In der Traditionell Chinesischen Medizin (TCM) werden Extrakte aus Tigerhoden gegen Impotenz oder Schlangenfleisch gegen Kurzsichtigkeit angewendet. Suppe aus dem Fleisch der Kinder oder des Ehegatten (aus dem lebendigen Körper geschnitten) gilt als sicheres Stärkungsmittel für altersschwache Eltern. Die Chinesen kannten auch das Einblasen zerriebener Blatternkrusten in die Nasenschleimhaut zur Verhütung schwerer Pockeninfektionen. Gelegentlich soll in der TCM auch die rein äußerliche Ähnlichkeit medizinisch hilfreich sein. Demnach hilft gelber Safran gegen Gelbsucht, Leberblümchen gegen Leberleiden oder Leuchtkäfer gegen Augenerkrankungen. Ähnliche Formen eines “magischen Simile” (Ähnlichkeitsprinzip) findet sich bei Paracelsus. Auch in der Moderne sind vergleichbare Verhaltensweisen zu beobachten. So tragen Jugendliche die Kleidung ihres Idols und hoffen dadurch unterschwellig, dass etwas von deren Glanz auch auf das eigene Leben übergeht.2

       Vorläufer der Homöopathie

      Bezüge auf eine Ähnlichkeitsregel in der Erkenntnistheorie finden sich beispielsweise schon bei Empedokles (490-430 v.Chr.): “Denn mit der Erde in uns erkennen wir die Erde, mit dem Wasser das Wasser, mit der Luft die göttliche Luft, mit dem Feuer aber das verderbliche Feuer, die Liebe mit der Liebe, den Hass aber mit traurigem Hass.” Die hinter dieser Aussage stehende Lehre von den vier Elementen (Qualitäten) wirkte sich bis in die Neuzeit in der europäischen Medizin aus.

      Hypokrates (460-370 v.Chr.) kommt der homöopathischen Ähnlichkeitsregel schon näher, wenn er beispielsweise Knoblauch gegen Rausch empfiehlt, weil der bei einem nüchternen Menschen Schwere im Kopf bewirken könne. In seiner Schrift “Von den Stellen im Menschen” argumentiert er ähnlich: “Die Schmerzen [Beschwerden] werden durch das ihnen entgegen gesetzte gehoben, jede Krankheit nach ihrer Eigenart … Eine Art ist folgende: durch das Ähnliche entsteht die Krankheit und durch Anwendung des Ähnlichen wird die Krankheit geheilt.” Wenig später führt Hypokrates aus, dass Harnzwang und Husten mit denselben Mitteln geheilt werden können, von denen sie auch verursacht werden. Auf diese und andere historische Beispiele der Ähnlichkeitsregel bezieht sich Hahnemann zur Unterstützung seiner Medizintheorie.3 An Hahnemanns Simile-Regel erinnern Aussagen der Arzneimittelforscher Petro und Dioskurides (1.Jhd.n.Chr.). Gegen Kurzsichtigkeit wird dort der Genuss junger Schwalben empfohlen, die im Ruf standen, besonders gut zu sehen. Gegen den Biss eines tollwütigen Hundes soll dessen Urin hilfreich sein. Der antike Arzt Galen (200 n.Chr.) hatte hodenähnliche Knollen von Orchis Morio zur Anregung des Geschlechtstriebes verordnet. Eine rein äußerliche Ähnlichkeitsregel soll der Heilige Cyrus angewandt haben, um eine Frau zu kurieren, die beim Wassertrinken einen Frosch verschluckt hatte. Er gab der Frau so viel zu trinken, bis sie sich erbrach und so auch den unliebsamen Frosch los wurde. Zum Schluss des geschichtlichen Berichts wird dann darauf hingewiesen, dass Heilige nicht wie sterbliche Ärzte durch Gegenmittel heilen, sondern durch das Ähnliche.4

      Auffälligere medizintheoretische Parallelen finden sich zwischen Hahnemann und Paracelsus (1493-1541). Paracelsus wendet sich gegen die bis dahin dominierende Auffassung Galens, der dazu aufforderte, Krankheitssymptome mit Mitteln zu bekämpfen, die einen gegensätzlichen Zustand auslösen (z.B. Kühlung gegen Fieber). Paracelsus hingegen will Krankheiten mit Therapien bekämpfen, die gewöhnlich gerade diese Krankheitssymptome hervorrufen: “Contraria a contrariis curantur, das heißt: Heiß vertreibt Kaltes, das ist falsch, in der Arznei nie wahr gewesen.”5 Er vertritt die Ansicht, dass die Substanz, die einen Krankheitszustand verursacht, auch in der Lage ist diesen zu beseitigen. “… So du nun das hast, so zeigt es dir die Kur an, denn Arsenik heilt den Arsenik, Anthrax den Anthrax, wie Gift Gift heilet … also heilt gleich Anatomie je eins das andere. So du nun weißt, was Arsenik ist, so heile nach Inhalt der Anatomie den Arsenik mit dem Arsenik …”6 Entsprechend der Signaturenlehre verstand Paracelsus unter Anatomie die Beziehung zwischen der äußeren Erscheinung einer Sache und deren mutmaßlichen Wirksamkeit. “Also die Diestel stechen ihre Blätter nicht wie Nadeln? Dieses Zeichens halber ist durch Magie gefunden worden, dass kein besseres Kraut ist gegen inwendiges Stechen.”7 Paracelsus leitete daraus eine allgemeine medizinische Regel ab, nach der die “Form” jeder Krankheit ihre Entsprechung findet in der ähnlichen Form des Heilmittels. “Anatomie ist eine Kunst, die euch lehrt erkennen die Form eines jeglichen Dinges; denn ihr seht, nichts ist ohne Form, auch die Krankheit nicht …, sondern sie sind formig, … Nun, wenn ihr das wißt, so ist weiter vonnöten, dass ihr in solcher Gestalt die Anatomie der Kräuter wisst …, auf dass ihr da zusammen die gleiche Anatomie der Kräuter und gleiche Anatomie der Krankheiten in eine Ordnung bringet.”8 Allerdings weist Paracelsus auch darauf hin, dass diese Ähnlichkeit der Form nicht immer äußerlich sichtbar sein muss. Manchmal ähnelt die Arznei der Krankheit durch die Zuordnung zu einem der vier Elemente, manchmal gebe es auch eine spiritualistische Ähnlichkeit, die nur für den Heilkundigen sichtbar sei. Um die “anatomische Ähnlichkeit” einer Substanz festzustellen, scheint Paracelsus über deren Wirkung auf den menschlichen Körper genau Buch geführt zu haben, ähnlich wie Hahnemann bei seiner Arzneimittelprüfung. “Das Einnehmen des Realgar [Arsen] macht eine ausgedörrte Lunge … Macht auch Spalten und Schrunden der Leber, damit läuft ein unnatürlicher Durst einher … Auf solches nachfolgend viel zufallende Hitze, Klopfen und Zittern im Herzgrüble, demnach ein Ausschlagen