Von keltischer Götterdämmerung. Die Kelten-Saga. Band 1-3: Anation - Wodans Lebenshauch / Völva - Wodans Seherinnen / Brictom - Wodans Götterlied. Die komplette Saga in einem Bundle. Astrid Rauner

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Zwar mochte es ihr schwer fallen, eine Person zu mimen, die nur noch wie ein grauer Schleier in ihrem Schädel hing. Doch die Vertrautheit, die jenes Mädchen namens Lhenia mit diesem Ort, dem Dorf, verbunden hatte, erfasste den fremden Körper noch immer.

      Das Dorf war voller Erinnerungen. Die junge Frau konnte nicht sagen, ob es die Lhenias oder vielleicht sogar ihre eigenen waren. Doch Wärme, Geborgenheit und Sicherheit machten die Ankunft in dieser Siedlung bei weitem einfacher.

      Mit einem knappen Dank an das freundliche Willkommen des Schamanen folgte sie dem Mann in das Dorf hinein. Die junge Frau konnte nicht leugnen, dass sie sich trotz äußerer Gelassenheit unbehaglich fühlte, während sämtliche Menschen auf Wegen, in Hauseingängen und Gärten bei ihrem Anblick innehielten, verstummten und kurz darauf misstrauisch zu tuscheln begannen. Als ich zurückgekehrt bin, haben sie einen Eindruck von der Welt erfahren, die normalerweise nur ein Schamane in solchem Ausmaß erlebt. Und es prickelte auf ihrer Haut, als die junge Frau sich bewusst machte, dass sie – sie, wer auch immer das war – wie die alten Großmeister vergangener Tage den Sprung zwischen den Welten vielleicht nicht selbst gewagt, aber trotzdem vollbracht hatte. Sie hatte die Andere Welt gesehen. Sie war mit dem Bewusstsein ihres vergangenen Lebens und den Eindrücken aus der Welt der Götter und Geister auf die Erde zurückgekehrt – ganz gleich, wie unterschwellig und dumpf sich diese Erinnerungen verborgen hatten.

      Doch als die Gedanken der jungen Frau in die Wirklichkeit abschweiften, dämpfte das ihre Euphorie. Der Schamane spürte, dass etwas geschehen war. Auch wenn er sicherlich vermuten musste, dass der Gang zwischen den Welten auch eine vertraute Seele nicht ungerührt lassen würde, schien er doch zu erkennen, dass noch mehr geschehen war als das.

      Spürte er, dass sie eine andere war? Und wenn ja, war es klug, sich ihm anzuvertrauen? Die junge Frau vermochte nicht einzuschätzen, ob man diesem Mann – Rowilan, wie er gerufen wurde – nun wahrlich vertrauen konnte. Er schien eine ganz eigene Sorte Mensch zu sein – nicht der Menge nachfolgend, sondern polarisierend. Ein Mann der Macht, der nicht einen Funken davon verschenken würde.

      Verstohlen huschte der Blick der jungen Frau immer wieder zu den umstehenden Menschen. Es waren vorwiegend Frauen. Viele Männer hatte sie draußen auf den Feldern arbeiten sehen. Doch auch einige Halbwüchsige und Krieger hatten sich dazwischen gemischt. Immer wieder glaubte sie, Aigonn erkannt zu haben, doch sie irrte sich. Er war nicht da. Hatte scheinbar nichts von ihrer Ankunft erfahren. Auf eine gewisse Weise wurde der jungen Frau ihr Weg dadurch schwerer. Sie fühlte sich unwohl in dieser fremden Haut, die jeder der Anwesenden kannte und mit einem Menschen verband, der längst vor die Götter getreten war. Jeder, außer Aigonn. Der einzige, dem sie sich anvertraut hatte. Innerlich musste die junge Frau sich eingestehen, dass sie ihn gern an ihrer Seite gewusst hätte. Mit jedem Schritt, den sie dem Schamanen nachfolgte, fühlte sie sich mehr so, als wollte man sie einem Richter ausliefern.

      Der Schamane Rowilan für seinen Teil würdigte sie keines Blickes, bis sie ein größeres Lehmhaus erreicht hatten, das sich durch die kunstvollen Schnitzereien in den Dachbalken schon von weitem von den anderen Behausungen abhob. Innen fand sie eine kleine Gruppe Männer vor, die man scheinbar auf ihren Besuch nicht vorbereitet hatte.

      Ganz gleich, wie freundlich Rowilan ihnen die Nachricht verkündete, als die junge Frau in den großen Speiseraum hineintrat, starrten sie acht geweitete Augen an, als wäre sie ein Geist und kein Mensch. Es brauchte einen langen Augenblick, bis einer der Männer, den sein filigraner Goldschmuck als Mann von Einfluss auswies, aufstand und nun mehr verblüfft als bestürzt herausbrachte: „Lhenia! Lhenia …, es … es freut mich sehr, dass du zurückgekehrt bist!“

      Der Mann fasste ihre Hände. Wie ein Blitz flammte eine unkenntliche Erinnerung tief im Geist der jungen Frau auf. Doch sie verschwand schneller, als dass ein Name zurückgeblieben wäre. Er ist der Fürst. Mehr konnte sie nicht sagen. Ihr Magen verkrampfte sich zusehends, als der Mann sie zärtlich am Rücken fasste und zu dem Tisch führte, wo die anderen Männer sie noch immer schweigend anstarrten.

