Die Eiswolf-Saga. Teil 1-3: Brudermord / Irrwege / Wolfsbrüder. Drei historische Romane in einem Bundle. Holger Weinbach

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glaub’ ich nicht!“

      „Glaube, was du willst. Das tust du ohnehin, vor allem, wenn man es dir vorkaut.“

      „Ich weiß, dass sie schon den ganzen Sommer über bei dir war. Du hast sie in deinen Bann gezogen und jetzt kann sie nicht mehr von dir ablassen. Gib sie frei, Teufelsweib!“

      „Nein, Ulf. Gib du sie frei. Sie ist dir doch ohnehin ein Dorn im Auge. Sie ist kein Junge, den du dir erhofft hattest, sondern nur ein weiteres Maul zu stopfen.“

      „Es ist mein Kind …“

      „… das du schlägst und schlechter behandelst als deine beiden Sauen. Lehrt dich das der Prediger in Neustatt, zu dem du jeden Sonntag so ehrfürchtig rennst?“

      „Ein Kind muss seine Eltern ehren und darf nicht davonlaufen. Das hat er mir gesagt und so steht’s geschrieben.“

      „Wenn er es überhaupt selbst lesen kann, dieser Pfaffe. Kommst du in seinem Auftrag oder aus freien Stücken? Wer schickt dich?“

      Ulf blickte betreten zu Boden. Alveradis ahnte jetzt, weshalb er hier war. Unter normalen Umständen hätte er sich wahrscheinlich nicht einmal auf diese Lichtung gewagt. Doch sein schlechtes Gewissen, hervorgerufen durch die Predigten des Pfaffen, veranlasste ihn dazu.

      „Svea soll mitkommen“, lautete seine ausweichende Antwort und sie klang bei weitem nicht mehr so energisch fordernd und bedrohlich wie zu Beginn. Vielmehr klang es jetzt fast wie eine Bitte.

      „Nein!“

      Diesmal war es nicht Alveradis, die ihm widersprach, sondern seine eigene Tochter. Svea hatte endlich den Mut gefunden, ihrem Vater die Stirn zu bieten, und sie tat es mit einer Entschlossenheit und Klarheit, wie sie Ulf bei diesem kleinen Mädchen noch nie zuvor erlebt hatte.

      „Nein, ich werde nicht mitkommen!“, bekräftigte Svea.

      „Du wagst es …?“

      „Es tut mir leid, Vater, doch ich kann nicht mit dir gehen. Du weißt, dass ich bei Alveradis besser aufgehoben bin als bei dir.“

      „Bei Gott, Svea, das werd’ ich nicht zulassen. Diese Frau wird dich …“

      „Vater, ich weiß, dass du mich nicht liebst und mich nicht bei dir haben möchtest. Ich bin kein Junge und deshalb in deinem Haus fehl am Platz.“ Tränen liefen Svea über die Wangen und ihre Stimme klang traurig, als sie weitersprach. „Ich hoffe für Gerthas Kind, dass es ein Knabe sein wird. Aus mir wird jedoch niemals einer werden, so sehr ich mich auch darum bemühen mag.“

      Mit diesen Worten lief Svea hinter das Haus und Ulf stand auf einmal Alveradis allein gegenüber. Sveas Rede hatte ihn scheinbar auf unbekannte Weise erreicht, denn er schien über ihren Sinn nachzudenken. Doch dann wurde sein Blick wieder finster und Zorn flammte erneut in ihm auf. Seine Worte richtete er hart an Alveradis, wagte jedoch nicht, sie anzusehen.

      „Sie ist also deinem Zauber erlegen, Teufelsweib. Ich bin machtlos hier, selbst mit Gottes Hilfe. Soll sie doch verrecken und in der Hölle schmoren! Wehe euch beiden, wenn ihr mir noch einmal unter die Augen geraten solltet …“

      „Drohe mir nicht, wenn du nicht bereit bist, deine Drohung auch wahr zu machen.“

      Alveradis sprach ebenso hart wie Ulf und ließ keinen Zweifel daran, wer in diesem Streit der Unterlegene war. Und so machte sich Ulf ohne weitere Worte und ohne seine Tochter davon wie ein geprügelter Hund.

      Alveradis wartete noch eine Weile um sicher zu sein, dass Ulf es sich nicht noch einmal anders überlegte. Dann ging sie ebenfalls hinter ihre kleine Hütte. Dort fand sie Svea im Gras sitzen, die Beine angezogen und ihr Gesicht in den Armen verborgen. Sie hatte zwar aufgehört zu weinen, wiegte sich jedoch sachte vor und zurück, als wiege sie sich selbst in den Schlaf.

