Von keltischer Götterdämmerung. Die Kelten-Saga. Band 1-3: Anation - Wodans Lebenshauch / Völva - Wodans Seherinnen / Brictom - Wodans Götterlied. Die komplette Saga in einem Bundle. Astrid Rauner

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auf den Wiesen schienen wie alter Staub von den Sternen gefallen. Aigonn konnte nicht sagen, wo ihre Gestalt einen Anfang nahm, und wo sie endete. Das war seine Chance. Die einzige, um in dieser Nacht noch Antworten zu erhalten.

      „Herrin!“ Sein geflüsterter Ruf verschwand im Schrei eines Waldkauzes. „Herrin, höre mich! Ich brauche deine Hilfe!“

      Nichts geschah. Der milde Wind brachte in die Nebel eine kaum merkliche Bewegung, die weder Ziel noch Beginn zu haben schien. Doch niemand antwortete ihm. Keine Gestalt erhob sich aus den silbernen Schwaden.

      „Herrin! Ich bitte dich!“ Aus Aigonns verklungener Wut wurde Missmut. Er glaubte selbst schon nicht mehr daran, dass er die Antworten erhalten würde, nach denen es ihn so verlangte, als er es zum letzten Mal versuchte: „Herrin aus den Nebeln! Höre mich!“

      Doch sie hörte ihn nicht. Ein Blick über die Schulter mahnte Aigonn, dass es an der Zeit war, den Wehrgang zu verlassen. Die beiden Wachposten hatten sich wieder getrennt. Aigonn erkannte die schemenhafte Gestalt von einem der Krieger, die sich undeutlich vom nachtschwarzen Firmament abhob. Noch einmal, mit der einzigen, übrig gebliebenen Hoffnung spähte er auf die Wiesen hinaus. Sein Ruf blieb ungehört. Ungehört.

      Enttäuscht schwang Aigonn sich die Palisaden hinab. Ihm war der Sinn nach Fragen und deren Antworten vergangen. Er unterdrückte sie, sperrte sie weg, die Fragen, tief hinein in seinen Kopf. In dieser Nacht hatte es ja doch keinen Sinn.

      Die andere Lhenia

      Der nächste Tag versprach für Aigonn nur wenig mehr Hoffnung als der zurückliegende. Behlenos und Rowilan hatten an ihrer Idee festgehalten. Ohne ihre Aufsicht und Zustimmung war Aigonn der Gang aus der Siedlung verwehrt – ungeachtet der Tatsache, dass weder ein Fürst noch ein Schamane nach dem Gesetz der Bärenjäger uneingeschränkte Macht innehatte. Doch Chancen verschuf diese Tatsache Aigonn keine. Das Stimmrecht bei jedem Beschluss, jeder Bestrafung hatte das gesamte Dorf mit Ausnahme der Halbwüchsigen und Kinder. Aigonn hätte eine Versammlung einberufen und seinen Missmut zur Sprache bringen können. Doch er war sich bewusst, dass niemand für seine Sache stimmen würde – außer Efoh vielleicht. Aigonn war den Menschen unheimlich geworden. Man machte große Bogen an ihm vorbei, wenn man seinen Weg kreuzte. Seit er bei der Begräbniszeremonie beinahe einem Geist, einem Wesen – was immer es sein mochte – zum Opfer gefallen war, sprach kaum einer der Dorfbewohner mehr offen mit ihm. Es gab lediglich das verstohlene Geflüster hinter vorgehaltenen Händen, das nicht für ihn bestimmt sein sollte, aber trotz allem seine Ohren erreichte. Zum ersten Mal in seinem Leben verstand Aigonn wahrhaftig, welche Angst die anderen Menschen vor den Geistern dieser und der Anderen Welt mit sich trugen. Und zum ersten Mal fragte er sich, ob sie damit nicht im Recht waren.

      Da die Wachen ihm den Ausgang aus der Siedlung verwehrten, musste Aigonn Efoh allein mit zwei anderen jungen Männern in den Wald schicken, um zwei oder drei Bäume zu fällen. Für den kommenden Winter musste neues Holz geschlagen und zum Trocknen aufgestapelt werden – ganz gleich, wie viel Zeit ihnen bis dahin noch blieb. Der verletzte Arm und die gebrochenen Rippen verhinderten, dass Aigonn eine Axt vernünftig schwingen konnte. Letztendlich blieb ihm nur noch eine einzige Möglichkeit, an diesem Tag zu dem Verdienst seiner geschrumpften Familie beizutragen.

      Die Prozedur längst gewohnt, stand das Schaf ruhig nahe der Stallwand. Das Nesselseil, das seinen Hals an einen dicken Holzpflock fesselte, störte das Tier nicht im Geringsten, während es geräuschvoll Grasbüschel ausriss und verzehrte. Lediglich die Abwesenheit seiner Artverwandten bereitete dem Schaf von Zeit zu Zeit Sorgen, sodass es den Kopf hob und nach seiner Herde schrie. Doch die anderen vier Schafe, die Aigonn im Stall zurückgelassen hatte, besänftigten das Tier. Sie würden das Schicksal ihres Artgenossen teilen.

      Seit dem Tod von Aigonns und Efohs Vater war dessen Herde sichtlich geschrumpft. Der alte Hund war zum unscheinbaren Gast geworden, der nur noch hin und wieder den Wohnteil des Hauses betrat, sondern lieber im Stall unweit der Schafe Wache hielt. Aigonn hatte ihm dort mit Decken eine eigene Ecke zugeteilt, von welcher aus das zottige Tier ihn nun beobachtete.