      „Mein Kind …“ Der Fürst hatte sich gefasst. Während Rowilan mit den anderen Männern undeutbare Blicke tauschte, sagte er: „Verzeih, dass wir dich so unhöflich begrüßen, aber – zugegeben – heute hat niemand mit dir gerechnet.“

      „Das dachte ich.“ Ein Lächeln umspielte die Lippen der jungen Frau. Die Augenbraue des Fürsten zuckte, bevor er väterlich nach ihrer Hand griff und mit warmer Stimme fragte: „Aber nun – wie geht es dir? Ich kann mir vorstellen, dass dich die Geschehnisse sehr mitgenommen haben. Gibt es irgendetwas, das ich für dich tun kann?“

      Hinter den Augen des Fürsten arbeitete es. Die junge Frau musste sich zusammenreißen, nicht berechnend zu lächeln. Sie spürte, dass die lieben Worte nur die Einleitung in ein freundlich getarntes Verhör waren. Sie wissen nicht, was geschehen ist. Sie wollen mich aushorchen. Doch der abwartende Blick des Fürsten brachte sie von ihren Gedanken ab und zu einer zögerlichen Antwort: „Ich … würde gerne meine Familie sehen.“

      Das Lächeln des Fürsten wurde breiter. „Aber sicher! Bestimmt hat jemand deinem Vater bereits Bescheid gegeben. Doch … bis er kommt … wärst du mir böse, wenn ich dir einige Fragen stelle?“ Sein Blick war vielsagend. Die junge Frau musterte ihn misstrauischer, als sie es beabsichtigte. Immer wieder ermahnte sie sich: Lhenia kannte ihn, sie hätte ihm vertraut. Doch wenn es dieses Vertrauen jemals gegeben hatte, war es fort. Die junge Frau vertraute diesem Mann nicht. Sie war nicht Lhenia. Sie wusste nur, dass man ihr einen Auftrag zugedacht hatte – und solange sie nicht sagen konnte, um was es sich handelte, wollte sie diese fremden Menschen nicht einweihen. Dabei konnte ihr der Schamane bestimmt einen Rat geben. Vielleicht würde sie zusammen mit ihm die Erinnerungen an ihr eigenes Leben wiederfinden. Doch wenn sie ihm gar nicht vertrauen durfte?

      „Ich bin sehr müde. Ich würde wirklich gern zuerst mit meinem Vater sprechen, bevor ich Eure Fragen beantworte.“

      Die junge Frau schluckte. Skepsis durchzuckte für einen Herzschlag die Augen des Fürsten und sie verstand, was ihn misstrauisch machte. Zu schnell, zu ausweichend war diese Bitte gekommen. Vielleicht hatte sie jetzt schon verraten, dass sie etwas zu verheimlichen hatte.

      Doch was immer die Männer dachten, sie hatten keine Gelegenheit mehr, weiter in sie einzudringen. Ohne ein vorheriges Klopfen flog die Tür zum Haus auf. Eine junge Dienerin wich erschrocken aus, als ein Bauer – die Hände und Kleidung noch braun von Erde und das Gesicht schweißbenetzt – in den Raum stürmte und vor dem Tisch wie angewurzelt stehen blieb.

      Einen Atemzug lang starrte er die junge Frau an – ohne etwas zu sagen. Sie selbst war bestürzt von dem Schwall aus Emotionen, der ihr entgegenschlug: Verwirrung, Fassungslosigkeit, dazwischen Trauer und Verzweiflung, die noch immer nicht weichen wollten, obwohl der Mann längst zu begreifen begann, dass es dafür keinen Anlass mehr gab.

      Wider Willen zitterte die junge Frau, als sie aufstand. Sie hatte sich kaum erhoben, als der Bauer plötzlich aus seiner Starre erwachte und sie unversehens in die Arme schloss. Tränen schossen ihm in die Augen. Sie vermischten sich mit dem Ocker in ihrem Gesicht, malten rote Streifen auf ihre Wangen, während er mit brechender Stimme herausbrachte: „Mein Kind! Mein Kind, du bist wieder da!“

      Die junge Frau glaubte, an Ort und Stelle zusammenzubrechen. Die Gefühle, die über ihr zusammenschlugen, waren von einer solchen Intensität, als ob man sie mit Eiswasser überschüttete. Sie war nicht soweit. Darauf war sie nicht vorbereitet gewesen. Am liebsten hätte sie den Mann von sich gestoßen und wäre davongerannt. Doch sie wusste, dass sie das nicht tun konnte. Er weiß es ja nicht. Wie kann er wissen, dass ich eine andere bin? Eine, die so lange tot gewesen ist, dass sie mit dieser Welt nicht mehr umgehen kann.

      Als jedoch die Überrumpelung aus ihren Gedanken wich, fühlte sie endlich die grenzenlose Wärme, die auf sie einströmte. Endlich jemand, der keine Hintergedanken hatte, jemand, der ihr nicht misstraute. Es tat der jungen Frau gut, die bedingungslose Ehrlichkeit zu spüren, die von diesem Mann ausging. Und sie konnte sich schließlich dazu bringen, die Umarmung zu erwidern.

      Es dauerte einen Moment, bis der Bauer von ihr abließ und sich wieder fasste. Erst jetzt erkannte sie, dass das Gesicht unter seinen schneeweißen