Alter Mann im Bus. Bernhard Weiland

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Название Alter Mann im Bus
Автор произведения Bernhard Weiland
Жанр Книги о Путешествиях
Серия
Издательство Книги о Путешествиях
Год выпуска 0
isbn 9783347115286



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dritte Reiseetappe führt mich von Niedersachsen nach Nordhein-Westfalen, von Hannover über die Weser an den Teutoburger Wald bis nach Bad Laer. Dabei lege ich in dreizehn Linien des ÖPNV einen Fahrtweg von ca. 197 Kilometern in ingesamt 7: 10 Std. zurück. Dazu kommt ein Fußweg von 2,4 km. (Weitere Daten befinden sich im Anhang!).

      Digitale Verbindungssuche

      ‚Über Peine, Pattensen nach Paris‘ sagt man in Hannover und umzu, wenn einer einen Umweg macht. Ursprünglich soll in diesem Sprichwort vor Peine noch Moskau genannt worden sein. Damit wurde Geschichtsforschern zufolge der Weg beschrieben, den Napoleons Heer während seiner Eroberungszüge nach Moskau und zurück wohl genommen habe. Mein friedlicher Umweg führt mich von Hannover nur über Pattensen, um danach durch viele mir unbekannte Dörfer und über Bad Salzuflen mein Ziel Bad Laer erreichen zu können. Ob die von mir gewählte Route der kürzeste Weg ist, weiß ich nicht. Mir kommt es wie ein Umweg vor. Ich verlasse mich bei der Auswahl meines Kurses auf die Rechenkünste einer schlauen App. Deren Logarithmen scheitern allerdings an sehr weiten Distanzen. Zumindest an der Strecke von Hannover nach Bad Laer. Dazu ist mein Blick auf einschlägiges Kartenwerk, zum Beispiel das einer weltbekannten Datenkrake, notwendig. Dieses habe ich gutgläubig auf mein Schmachtfon, geziert von der angebissenen Marke einer weltbekannten Gelddruckmaschine, geladen. Alles digital. Den Zwischenschritt Hannover - Hameln verarbeitet der Logarithmus dann erfolgreich, die App wird fündig. So verschlägt es mich zunächst zum ZOB von Pattensen. Nicht über Peine. Nicht nach Paris. An diesem Morgen sitze ich erst in meinem zweiten Bus und habe gleich mal eine ordentliche Verspätung. Ich steige aus und verpasse natürlich den Anschlussbus nach Springe. Und da sollen heute noch 5 Stunden mit 6 Umstiegen nur in Bussen des Öffentlichen Nahverkehrs auf der Fahrt zum Tagesziel Bad Salzuflen vor mir liegen. Na, das kann ja noch heiter werden.

      Ein Mutantenbus

      Eine Woche später, ich bin wieder zurück in Hannover, bitte ich das regionale Busunternehmen um Erstattung der durch die Verspätung in Pattensen ungültig gewordenen Fahrkarte. Die Antwort ist für mich lehrreich:

      "Guten Tag Herr Weiland,

      wir danken für Ihre Nachricht.

      Der Bus der Linie 320, den Sie ab Pattensen ZOB nutzen wollten am 20.02.2017 um 10.12 Uhr, ist der Bus, mit dem Sie auch von Hannover aus als Linie 300 gekommen sind. Das Fahrzeug fährt die Linie 300 und im Anschluss daran die Linie 320. Sie hätten also im Bus bleiben können und wären dann weiter in Richtung Springe gefahren. Am Bus wird dies auch im Fahrtanzeiger kenntlich gemacht mit “Linie 300 weiter als Linie 320“.

      Wir haben dazu auch die Fahrtdaten beider Fahrten ausgewertet. Die Linie 300 erreichte den ZOB in Pattensen mit einer Verspätung von ca. 5 Minuten und fuhr nach einem kurzen Halt am ZOB weiter als Linie 320.

      Wir bedauern, wenn es dabei zu einem Missverständnis gekommen ist und hoffen, dass Ihre zukünftigen Fahrten wieder zufriedenstellend und angenehm sein werden."

      Da wird aus ein und demselben Bus mirnichts dirnichts ein anderer. Das muss einem Dummen aber auch gesagt werden.

      Meine App hatte es mir verschwiegen. So war ich aus der Linie 300 ausgestiegen und von Haltestelle zu Haltestelle geirrt, um die Linie 320 zu suchen. Ich verbuche das Ereignis unter Lehrgeld. Der gemeine Pendler, eine weit verbreitete menschliche Spezies, mag deswegen ins Schmunzeln geraten. Er oder sie kennt natürliche derartige ‚Mutantenbusse‘.

      Learning by doing

      Zurück zur aktuellen Etappe. Ich warte also in Pattensen an diesem modernen zweckmäßig genormten Ort namens ZOB mit Riesenparkplatz vor dem Supermarkt "Markeegalweilüberallgleich". Zwischendurch ist noch Zeit für einen doppelten Espresso mit Beilage. Eine Stunde später sitze ich dann endlich wieder im Bus. Ich lerne noch so einiges an diesem Tag:

      1. Ein Einzelfahrschein, pardon: EinzelTicket, wie es heutzutage heißt, ist nach zwei Stunden abgelaufen, dann muss ich ein neues lösen.

