Verfluchtes Taunusblut. Osvin Nöller

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Название Verfluchtes Taunusblut
Автор произведения Osvin Nöller
Жанр Триллеры
Серия
Издательство Триллеры
Год выпуска 0
isbn 9783746939667



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      „Die Frau ist Ihre Mutter und das Mädchen Ihre Zwillingsschwester Julia.“ Renate musterte sie von oben bis unten und schüttelte plötzlich den Kopf.

      „Ihre Ähnlichkeit mit Julia! Unglaublich! Sie haben sogar dieselben brünetten Haare!“

      Bevor sie antworten konnte, drehte sich die alte Dame um und eilte die Straße hinunter. In diesem Moment zuckte ein Blitz vom Himmel, der nahezu zeitgleich in ein Donnergrollen überging. Erste Regentropfen klatschten auf den Asphalt.

      ***

      Diana surfte mit ihrem Laptop im Internet. Unterdessen verwandelten die Klänge von Vivaldis Vier Jahreszeiten das Wohnzimmer in einen Konzertsaal. Sie summte die Musik mit, was sie entspannen ließ. Auf dem Esszimmertisch lag der Inhalt aus Renates Mappe ausgebreitet.

      Im Zimmer war es schummrig. Der Regen trommelte gegen die Fenster, wo er in Sturzbächen an den Scheiben entlanglief. Blitze, die sich überlappten, zeugten davon, dass das Gewitter zurückgekommen war. Lang anhaltende Donner bildeten einen grotesken Kontrast zu den leichten Tönen von Vivaldis Der Frühling.

      Die Welt schien zu versinken, während sie das Konzert mit der Fernbedienung lauter stellte.

      Plötzlich fiel ein Schatten auf den Tisch. Jemand bewegte sich hinter ihr! Sofort pochte ihr Herz bis zum Hals und sie erstarrte, unfähig zu schreien.

      „Mensch Diana“, schrie Kai gegen die Musik an, „sorry, ich wollte dich nicht erschrecken!“ Er nahm die Fernsteuerung und schaltete die Stereoanlage aus. „Was für ein Sauwetter! Ich bin klatschnass! Was machst du hier im Dunkeln?“

      Sie grinste. Ihm lief das Wasser über das Gesicht und in den Kragen. Das hellblaue Hemd hatte sich an verschiedenen Stellen dunkel verfärbt.

      Kai glich einem riesigen, begossenen Pudel! „Wieso steht dein Golf mitten in der Einfahrt? Ich musste den ganzen Weg hochrennen und seh aus, wie durch den Gully gezogen.“ Er stutzte. „Warum sitzt du in Gartenklamotten im Wohnzimmer und erfreust die Nachbarschaft mit einem Konzert?“

      Sie sprang auf und rannte an ihm vorbei zur Zimmertür, wobei sie ihm „du hast geraucht!“ zuraunte.

      Als sie aus der Küche zurückkam, betrachtete er ein Foto. „Was sind das für Bilder? Die kenn ich gar nicht! Das bist doch du!“ Er griff nach einer weiteren Fotografie.

      Sie nahm ihm die Aufnahmen aus der Hand, gab ihm ein Handtuch und hockte sich wieder auf ihren Stuhl.

      „Das bin nicht ich. Du wirst nicht glauben, was ich erlebt habe!“ Ihre Worte überschlugen sich, als sie ihm von ihrem Besuch berichtete. Anfangs trocknete er sich ab, hielt dann mit einem Mal inne und setzte sich neben sie.

      „Das ist vermutlich meine Zwillingsschwester.“ Sie hob einen Zeitungsartikel vom Tisch. Zwei Frauen lächelten in die Kamera. Unter dem Bild stand: Die Ärztin und Unternehmerin Julia Lautrup (links) wird heute 40 Jahre alt. Rechts ihre Mutter, die Mäzenin Barbara Lautrup. Bad Homburg, 12.02.2016.

      Kai kniff die Augen zusammen. „Das ist dein Geburtstag und die da“, er deutete auf die Jüngere, „sieht genau so aus wie du!“ Er nahm ihr den Zeitungsausschnitt aus der Hand.

      „Stimmt. Sieh hier, sie ist ebenfalls Medizinerin, allerdings Gynäkologin.“ Sie zeigte auf ihren Computer. „Das ist die Website ihrer Praxis. Die Ältere ist wohl meine leibliche Mutter!“

      Kai zog die Augenbrauen hoch. „Ich weiß nach wie vor nicht, was das hier wird! Du müsstest doch wissen, wenn du adoptiert worden wärst!“ Er legte den Artikel zurück auf den Tisch. „Das wird eine Fälschung sein!“

      Diana grinste schief. „Das dachte ich anfangs auch. Je länger ich mir das ansehe, desto mehr bin ich davon überzeugt, dass diese Hubert vorhin die Wahrheit gesagt hat! Denkst du, man stellt Webseiten ins Netz, um mir das einzureden? Es wimmelt im Internet von Einträgen zu der Familie! Das kann man nicht fälschen, Kai!“