      Das Mädchen schien nicht zu bemerken, dass Alveradis sich neben ihr niederließ und sie sachte in den Arm nahm. Ihre Bewegung erstarb aber langsam, und nach einer Weile hob Svea den Kopf. Ihr Blick schweifte in die Ferne, als könne sie dort eine Antwort auf all die Fragen finden. Ihre Worte klangen tonlos, als sie eine davon an Alveradis richtete.

      „Weshalb hasst er mich? Was habe ich ihm angetan, dass er mich derart hasst?“

      „Nichts, mein Kind. Dich trifft keine Schuld.“

      „Doch. Meine Schuld ist es, dass ich ein Mädchen bin.“

      Ihre Feststellung klang kraftlos und ohne jegliche Hoffnung.

      Alveradis versuchte, behutsam zu heilen, was Ulf über Jahre rücksichtslos zerstört hatte.

      „Dass du ein Mädchen bist, ist ein besonderes Geschenk, keine Bürde. Auch wenn es die Prediger meist anders darstellen: Du solltest stolz darauf sein, als Frau durch dieses Leben schreiten zu dürfen. Sieh’ mich an …“

      Mit dieser Aufforderung löste Alveradis ihre Umarmung und Svea blickte sie erwartungsvoll an, woraufhin die Alte fortfuhr: „Erwecke ich etwa den Anschein, als müsse man mich bedauern? Nein, im Gegenteil. Ich meistere mein Leben als Frau sogar ganz allein im Wald und das, so möchte ich behaupten, auf besonders wunderbare Weise.“

      Svea musste schmunzeln. Es stimmte, was diese weise Frau sagte. Sie war und lebte außergewöhnlich. Alveradis ließ nicht locker.

      „Schätze dich glücklich, ein Mädchen zu sein. Glaubst du etwa, ich hätte einen Jungen als Schüler aufgenommen? Nein, das gewiss nicht. Sie schwingen nur immerzu große Reden und je älter sie werden, umso fauler leben sie in den Tag hinein. Zumindest scheint es manchmal so …“

      Svea musste mit einem Mal lachen, als Alveradis die Mimik der Halbwüchsigen nachahmte, die sie schon oft in Neustatt beobachtet hatte. Obwohl sie noch immer traurig war, bemerkte sie, dass sich ihre Schwermut durch Alveradis’ Anwesenheit langsam verflüchtigte. Mit dem Handrücken wischte sie ihre Tränen weg.

      „Aber weshalb schmerzt es so, dass mein eigener Vater mich nicht mag?“

      „Das ist die Liebe in dir, die nicht erwidert wird, mein Kind. Zumindest nicht von diesem Mann.“

      „Und was ist mit meinen Brüdern? Ich vermisse sie. Wenn ich hier bleibe, werde sie nie wieder sehen können. Ich möchte gar nicht daran denken, was Ulf mir antun würde, sollte ich es jemals wagen, wieder nach Hause zu kommen.“

      „Es gibt keinen Grund, weshalb du sie nicht wieder sehen könntest. Du musst sie ja nicht im Hause deines Vaters aufsuchen, nicht wahr?“

      Svea lauschte gespannt, was Alveradis ihr vorzuschlagen hatte.

      „Du bist ein Mädchen, das sich in Neustatt gut auskennt. Natürlich werden dir die Wachen am Tor nicht so einfach Einlass gewähren, doch du wirst Wege finden, um an ihnen vorbeizukommen.“

      Svea dachte angestrengt nach. Plötzlich hatte sie eine Idee.

      „Ja, an den Markttagen ginge das. Ich kann mich einfach bei einem Bauern als dessen Kind ausgeben oder mich im Gedränge hineinschleichen. Das ginge bestimmt. Dann könnte ich auch Georg, Thorben und Brun auf dem Markt treffen, sofern sie nicht auf den Feldern arbeiten müssen.“

      Begeisterung schwang in Sveas Stimme mit, als sie erkannte, dass ein Leben im Wald nicht ein Leben ohne ihre Brüder bedeutete. Als wolle sie gleich loslaufen, um das Vorhaben auszuprobieren, sprang sie auf und lief vor Alveradis auf und ab.

      „Beruhige dich, Svea, es wird noch ein paar Tage dauern, bevor du gehen kannst. Doch wie du siehst, gibt es immer einen Weg, um etwas zu erreichen, sofern man den festen Willen dazu besitzt.“

      Svea nickte gedankenverloren, als habe sie nicht richtig zugehört. Sie gab sich der Vorstellung hin, auf den Markt zu gehen, wann immer es ihr beliebte.

      „In Neustatt kann ich auch Besorgungen für uns erledigen oder ein paar Heiltränke und Kräuter gegen Nahrung tauschen. Ja, das könnte ich tun …“

      Jetzt erhob sich auch Alveradis und hielt Svea an beiden Armen fest, um sich ihrer Aufmerksamkeit sicher zu sein. „Das wäre allzu leichtsinnig, mein