      2. Im Bus brauche ich trotz gut gepolsterter Sitze ordentlich Sitzfleisch.

      3. An den Haltestellen ist ein guter Orientierungssinn von unschätzbarem Wert: Stehe ich an der richtigen Haltestelle in die richtige Richtung?

      4. Diesem Sinn sollten gute Nerven beiseite stehen: Warum stimmt der angezeigte Fahrplan nicht mit meinen recherchierten Zeiten überein?

      5. Und alles muß komplettiert werden durch hellwache Sinne: Interpretiere ich die bei den Abfahrtszeiten platzierten Buchstabenkombinationen richtig? Hier zum besseren Verständnis eine erste kleine Auswahl: a, b, c, d, e, f, g. F, Fy, S, Sr, 3, S32, S36, S80, S88, S92, S202, A403, A404, F207, W, W1, A211, A242, A403 und so weiter und so fort, alles Hinweise für Besonderheiten, die wichtig sein können. Ich werde eine Sammlung anlegen! (Eine Liste befindet sich im Anhang!)

      6. Von Geduld brauche ich auch eine gehörige Portion, um lange öde Wartezeiten bei ödem Wetter auszuhalten. Habe ich. Die Zeit, um sie auf harten Wartebänken weiter zu trainieren, wird von den Fahrplänen gratis geliefert.

      7. Noch etwas lerne ich: Trinke wenig, unterwegs sind die Möglichkeiten, eine Toilette zu benutzen oder ersatzweise ein verborgenes Plätzchen hinter einem dichten Gebüsch zu finden, rar. Oder es gibt schlichtweg keine. Oder du weißt nicht, wo sich eine befindet. Oder die Zeit ist zu kurz. Also lass das Trinken ganz. So ungesund kann Reisen sein.

      Reisender ohne Wohnung

      In Springe stehe ich am Bahnhof und warte auf eine für mich nützliche Verbindung. Ein Radfahrer, dunkel gekleidet, schwarzes Mountainbike, schwarze regendichte Packtaschen des Marktführers für regendichte Packtaschen, alles akkurat und sauber verschnürt und verstaut, schiebt seinen robusten Drahtesel unschlüssig die Haltestelle hin und her. Er suche den nächsten Supermarkt, spricht er mich an. Er sei schon mal da gewesen, finde ihn jetzt aber nicht wieder. Da bin ich als fremder Durchreisender auch überfragt. Ich bewundere seine Wetterstandhaftigkeit und frage nach woher und wohin. Das kann er nicht genau beantworten. Er sei wohnungslos und kenne sich in den Waldgebieten am Deister mit Schutzhütten ganz gut aus, antwortet er lapidar. Irritiert verabschiede ich mich. Die nächsten Tage ist ein heftiger Sturm mit ergiebigem Regen angesagt. Mich fröstelt bei dem Gedanken, bei dieser kühlen Witterung in einer offenen zugigen Holzhütte einsam im Wald übernachten zu müssen.

      Am Schulzentrum in Bad Münder ist dann wieder Umsteigen angesagt. Endstation. Der Busfahrer kann mir zum Anschlussbus keine handfesten Informationen mit auf den Weg geben. So unterbreche ich an der Haltestelle die lebhafte Kommunikation auf ihren Bus wartender Schüler*innen und frage nach dem Bushalt und der Abfahrtszeit meiner nächsten Linie nach Hameln. Ratlose Teeniegesichter. Ich solle doch gegenüber auf den Fahrplan gucken. Würde ich auch, wenn es dort einen gäbe. Ach so. Na ja, der müßte so nach der sechsten Stunde abfahren. Wann das denn sei nach der sechsten Stunde? Diese Zeitangabe kann ich von meiner Uhr nicht ablesen. Die genuschelte Antwort hilft mir nicht weiter. Zu weit auseinander liegen unsere Lebens- und damit Sprachwelten. Ein Milchgesicht schafft es dann doch, mir höflich und korrekt den Weg zur nächsten Haltestelle zu weisen.

      Da habe ich sogar noch Muße, 50 Minuten mit der Suche nach der Haltestelle und dem Erwerb und Verzehr einer Bratwurst an einer Grillbude am nahen Baumarkt zu überbrücken. Über dem Imbiss kreisen die ersten Kraniche, trompetende Vorboten des Frühlings. Den Rest der Zeit starre ich von der Haltestelle aus auf die gegenüberliegende gesichtlose Rückwand eines Supermarkts, belästigt vom andauernden Lärm der Hauptverkehrsstraße. In Hameln entfällt wegen der Verzögerung vorhin in Pattensen für mich die eingeplante Mittagspause. Aber ich hatte ja schon eine Bratwurst. Die muss reichen.

      Zugehört

      Das folgende Gespräch habe ich auf der Reise belauscht, aus dem Gedächtnis notiert und mit ein wenig Fantasie dramatisiert.

      Ich gebe ihm die Überschrift:

      Ein Ööjro

      Die Szenerie:

      Verkaufsgespräch an einem Bratwurstimbissstand.

      Die Kulisse:

      An der Zufahrt zu einem weiträumigen Parkplatz vor einem weiträumigen Supermarkt am Rande einer weiträumigen