      Ihr Mann erhob sich. „Ich bin trotz allem der Ansicht, dass es für den Spuk eine logische Erklärung geben muss und die Frau eine Betrügerin ist. Ich gestehe ja, dass das echt aussieht, glaube es trotzdem nicht. Pass auf, die taucht wieder auf und verlangt Geld. Für deine angebliche Mutter!“

      „Wir wollen es nicht wahrhaben! Bald wissen wir, ob es stimmt. Ich habe Gunter angerufen und ihm die Unterlagen per Mail geschickt. Er versucht, das zu überprüfen, und will sich Anfang kommender Woche melden.“

      Kai fasste sich an die Nase. „Gute Idee! Ein Anwalt hat bessere Möglichkeiten. Dann lass uns abwarten. Ich hab Hunger. Was gibt es denn?“

      Sie zögerte kurz. „Ich hab übrigens für den nächsten Donnerstag einen Termin für eine Vorsorgeuntersuchung bei meiner Zwillingsschwester in Bad Homburg gemacht!“

      Er schüttelte den Kopf und seine Stimme wurde hart. „Was hast du? Das verstehe ich jetzt nicht! Wart erst mal ab, was Gunter rausfindet! Schnellschüsse bringen nichts!“

      Ihr Magen zog sich zusammen, doch sie wollte den sich anbahnenden Streit vermeiden. „Das ist nicht alles! Sieh hier.“ Sie hielt ihm einen anderen Zeitungsartikel entgegen. „Mein leiblicher Vater ist vor einigen Jahren mit dem Flugzeug abgestürzt. Schau dir die Seite genau an!“

      5. Mai 2016

      Die Leukämie zeigte immer deutlichere Spuren. Julia gab sich keinerlei Illusionen hin. Das konnte jetzt schnell gehen!

      Barbara saß in der Bibliothek in einem schwarzen Sessel mit breiten Lederlehnen. Wie blass sie war! Das graue, dünne Haar rundete den Gesamteindruck ab. Ihr dunkelblaues Kleid war längst zu weit geworden.

      „Hallo, mein Kind. Prima, dass du vorbeikommst.“ Sie legte die Brille und ein Taschenbuch auf das Tischchen neben sich. „Möchtest du einen Kaffee?“ Sie griff nach einer Fernbedienung, mit deren Hilfe sie in der Lage war, ihre Freundin Renate zu rufen.

      „Nein, danke. Ich hab gerade gefrühstückt.“ Julia beugte sich ihr entgegen und drückte ihr einen Kuss auf die Stirn. „Ich wollte etwas mit dir besprechen. Sag aber erst, wie es dir heute geht.“ Sie ging zum Fenster und öffnete es.

      Die Todkranke atmete die hereinströmende Luft gierig ein, bis sie zu husten begann. „Es muss. Ich schlage mich durch.“ Der Versuch, zu lachen, endete in einem erneuten Hustenanfall.

      „Willst du nicht vielleicht doch über die Chemotherapie nachdenken?“

      „Stopp, das Thema ist durch!“, erwiderte Barbara mit überraschend fester Stimme. „Meine Entscheidung ist endgültig!“

      Die Tochter hob die Hände. „Hast du eigentlich Björn und Christian deinen Entschluss mitgeteilt?“ Sie vermutete, dass ihre beiden Brüder nach wie vor nichts von der Ablehnung zur Weiterbehandlung wussten und lag damit goldrichtig.

      „Nein, das tue ich, sobald es passt.“

      Es machte wenig Sinn, mit ihrer Mutter zu diskutieren. Wenn sie sich etwas in den Kopf gesetzt hatte, gab es kein Zurück. Julia seufzte. Diese Sturheit war in den letzten Jahren meist hilfreich, oftmals jedoch ebenso hinderlich gewesen. Sie drehte sich um und blickte in den Garten.

      Das gesamte Anwesen bestand aus einem Park, durch den eine breite Auffahrt zu zwei Wohngebäuden führte. Sie standen weit genug voneinander entfernt, dass eine imposante Eiche, welche die Häuser deutlich überragte, zwischen ihnen Platz fand. Beide sahen identisch aus: weiß geklinkert, zweistöckig mit Terrassen im Erdgeschoss und Balkonen in der ersten Etage. An den äußeren Ecken unterstrichen runde Türmchen die Symmetrie.

      Barbara lebte im Parterre des rechten Gebäudes, Renate seit dem Tod ihres Mannes im Stockwerk darüber. Julia und ihr jüngerer Bruder Christian wohnten nebenan, sie ebenerdig, er über ihr.

      Sie schloss das Fenster und drehte sich um. „Hat dir Björn Informationen zur anstehenden Gesellschafterversammlung gegeben?“

      Die Mutter runzelte die Stirn. „Nein, welche?“

      Das