      Der Tag war sonnig. Obgleich Mittag nicht in Sicht war, erfüllte eine Schwüle die Luft, wie nur Gewitter sie bringen konnten. Schweißperlen glänzten wie teurer Schmuck auf Aigonns Stirn und Brust, auch nachdem er sich seines Leinenhemdes entledigt hatte. Unwirsch kratzte er sich am Rand der Bandage um seine Rippen, unter welcher es seit einigen Tagen juckte. Noch hatte er es nicht gewagt, sie zum Waschen abzunehmen, da ihm nicht der Sinn danach stand, Rowilan um ein neues Anlegen zu bitten. Denn dann galt es neue Salben aufzutragen, die Aigonn selbst nicht besaß.

      Für einen Atemzug blitzte es angsterfüllt in den Augen des Schafes auf, als Aigonn ein kurzes, fast sichelförmiges Bronzemesser an einem Stein schärfte. Die Form war nahezu perfekt, meisterlich geschmiedet und scheinbar wie geschaffen dafür, eine Kehle zu durchtrennen. Doch Blut wollte Aigonn heute nicht sehen.

      „Ruhig, meine Große!“ Besänftigend strich er dem Schaf über den Kopf. Dann ging er über dem Tier so in die Hocke, dass seine Knie es festhielten, umfasste mit der Hand des verletzten Arms die Brust und setzte das Messer auf dem Rücken an. Das Schaf blökte auf, als es erstes Fell fallen spürte. Leise fluchend bemerkte Aigonn, dass er das Messer zu nah an der Haut vorbeigeführt hatte, sodass das Tier zumindest die Schärfe der Klinge gespürt haben musste.

      Beruhigend redete er auf das Schaf ein, während mehr und mehr Wolle zu Boden fiel. Für einen Moment ließ das Weibchen das Scheren über sich ergehen, dann verging ihm die Lust. Das Schaf bockte und wehrte sich so heftig, dass Aigonn mit seinem verletzten Arm keinen Halt mehr fand. Er musste ausweichen, als das Tier missmutig einen kleinen Sprung nach vorne machte, das Seil straffte und beleidigt Gras zu fressen begann.

      „Kann man dir helfen?“

      Aigonn sah auf. All das Misstrauen um ihn herum ließ die Frauenstimme unwirklich erscheinen, die ihn so direkt angesprochen hatte. Doch als er sie erkannte, begann er wissend zu lächeln.

      Die junge Frau stand mit einem Korb voller Wäsche unter dem Arm im Schatten des Hauses und beobachtete Aigonn mit Interesse. Sie schmunzelte matt, als dieser anmerkte: „Schön, dich wiederzusehen. Mir sind Gerüchte über deine Anwesenheit zugetragen worden. Doch wahrhaft glauben wollte ich es noch nicht.“

      „Du kannst es glauben.“ Sie kam auf Aigonn zu, stellte den Korb beiseite und packte das entflohene Schaf so an Rücken und Brust, dass es ihr nicht entkommen konnte. Widerstrebend blökte es. Doch als Aigonn noch immer unbewegt dastand, forderte die junge Frau ihn auf, mit seiner Arbeit fortzufahren.

      „Wie geht es dir?“ Aigonn schob mit dem Fuß das Schafsfell beiseite. „Du scheinst den Glauben aufrechterhalten zu wollen, dass du selbst die wiedergekehrte Lhenia bist und niemand sonst.“

      „Ich brauche deine Hilfe!“ Auf einmal war ihr Ton gedämpft. Ohne auf Aigonns Anmerkung einzugehen, erläuterte die junge Frau: „Ich kann nicht einschätzen, wem ich in diesem Dorf vertrauen kann. Die Erinnerungen in diesem Körper sind so schwammig, als ob diese Lhenia sie alle mit sich genommen hätte. Ich kann nicht sagen, wer mit mir sein Spiel treibt. Meine Menschenkenntnis hat gelitten, während ich in der Anderen Welt geweilt habe, deshalb bin ich vorsichtig. Und bei der Art, wie der Schamane mich empfangen hat, scheint mein Misstrauen berechtigt.“

      „Oh ja. Du glaubst gar nicht, wie sehr!“ Die Abfälligkeit, mit welcher Aigonn diese Worte ausgesprochen hatte, ließ die junge Frau innehalten und bedeutungsvoll aufsehen. Ein Hauch von Furcht blitzte in ihren Augen auf. Aigonn mäßigte sich augenblicklich, sich bewusst darüber, dass seine Probleme nicht ihre waren und er ihr vielleicht mehr Zeit zum Eingewöhnen geben sollte. Wenn man es genau nahm, war sie eine Neugeborene, die das Überleben erlernt hatte, mit den Umgangsformen unter Menschen aber ungeübt war.

      Die junge Frau ließ zwei Atemzüge vergehen, dann setzte sie ihre Rede fort: „Was ich eigentlich sagen wollte, betrifft Lhenia. Ich gedenke, die Rolle mitzuspielen, die man mir zugeteilt hat. Nur kann ich nicht im Geringsten einschätzen, wer sie war, diese Frau …“

      „Mädchen“, korrigierte Aigonn. „Ihr Körper war zum Heiraten reif gewesen, nur ihr Geist hat nicht mithalten können. Sie war ausgesprochen